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Es ist Sexarbeit

Die Musikerin und Schauspielerin Lily Allen verdient mit Fußfotos auf OnlyFans mittlerweile mehr Geld als mit ihrer Musik auf Spotify. Und sie ist nicht die einzige, die sich der Plattform zuwendet, um ein zusätzliches Einkommen zu haben. Warum das Sexarbeit ist und wir es auch explizit so benennen müssen, erklärt Sibel Schick.

Die Musikerin und Schauspielerin Lily Allen bei den Fashion Awards 2021 in der Royal Albert Hall in London, England.
Die Musikerin und Schauspielerin Lily Allen bei den Fashion Awards 2021 in der Royal Albert Hall in London, England. Foto: IMAGO / ABACAPRESS

Die britische Musikerin Lily Allen bietet auf OnlyFans Fotos ihrer Füße zum Verkauf an. Inzwischen verdient sie damit wohl mehr Geld als mit ihrer Musik auf Spotify, berichtet „Der Spiegel“. Ihre Musik hören auf Spotify monatlich über sieben Millionen Menschen. Als Musikerin hat sie bisher 31 Preise gewonnen und ist für einen Grammy nominiert.

OnlyFans ist eine Plattform, die von Sexarbeiter*innen groß gemacht wurde: 2023 verzeichnete die Plattform einen Bruttoumsatz von 6,6 Milliarden US-Dollar. OnlyFans kann als virtuelles Bordell verstanden werden. Genauso wie es in einem Bordell Menschen geben kann, die keine sexuellen Dienstleistungen anbieten, sondern Getränke mixen, kochen oder putzen, gibt es auch auf OnlyFans Menschen, die keine sexuellen Dienstleistungen anbieten und dennoch dort ihr Geld verdienen.

Der Vorteil von OnlyFans ist, dass die Arbeit in der Sicherheit der eigenen vier Wände und in der relativen Sicherheit der virtuellen Kommunikation erledigt werden kann. Auch wenn dort kein „Sex“ angeboten wird, der den heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Normen entspricht, ist das, was Lily Allen macht, der Definition nach Sexarbeit. Denn Fußfotos können als Dienstleistung angeboten werden, weil manche Menschen einen Fußfetisch haben und bereit sind, dafür Geld auszugeben. Genau genommen verdient Lily Allen also mit Sexarbeit mehr Geld als mit ihrer Musik auf Spotify. Warum ist es wichtig, dass wir diese Sache beim richtigen Namen nennen?

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Wenn die Musik nicht reicht

Lily Allen ist nicht die Einzige, die mit einem herkömmlichen Job nicht über die Runden kommt und beginnt, der Sexarbeit nachzugehen. Das ist ein gängiger Grund für viele Menschen, die in der Branche tätig sind. Dabei sollten in einer gerechten Welt alle Menschen, die arbeiten, mit Löhnen bezahlt werden, die ihre Bedürfnisse abdecken, sodass sie ohne Angst und Sorge leben können – ganz unabhängig davon, was für einer Arbeit sie nachgehen. Wir haben es jedoch mit einer Arbeitskultur zu tun, die sich kontinuierlich zum Nachteil der arbeitenden Menschen entwickelt.

Weltweit kann nur eine privilegierte Minderheit einem Beruf nachgehen, ohne sich zu verschulden oder sich kaputt zu arbeiten. Immer mehr Menschen werden mit dem Mindestlohn abgespeist, während Vorstandsvorsitzende inzwischen zwei- bis dreistellige Millionensummen pro Jahr kassieren. Immer mehr arbeitende Menschen werden in die Armut getrieben, damit die Reichen immer reicher werden können. Weniger Personalkosten durch unterirdisch schlechte Löhne und bewusste Unterbesetzung bedeutet nämlich mehr Geld für die Führungskräfte. Im Jahr 2021 erhielt ein CEO im Schnitt etwa 280 Mal mehr Geld als ein Arbeitnehmer. Dem US-amerikanischen Economic Policy Institute zufolge stieg die Vergütung von CEOs zwischen 1978 und 2018 um 940 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg das Durchschnittsgehalt der amerikanischen Arbeitnehmer*innen dagegen nur um zwölf Prozent.

Der Spotify-CEO Daniel Ek erhält zwar keinen monatlichen „Lohn“, hat aber mit seinen Anteilen an dem Musik-Giganten allein im vergangenen Jahr 345 Millionen US-Dollar für sich erwirtschaftet. Das ist mehr als jede*r Künstler*in auf der Plattform, mit deren Arbeit dieses Vermögen überhaupt erst erwirtschaftet werden konnte. Spotify bezahlt Musiker*innen oft nur 0,003 US-Dollar pro Stream eines Songs.

Nationalsportlerin mit OnlyFans-Sponsoring

Lily Allen kann man nicht mit der gewöhnlichen Sexarbeiterin in eine Schublade stecken. Sie ist eine weltweit berühmte Person, die sich nicht groß bemühen muss, um ihren OnlyFans-Account bekannter zu machen. Vor allem muss sie aber dafür nicht auf die Straße – ein Privileg, das viele nicht haben. Die Situation der Sexarbeiter*innen spitzt sich zu, wenn sie migrantisch sind, keinen sicheren Aufenthaltsstatus, ein krankes Kind zu Hause oder dazu noch eine Suchterkrankung haben. Ein Mensch, der ganz dringend Geld braucht und sich durch das Arbeiten so oder so strafbar macht, ganz unabhängig davon, welcher Arbeit er nachgeht und wie viel Stundenlohn er erhält, kann zwar auch einen ganzen Monat lang für Mindestlohn arbeiten. Allerdings wäre das weder wirtschaftlich noch aus der Perspektive der Risikoabschätzung sinnvoll. Wenn wir also über Sexarbeit sprechen, müssen wir uns die realen Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen genau ansehen.

Ende Oktober gab die Bobfahrerin Lisa Buckwitz bekannt, dass sie künftig mit OnlyFans zusammenarbeiten wird. Sie lasse sich sponsern und habe auch einen Account auf der Plattform, auf dem sie für ihre zahlenden Mitglieder Fotos postet. In einem Interview mit „Der Spiegel“ erklärt sie, dass es in ihrer Sportart schwierig sei, überhaupt Sponsoren zu finden, die Kosten aber sehr hoch seien. Lisa Buckwitz ist deutsche Nationalsportlerin und Olympiasiegerin.

Buckwitz und Ateş profitieren von Sexarbeit

Buckwitz sagt im Interview, dass sie zwar immer wieder mal Fotos mit Bikini oder im Sport-BH poste, sich aber „auf keinen Fall nackt zeigen“ würde. Diese Abgrenzung scheint sie als notwendig anzusehen, weil sich die Frage ergibt: Ist es schon Sexarbeit, sich von einer Plattform für Sexarbeit sponsern zu lassen? Immerhin wird dieses Geld ja ursprünglich durch Sexarbeit generiert.

Sie ist nicht die einzige, die sich mit der Abgrenzung gegenüber Sexarbeit in Widersprüche verstrickt. Die deutsche Imamin Seyran Ateş schreibt zwar immer mal dämonisierende Texte über die Sexarbeit für Medien wie das Emma-Magazin. Allerdings war es für sie scheinbar in Ordnung, sich 2019 von dem Geschäftsführer des Bordells Artemis einen Privatkredit über 45.000 Euro geben zu lassen – mit besseren Zinskonditionen als bei einer herkömmlichen Bank. Ateş profitierte also tatsächlich von der Sexarbeit anderer. Ist es schon Zuhälterei? Ateş würde diese Frage wahrscheinlich verneinen. Und das spielt auch keine Rolle. Wichtig ist: Sowohl Ateş als auch Buckwitz profitieren von Sexarbeit, indem sie einen Anteil von dem Vermögen, das Sexarbeiter*innen generieren, abbekommen. Indem sie sich von Sexarbeiter*innen abgrenzen, profitieren sie ein zweites Mal – diesmal durch die Heilige-Huren-Dichotomie, weil sie dann als anständig bzw. heilig erscheinen.

Ein notwendiger (Neben)erwerb

Die Debatten über Sexarbeit sind von Frauen- und Lustfeindlichkeit geprägt. Vor allem zeichnet sich eine verflachte und binäre Perspektive zum Thema aus: Sexarbeit könne es nicht geben, weil Prostitution per se Vergewaltigung und Sklaverei sei; Sexarbeit gehöre verboten. Demnach kann ja nur unzurechnungsfähig sein, wer dieser Tätigkeit freiwillig nachgeht. Aber der Kapitalismus schafft Abhängigkeitsverhältnisse und zwingt Menschen dazu, für ihre Grundbedürfnisse zu arbeiten. Im Kapitalismus ist keine Arbeit frei von Not. Die Ursache von Sexarbeit ist daher nicht anders als die anderer Arbeitsfelder: die Realität, dass wir Geld brauchen. Und manchmal muss es eben schnell gehen oder es bleibt keine andere Option übrig, sei es wegen der katastrophalen Arbeitsbedingungen, vielfältiger Ausschlüsse mehrfach marginalisierter Gruppen aus dem Arbeitsmarkt, oder der Grenzpolitik.

Verflachte Debatten führen zu falschen Problembeschreibungen, und falsche Problembeschreibungen führen zu falschen Lösungsansätzen. Verbote können die Sexarbeit nicht verhindern. Sie machen es lediglch gefährlicher und für Streetworker*innen schwieriger, an Sexarbeiter*innen heranzukommen und sie zu unterstützen. Wenn wir eine Welt aufbauen möchten, in der alle Sexarbeiter*innen absolut selbstbestimmt arbeiten, dann müssen wir fordern: dass die Arbeitsbedingungen mit der Menschenwürde übereinstimmt und Arbeit gerecht entlohnt wird, dass Migration nicht länger kriminalisiert ist und es vielfältige Wege legaler Einreisen gibt, dass Politik die verschiedenen Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen betrachtet und die Demokratie für alle gilt.

Es ist aktuell gesellschaftliche Realität, dass Sexarbeiter*innen zutiefst marginalisiert und stigmatisiert werden – und dass Lisa Buckwitz sich auf diese Weise abgrenzen muss, wenn sie als Sportlerin ernst genommen werden will. Schade ist es trotzdem. Ob dieses Sponsorengeld tatsächlich schon Sexarbeit ist, ist vielleicht eine Frage für Philosoph*innen. Viel drängender ist die Frage, warum eine weltweit berühmte Musikerin oder eine erfolgreiche Nationalsportlerin nicht genug Geld bekommen, dass sie alternative Einnahmequellen suchen müssen.

Diskurs zu unterkomplex

Lily Allen oder die drogenabhängige Migrantin – wir müssen unseren Fokus von den Sexarbeitenden nehmen und auf die realen Probleme lenken, die die Sexarbeit notwendig machen. Das sind miese Arbeitsbedingungen, unfassbar große Lohnlücken und eine immer größer und tiefer werdene Armut. Nur wenn wir der Komplexität des Sachverhaltes gerecht werden, können wir zur Lösung beitragen – alles andere wäre Populismus. Und nur wenn wir dieser Komplexität gerecht werden, können wir die Ursachen und Folgen realistisch abwägen und nachhaltige Lösungen für alle entwickeln. Sexarbeiter*innen in ihren Rechten zu stärken, stärkt nämlich die gesamte Gesellschaft.

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Autor*innen

Sibel Schick kam 1985 in Antalya, der Türkei, auf die Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Sie ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Schick gibt den monatlichen Newsletter "Saure Zeiten" heraus, in dem sie auch Autor*innen, deren Perspektiven in der traditionellen Medienlandschaft zu kurz kommen, einen Kolumnenplatz bietet. Ihr neues Buch „Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss“ erscheint am 27. September 2023 bei S. Fischer. Ihr Leseheft "Deutschland schaff’ ich ab. Ein Kartoffelgericht" erschien 2019 bei Sukultur und ihr Buch "Hallo, hört mich jemand?" veröffentlichte sie 2020 bei Edition Assemblage. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Alle Beiträge

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