Erinnern Rechtsextremismus
In Liebe gegen Hitler
Es war eines der wichtigsten Widerstandsnetzwerke gegen den Nationalsozialismus: die Rote Kapelle. Am 22. Dezember 1942 wurden führende Mitglieder hingerichtet. Der Film "In Liebe, Eure Hilde" bringt ihre Geschichte ins Kino.
Sie wollten ein besseres Leben, ein Ende des Kriegs – und wurden dafür gehängt. Heute vor 62 Jahren ermordeten die Henker des NS-Regimes elf Widerstandskämpfer*innen: Harro und Libertas Schulze-Boysen, Hans Coppi, Arvid Harnack, Kurt Schumacher, Ilse Stöbe, John Graudenz, Rudolf von Scheliha, Horst Heilmann, Kurt Schulze und Elisabeth Schumacher. Die Todesurteile hatte Hitler persönlich unterschrieben.
Wie aus einem Freundeskreis die „Rote Kapelle“ wurde
Von den Nazis wurden sie bekannt gemacht als die „Rote Kapelle“: eine vom sowjetischen Geheimdienst gesteuerte, europaweit vernetzte Widerstandsorganisation. In Wahrheit waren sie ein Berliner Freundeskreis, in der Geschichtsschreibung später auch Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe genannt. Nur wenige aus der Gruppe waren je mit dem russischen Geheimdienst in Kontakt. Harnack ziemlich sicher, Ströbe vermutlich. Die meisten, die kurz vor Weihnachten in Berlin-Plötzensee starben, waren einfach junge Menschen, die von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und dem Massenmord an Jüdinnen und Juden erfahren hatten und sie nicht länger hinnehmen wollten.
Die meisten Quellen sprechen von etwa 150 Menschen, die für die Nazis zur „Roten Kapelle“ zählten. Die verschiedenen Widerstandsgruppen hatten untereinander jedoch kaum Kontakt, wussten teilweise nichts voneinander. Neben dem Freundeskreis rund um das Ehepaar Schulze-Boysen gab es auch Gruppen in Berlin-Neukölln und Friedenau sowie im europäischen Ausland, etwa in Warschau, in Frankreich und in der Schweiz.
Eine lebendige Erinnerungskultur ist wichtig – gerade, wenn es darum geht, zukünftig Taten zu verhindern und zu warnen. Lies hier alle Beiträge im Campact-Blog, die sich mit dem Erinnern von Ereignissen, Taten oder Jahrestagen befassen.
Flugblätter und Plakate gegen Nazis
Der Freundeskreis um die Schulze-Boysens berichtete in Flugblättern, Briefen und einer eigenen Zeitung über die Verbrechen den NS-Regimes. Sie klebten Protest-Zettel an Plakate für eine Propagandaausstellung der Nazis über die Sowjetunion. Sie halfen jüdischen Menschen bei der Flucht und versteckten Verfolgte vor dem NS-Regime. Einige, wie Hans Coppi, hatten auch versucht, Funkkontakt zum sowjetischen Nachrichtendienst herzustellen – allerdings vergeblich. Für die Nazis war all das Landesverrat, der mit dem Tode bestraft wurde. Mehr als 50 Leute aus dem Freundeskreis wurden ermordet.
Hilde Coppi lebte mit ihrem Mann Hans in einer Kleingartenkolonie im Norden Berlins. Zu den illegalen Aktivitäten der Gruppe gehörte auch, dass sie seit dem Überfall von Nazideutschland auf die Sowjetunion im Juni 1941 heimlich „Radio Moskau“ hörte, um Lebenszeichen von deutschen Kriegsgefangenen zu bekommen. Das war streng verboten. Die NS-Propaganda verbreitete die Lüge, dass alle deutschen Soldaten, die sich der Roten Armee ergaben, sofort umgebracht würden. Coppi übermittelte die Informationen über lebende Kriegsgefangene, deren Namen im Radio verlesen wurden, heimlich an deren Familien in Deutschland.
In Liebe, Eure Hilde
Hilde Coppi wurde, wie Arvid Harnacks Frau Mildred und weitere Gleichgesinnte, ebenfalls im Jahr 1942 verhaftet. Weil sie schwanger war, schob man ihre Hinrichtung allerdings auf. Im Frauengefängnis Barnim brachte Coppi ihren Sohn auf die Welt.
Davon erzählt der Film „In Liebe, Eure Hilde“ ausführlich und in langsamen Bildern. Um das Engagement von Hans und Hilde, das Plakatekleben in der Nacht, die Funkversuche ins Ausland, geht es nur in Rückblenden – und auch mischt sich sehr viel Romantik und Sex zwischen die Politik. Dann kommt die Gestapo und verhaftet die Hochschwangere.
Kleine Akte des Widerstands – mit Folgen
Es folgen ewige Gefängnisszenen. Die Geburt. So lange das (deutsche) Baby ihre Milch braucht, lassen die Nazis Hilde Coppi am Leben. Diese grausame, kaltblütige Logik des NS-Regimes fängt der Film sehr gut ein. Das geht unter die Haut. Der Film endet mit in einer schier ewigen Todesszene. Hilde steht Schlange vor der Hinrichtungsbaracke in Berlin-Plötzensee. Die Sonne scheint. Dann, es ist wie eine Erlösung für die Zuschauenden, fällt das Beil.
Grausame Randnotiz: Für die Mitglieder der „Roten Kapelle“, die am 22. Dezember 1942 starben, ließ Hitler höchstpersönlich die Regeln für die Hinrichtung ändern. Eigentlich wurden zum Tode Verurteilte durch Enthauptung umgebracht, so wie Hilde Coppi. Die Schulze-Boysens und andere, die zum Kern der „Verschwörer*innen“ gezählt wurden, mussten aber langsam sterben, qualvoll am Strick erhängt.
Das zeigt, wie schwer diese an sich kleinen Akte des Widerstands – Flugblätter verteilen, Verfolgte verstecken, Funkversuche ins Ausland – für Hitler wogen. Das Netzwerk von in erster Linie Freundinnen und Freunden, das Harro und Libertas Schulze-Boysen aufgebaut hatten, war einer der ganz wenigen Orte in Deutschland, wo zwischen 1933 und 1945 überhaupt Widerstand stattfand. Und dieser wurde sofort aufs Grausamste bestraft.
Erst im Juli 1944, zwei Jahre nach der Zerschlagung der „Roten Kapelle“, versuchte eine größere Gruppe von Widerstandskämpfer*innen rund um den Nazi-Offizier Graf Schenk von Stauffenberg, Hitler zu ermorden. Erst 1945 siegten die Roten Armee und die Alliierten über Hitlerdeutschland.
Umkämpfte Erinnerung
In der Bundesrepublik wurden Überlebende aus dem Widerstandsnetzwerk wegen ihrer angeblichen Nähe zur Sowjetunion von der CIA überwacht. Westdeutsche Historiker wie Gerhard Ritter diffamieren sie als Sowjet-Spitzel. Die fehlgeschlagene Entnazifizierung machte es sogar möglich, dass der Generalrichter, der die Todesurteile gegen die „Rote Kapelle“ verhängt hatte, der als „Bluthund Hitlers“ berüchtigte Manfred Roeder, sich nach dem Krieg öffentlich als „Experte“ zum Thema Widerstand in der NS-Zeit äußern konnte. Für ihn blieben die Widerstandskämpfer*innen auch nach 45 „Landesverräter“.
In der DDR dagegen wurde die Rote Kapelle in Büchern und in einem Spielfilm („KLK an PTX – Die Rote Kapelle“, 1970) gewürdigt, dabei wurde die Rolle der sowjetischen Geheimdienste aber überbetont. So entstand in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen ein verzerrtes Bild über den Freundeskreis, der sich gegen das NS-Regime stellte.
Fokus aufs Menschliche
Ganz anders bei „In Liebe, Eure Hilde“. Ganz ehrlich: Als ich aus dem Kino kam, war ich ziemlich enttäuscht. Ich fand den Film eher unfeministisch. Denn über die politische Überzeugung von Hilde Coppi, über ihre Beweggründe, sich dem Widerstand anzuschließen, habe ich darin nichts erfahren. Im Mittelpunkt stehen Freundschaften, Flirts, Baden im See, ihre große Liebe zu Hans und die Freude auf das gemeinsame Kind.
Angesichts der bisherigen Erinnerungskultur rund um die „Rote Kapelle“ denke ich aber: In Abgrenzung dazu leistet „In Liebe, Eure Hilde“ wahrscheinlich einen wichtigen Gegenpol, eben weil der Film sich aufs Zwischenmenschliche konzentriert und Menschen zeigt, die inmitten des schrecklichsten Faschismus einen Sommer der Liebe verbringen und einfach ihrem inneren Drang folgen, das Richtige, das Menschliche zu tun.