Globale Gesellschaft Rechtsextremismus Wahlen AfD CDU Demokratie Montagslächeln 20 Jahre Campact Klimakrise

Erik Ahrens und die NS-Rassenbiologie

Heutige "Forschung" zu vermeintlichen Unterschieden zwischen menschlichen "Rassen" hat ihren Ursprung unter anderem beim KZ-Arzt Josef Mengele. Diese Ideen setzen sich bis heute fort – und ziehen konkrete Handlungsvorhaben mit sich.

Das Wort Rasse in einem Wörterbuch. Es ist mit rotem Textmarker angestrichen.
Foto: IMAGO / Christian Ohde

Wenn vor der AfD gewarnt wird und von „Faschismus“ die Rede ist, geht es nicht einfach „nur“ um eine Ideologie. Diese hat Bezüge zur schlimmsten Form des Faschismus: den Praktiken des KZ-„Arztes“ Josef Mengele. Seine Lehren wirken bis heute nach. Ähnliche Aussagen finden sich im US-Wahlkampf, bei AfD-Politikern, online bei Influencern wie Erik Ahrens und bei der gerade aufgedeckten militanten Gruppe „Sächsische Separatisten“.

Mengele, von Verschuer und Experimente an Kindern

Mengele selektierte an der Auschwitz-Rampe, überwachte Vergasungen und führte Menschenexperimente durch, oft an Kindern, die er später eigenhändig erschoss. Und er sandte sein „Menschenmaterial“ an seinen ehemaligen Doktorvater Otmar Freiherr von Verschuer. Dieser betrieb am „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ in Berlin-Dahlem Zwillingsforschung, unter anderem mit den von Mengele herausoperierten Augen von Kindern. Mengele wanderte unter seinem Klarnamen nach Argentinien aus und starb unbehelligt Ende der 1960er Jahre in einem brasilianischen Badeort.

Otmar von Verschuer hingegen blieb in Deutschland und setzte seine Karriere in Münster fort. Zunächst erhielt er einen Lehrauftrag an der Uniklinik und konnte dann mit Unterstützung des „Atomministeriums“ (Bundesministerium für Atomfragen) unter Franz-Josef Strauß das erste humangenetische Institut aufbauen. Das Atomministerium finanzierte Otmar von Verschuers „Genetik-Register“, das er auf Basis des Institutsinventars des Kaiser-Wilhelm-Instituts fortsetzte. Dieses Register sollte die Unbedenklichkeit atomarer Strahlung belegen und diente Verschuer zugleich zur Fortsetzung seiner rassenhygienischen „Forschung“. Er holte zahlreiche NS-Rassenhygieniker in sein Institut, das der Uniklinik angegliedert war, wo er später – wie auch andere NS-Rassenhygieniker – Dekan werden sollte.

Mankind Quarterly und Sarrazins Rassismus

Ende der 1950er Jahre wurde Verschuer Mitgründer des internationalen Magazins „Mankind Quartely“. Als die „Rassentrennung“ an US-amerikanischen Schulen aufgehoben wurde, entschloss sich eine internationale Gemeinschaft von rassistischen „Wissenschaftlern“, eine gemeinsame Vierteljahresschrift herauszugeben. Darunter befanden sich südafrikanische, britische und vor allem US-amerikanische Rassisten.

In den letzten Jahrzehnten verbreitete vor allem Volkmar Weiss das rassenbiologische Pseudowissen von Mankind Quarterly in Deutschland. Über ihn gelangten die sogenannten Forschungsergebnisse zu Thilo Sarrazin, der sie 2010 in „Deutschland schafft sich ab“ millionenfach verbreitete. Obwohl Sarrazin nach außen bestritt, von Weiss abgeschrieben zu haben, konnte ich zumindest eine Plagiatsstelle nachweisen.

Der Pioneer Fund und Höckes „Ausbreitungstyp“

Das Magazin finanzierte der Pioneer Fund. Diese Stiftung wurde 1937 von einem reichen US-amerikanischen Erben nach einem Besuch im nationalsozialistischen Deutschland 1935 gegründet. Vorbild war der NS-Lebensborn und die NS-Rassenforschung. Der Pioneer Fund verbreitete in den USA den Nazipropagandafilm „Erbkrank“. Er finanzierte nicht nur Mankind Quarterly, sondern seine Präsidenten waren oft selbst als Rassenideologen aktiv. Einer der letzten Präsidenten, John Philippe Rushton, publizierte das Buch „Rasse, Evolution und Verhalten“, das er kurz vor seinem Tod bei einer Wiener Burschenschaft 2010 präsentierte.

Was war der NS-Lebensborn?

Heinrich Himmler gründete 1935 den Lebensborn e.V. als SS-Verein, als ein Instrument der nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik. Ziel war es, „rassisch und erbbiologisch wertvolle“ Mütter und ihre Kinder zu unterstützen – aber auch, „wiedereindeutschungsfähige Kinder“ zu erziehen. Oberstes Ziel war es, „alles rassisch wertvolle Blut zur Stärkung unseres eigenen Volkstums“ einzusetzen.

Davon muss Björn Höcke erfahren haben, denn im November 2015 verbreitete er beim Institut für Staatspolitik in Schnellroda Rushtons Kernthesen aus „Rasse, Evolution und Verhalten“: Ähnlich wie in der Tierwelt gäbe es auch unter Menschen verschiedene Großgruppen (Rushtons spricht von Großrassen, Höcke vermeidet wie Sarrazin das Wort „Rasse“), die genetisch bedingt unterschiedliche Arterhaltungsstrategien hätten. In Afrika würden viele Kinder geboren, um die sich die Eltern nicht sehr kümmerten, aber durch die reine Quantität bliebe die Art erhalten. In Europa hingegen würden weniger Kinder geboren und mit der Erfindung der Familie bliebe die Art allerdings auch erhalten und zudem die Kultur erfunden. Nun aber treffe der „afrikanische Ausbreitungstyp“ auf den dekadent gewordenen „europäischen Platzhaltertypen“.

Über Maximilian Krah und Erik Ahrens

Maximilian Krah äußerte kürzlich ähnliche rassenbiologische Ansichten. Er meinte, Korruption korreliere mit Kultur und diese mit Ethnie: „Wer ethnische Afrikaner und Afghanen in die Regierung nimmt, macht die Regierung auch kulturell afrikanischer und afghanischer“. Krah wiederum hatte enge Kontakte zu Erik Ahrens, der für ihn vierzig Videos publizierte und eine Social-Media-Kampagne entwarf.

Ahrens wurde durch rassenbiologische Statements bekannt: „Junge Männer sollten gemustert und ein Jahr lang zum Wehrdienst verpflichtet werden, um je nach Eignung das Land mit ihrem Leben zu verteidigen. Ebenso könnten junge Frauen gemustert und bei Eignung zur Abgabe von Eizellen verpflichtet werden, um die Demografie zu stabilisieren. […] Denn die Person, dem diesem Körper gehört, gehört wiederum einen Staat an. Als Teil dieses Gemeinwesens hat sie die Pflicht, ihm mit ihren Eigentum zu dienen – dies umfasst auch den Leib […]“, schrieb er im Juni 2023 auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter).

Nach Protesten soll sich Ahrens von diesem Zitat distanziert haben, baute jedoch heimlich weiter sein Netzwerk auf und plante die Heranziehung einer neuen „Elite“ nach Vorbild der „SS“. Ahrens gehörte auch zu den Teilnehmer*innen der berüchtigten Potsdam-Konferenz in der Villa Adlon. Die Hotelchefin Mathilda Huss soll unter dem Pseudonym „Augusta Presteid“ selber eugenisch-rassenbiologische Thesen vertreten haben; außerdem hatte sie Maximillian Krah in die USA begleitet, um dort Kontakte zu jugendlichen Republikanern zu knüpfen.

Vom Pioneer Fund zur Human Diversity Foundation

Eine Undercover-Recherche von „Hope not Hate“ fand nun heraus, dass der Pioneer Fund in „Human Diversity Foundation“ (HDF) umbenannt wurde und dass Erik Ahrens eine führende Rolle spielt. Die Ende 2022 in Wyoming gegründete HDF will nicht nur rassenbiologisch-eugenische Forschung fördern, sondern selbst eine „Elite“ herausbilden. Ursprünglich war ja der NS-Lebensborn auch ein Vorbild vom „Pioneer Fund“. Ahrens bediente sich wörtlich bei der SS als Vorbild für seine in den Alpen oder auf dem Balkan auch mit Kampfsport geschulte „Elite“-Truppe. Daher sei die HDF anders als der Pioneer Fund formal keine „gemeinnützige Organisation“ mehr, sondern eine Limited Liability Company (LLC).

Eigentümer der HDF ist der dänische Rassenbiologe Emil Kirkegaard, der laut Spiegel nun William Engman heißen soll. Kirkegaard hat zahlreiche Artikel in Mankind Quarterly verfasst. Thilo Sarrazin, der sein rassenbiologisches „Wissen“ aus Mankind Quarterly bezieht, hatte in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ mehrfach Kirkegaard zitiert. Kirkegaard konnte sich nicht nur bei freier Kost und Logis im Hotel Adlon von Mathilda Huss aufhalten, sondern sie unterstützte ihn zudem beim Aufbau einer Unternehmensgesellschaft zur Einwerbung von Forschungsmitteln.

Kein weiter Schritt von Ahrens Denkweise zu Mengeles Handlungsweise

Die Demokratie ist von vielen verschiedenen rechten Strömungen gefährdet. Der Vize-Präsidentschaftskandidat J.D. Vance bezieht sich positiv auf austrofaschistisch-rechtskatholische Ideologien, während Elon Musk und Peter Thiel wenig mit dem Frauenwahlrecht anfangen können. NS-rassenbiologische Vorstellungen sind noch nicht ausgestorben. Wir müssen die zu verhindernde Demokratiezerstörung breit denken. Und wir können das zu Verhindernde nicht extrem genug denken. Von der Denkweise Ahrens zur Handlungsweise Mengeles ist es nicht weit.


Mit der Fertigstellung des Artikels erfuhr ich, dass soeben wieder ein AfD-Funktionär, diesmal ein Vorstandsmitglied der Jungen Alternative Sachsen, wegen der Mitgliedschaft in einer mutmaßlich terroristischen Organisation („Sächsische Separatisten“, „SS“) festgenommen wurde. Während der Festnahme fielen Schüsse, der AfD-Politiker soll zu einer Waffe gegriffen und versucht haben, sich zu verbarrikadieren. Auch zwei weitere festgenommene Personen sollen Verbindungen zur AfD haben.

Die Gruppe plante ein am Nationalsozialismus orientiertes Gewaltsystem und führte paramilitärische Übungen durch. Auch „ethnische Säuberungen“ von „unerwünschten Menschengruppen“ soll die Gruppe laut Bundesstaatsanwaltschaft geplant haben. Wir sehen also: Von Mengeles Taten bis zu ähnlichen Taten in der heutigen Zeit ist es nur ein kleiner Schritt.

TEILEN

Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell ist Kemper Mitherausgeber des 'Dishwasher-Magazins' für Arbeiter*innenkinder und recherchiert zu totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Alle Beiträge

Auch interessant

Globale Gesellschaft, Rechtsextremismus, Wahlen Der Trump-Schock Globale Gesellschaft, Montagslächeln Montagslächeln: Trump im Müllwagen Globale Gesellschaft, Klimakrise Warum gerade die COP29 in Aserbaidschan so wichtig für das Klima ist Globale Gesellschaft, Medien Wenn Journalismus zum Geschäftsmodell wird LGBTQIA*, Ostdeutschland, Rechtsextremismus „Stabile“ Bürger Erinnern, Rechtsextremismus Volkssturm kurz vor Kriegsende: Bis der letzte Mann fällt Erinnern, Rechtsextremismus Das Morden hat System Klimakrise, Rechtsextremismus Von der Klimakrise zum Rechtsruck: Was Österreichs Wahl bedeutet Globale Gesellschaft, Wahlen Wer die Wahl hat Europa, Rechtsextremismus, Wahlen Montagslächeln: Rechtsruck Österreich