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Es ist eine seiner ersten größeren Entscheidungen in diesem Amt: Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) hat Anfang Juli die sogenannte „Stoffstrombilanz“ abgeschafft. Die wurde erst 2018 eingeführt – übrigens unter dem damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Sie sollte dazu dienen, Felder vor Überdüngung und damit unser Grundwasser vor Belastung zu schützen. Rainer schafft die Verordnung jetzt wieder ab, weil sie viel zu bürokratisch sei, sagt er. Den Trinkwasserschutz will er trotzdem gewährleisten, mit einem nicht näher genannten „Monitoring“.

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Aber erstmal stellt sich die Frage:

Welchen Einfluss haben die Düngevorgaben auf unser Trinkwasser?

Mit der Stoffstrombilanz, auch Hoftorbilanz genannt, mussten landwirtschaftliche Betriebe ihre Nährstoffflüsse genau dokumentieren. Dabei wurden alle Nährstoffmengen, die durch Futtermittel, Düngemittel, Ernteprodukte, Milch oder Fleisch in den Betrieb gelangen, und die Mengen, die ihn wieder verlassen, erfasst und gegenübergestellt. Ziel war es, Transparenz über die Nährstoffeffizienz eines Betriebes zu schaffen und eine Überdüngung der Flächen zu vermeiden.

Parallel mussten die Betriebe auch eine sogenannte Düngerbedarfsermittlung erstellen. Die wird es auch in Zukunft geben. Bei dieser wird für jedes Feld einzeln berechnet, wie viel Dünger eingesetzt werden darf. Wissenschaftler*innen sagen, dass die Stromstoffbilanz leichter nachvollziehbar und kontrollierbar sei. In der Realität sei es außerdem so gewesen, dass die Düngebedarfsermittlung nicht immer an die Landwirtschaftsämter übermittelt und selten kontrolliert wurde. In den Ämtern könne man sich daher nicht sicher sein, ob die Werte in diesen Datensätzen wirklich korrekt sind.

Erst 2023 ist Deutschland knapp einer Strafe der EU-Kommission entgangen, weil es nicht genug gegen Nitrat im Grundwasser unternommen hat. Die Ampel-Regierung mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wollte daraufhin ein neues Düngegesetz auf den Weg bringen: Wer das Wasser belastet, sollte in die Pflicht genommen werden. Wer Wasser schützt, wird entlastet. Diese Anpassung des Düngegesetzes für ein wirksames Monitoring scheiterte jedoch im Bundesrat.

Überdüngung als große Belastung

Die Richtlinien der EU sind in Bezug auf den Grundwasserschutz ziemlich streng – zu Recht. Denn aus dem Grundwasser wird knapp 70 Prozent des Trinkwassers in Deutschland erzeugt.

Die Nitratbelastung ist in vielen Grundwasservorkommen schon viel zu hoch. Allein in NRW waren in den vergangenen Jahren 28 Prozent der Flächen betroffen, in dem durch Viehzucht besonders geprägten Niedersachsen sind es sogar mehr als 40 Prozent. In fast allen Bundesländern gibt es „rote Gebiete“, in denen die Nitratbelastung im Grundwasser zu hoch ist. 

Eine Lösung könnte sein, dass die weiter verpflichtenden Düngebedarfsberechnungen der Landwirt*innen online von Landwirtschaftsämtern gesammelt und konsequenter ausgewertet werden. So wäre auch ein zügiges Eingreifen möglich, würden die Grenzwerte überschritten.  

Warum ist ein hoher Nitratwert gefährlich? 

Nitrat ist eine natürlich vorkommende chemische Verbindung, die aus Stickstoff und Sauerstoff besteht und die Formel NO3- hat. Es ist ein Bestandteil des Stickstoffkreislaufs und kommt in Böden, Wasser und Pflanzen vor. In Maßen als Düngemittel eingesetzt, unterstützt Nitrat das Pflanzenwachstum.

Nitrat findet sich auch in Gülle, neben weiteren wichtigen Nährstoffen wie Phosphat, Kalium und Magnesium. Der Einsatz von Gülle führt zu höheren Ernteerträgen und die in der Gülle enthaltene organische Substanz bauen den Humusgehalt des Bodens auf.

Gelangt mehr Gülle auf die Felder, als Boden und Pflanzen aufnehmen können, bleiben überschüssige Nährstoffe zurück. Diese Nährstoffe gehen dann ins Grundwasser über. Werden sie nicht herausgefiltert, kann das gesundheitliche Folgen bei den Abnehmer*innen dieses Grundwassers haben. 

Ist Nitrat weiterhin in großen Mengen in gefiltertem Trinkwasser enthalten, kann es potentiell gefährlich werden. Nitrat wird im menschlichen Körper zu Nitrit umgewandelt. Das trägt zu einer verringerten Sauerstoffaufnahme im Blut bei und kann im Magen krebserregend wirken. Für Erwachsene ist die unmittelbare Gesundheitsgefahr geringer, aber insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder kann diese Umwandlung in Nitrit im Körper problematisch sein.   

Was ist noch so alles in unserem Wasser?

Nicht nur Nitrat gelangt durch Überdüngung ins Grundwasser. Auch Antibiotika, die in der Massentierhaltung genutzt werden, finden über die Gülle ihren Weg in Boden und Wasser. Ebenso Pestizide, also Pflanzenschutzmittel, welche die Landwirtschaft auf die Felder bringt. Aber auch Haushalte bringen Schadstoffe in den Wasserkreislauf ein. Unbenutzte Tabletten und flüssige Arzneimittel, die über die Toilette oder Spüle entsorgt wurden, sind ebenfalls ein Problem.

Vereinzelt können sich auch Rückstände von Blei aus Bleirohren im Trinkwasser finden. Das Schwermetall wirkt als Nerven- und Blutgift. Es reichert sich im Körper an und wirkt besonders bei Säuglingen, Kleinkindern und Schwangeren gesundheitsschädigend. Der Neueinbau von Bleirohren ist verboten, nur in vereinzelten Altbauten, die vor 1973 gebaut wurden, kann es noch Rohre aus Blei geben. Hier müssen die Eigentümer*innen dafür sorgen, dass diese Rohre bis zum 1. Januar 2026 ausgetauscht sind. 

Höhere Wasserrechnung durch Nitrat-Belastung

Die Belastung des Grundwassers und des Abwassers ist laut Bundesumweltamt für die Verbraucher*innen gesundheitlich unbedenklich, da die Versorgungsunternehmen das Wasser aufbereiten, bevor sie es als Trinkwasser in die Leitungen geben dürfen. Die Werte von Nitrat, Medikamenten und Co. sinken dadurch auf ein verschwindendes, gesundheitlich nicht bedenkliches Maß. 

Gefährlich kann es allerdings für diejenigen Verbraucher*innen werden, die Wasser aus einem Brunnen beziehen, der mit Grundwasser gespeist wird. Zudem schlägt sich die hohe Belastung auf die Wasserrechnung aller Haushalte nieder, denn die Wasserwerke müssen das Wasser dann intensiver behandeln, bevor es ins Trinkwassernetz geht.

Warum Leitungswasser trotzdem besser ist als Wasser aus Flaschen

Das Trinkwasser hat bei uns in Deutschland eine überwiegend sehr gute Qualität. Die bei der Überwachung nach Trinkwasserverordnung durchgeführten Messungen belegen, dass bei den meisten mikrobiologischen und chemischen Qualitätsparametern zu über 99 Prozent die Anforderungen eingehalten und die Grenzwerte nicht überschritten werden. Die Wasserwerke leisten hier also ganze Arbeit. 

Trinkwasser ist eines der am stärksten kontrollierten Lebensmittel in Deutschland – es wird genauer geprüft als so manches Mineralwasser. Und auch Mineralbrunnen sind nicht geschützt vor Verunreinigungen. Dazu kommt: Trinkwasser ist im Vergleich zu anderen Getränken sehr günstig. Für einen Cent bekommt man in etwa zwei Liter Trinkwasser aus der Leitung (inkl. Abwassergebühr). Handelsübliche Mineralwasser fangen etwa bei 13 Cent pro Liter an. 

Trinkwasser aus der Leitung hat, trotz Aufbereitung, immer noch die beste Öko-Bilanz. Die Verbraucherzentrale betont, die Klimabelastung durch Mineralwasser sei in Deutschland im Durchschnitt 600-mal höher als durch Leitungswasser. Dieser hohe Wert entsteht auch, weil zusätzlich Mineralwasser importiert wird. Wer trotzdem nicht auf Mineralwasser verzichten möchte, sollte laut Ökotest auf ein regionales Produkt in Mehrwegflaschen zurückgreifen. 

Wer ist Ariane Kari und was hat sie mit dem Wasser zu tun? 

Ariane Kari war bis vor kurzem noch die unabhängige Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung; ein Posten, den der vorherige Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ins Leben gerufen hatte. Kari ist gebürtig aus Pforzheim, Tierärztin, parteilos und zuvor Vize-Landestierschutzbeauftragte Baden-Württembergs. Sie verstand ihren Auftrag darin, „Tieren eine Stimme zu geben“.

Eine Petition auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, setzt sich für einen verpflichtenden Brandschutz in Tierhaltungsanlagen ein. Lies Dir hier die Forderungen der Petition durch und schließe Dich den bisher über 40.000 Unterzeichnenden an:

Kari setzte sich in ihrer Amtszeit dafür ein, die Haltungskennzeichnung für Fleisch vom Schwein auf andere Tierarten auszuweiten, also etwa auf Rind und Huhn. Auch befürwortete sie eine Videoüberwachung in Schlachthöfen, da die behördlichen Kontrollen nicht reichen würden.

Denn jemand, der sich institutionell, weisungsfrei und politisch unabhängig für die Belange von Tieren einsetzen kann – das ist etwas Neues.

Ariane Kari im März 2024 im Interview mit Utopia

Das ist jetzt vorbei. Denn Landwirtschaftsminister Alois Rainer vergab den Posten der Bundestierschutzbeauftragten intern neu. Statt Ariane Kari ist ab dem 1. September die Parlamentarische Staatssekretärin Silvia Breher (CDU) neue Tierschutzbeauftragte im Agrarministerium. 

„Die Ernennung von Silvia Breher als Bundestierschutzbeauftragte löst bei uns maximale Verwunderung aus“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Nach bisheriger Amtsbeschreibung soll die Bundestierschutzbeauftragte unabhängig beraten. Die Parlamentarische Staatssekretärin ist qua Amt zuständig für Tierschutz. Frau Breher wird wohl kaum mit sich selbst beraten können.“

Breher selbst betonte bei ihrer Ernennung zur Parlamentarischen Staatssekretärin, dass Landwirtschaft ihre DNA und Herzensangelegenheit sei, da sie aus dem durch Landwirtschaft und vor allem Viehhaltung geprägten Oldenburgischen Münsterland stamme und auf einem Bauernhof aufgewachsen sei. Von 2011 bis 2017 war die Juristin Geschäftsführerin des Kreislandvolkverbandes Vechta, der lokalen Vertretung der Landwirte in ihrem Wahlkreis. Sie steht traditionell also vor allem den Landwirt*innen nahe. 

Die Agrarindustrie freut es 

Und damit schließt sich der Kreis zurück zu den Düngevorgaben. Denn die sofortige Abschaffung der Stoffstrombilanz beseitigt nicht nur einen bürokratischen Prozess für die Landwirt*innen – sondern auch eine weitere Kontrollmöglichkeit. Davon profitieren besonders solche Betriebe, die industrielle Mastanlagen betreiben. Denn beispielsweise in der Schweinemast werden große Mengen an Gülle produziert, die häufig über die Felder entsorgt werden. Bis das bisher nicht näher definierte Monitoring greift, gibt es keine zuverlässige Kontrolle. 

Das Bundeslandwirtschaftsministerium ist mit Minister Alois Rainer und Silvia Breher als Tierschutzbeauftragten fest in der Hand von Menschen, die als Verfechter der industriellen Tierhaltung und der Agrarindustrie gelten.  

Campact setzt sich bereits seit Jahren für eine bäuerliche und ökologisch verträgliche Landwirtschaft ein – damit Böden, Wasser und Kulturlandschaft auch für zukünftige Generationen nutzbar bleiben. Die industrielle Landwirtschaft schadet Mensch und Tier. Das muss sich ändern: Wir brauchen dringend eine Agrarwende.

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Autor*innen

Linda Hopius hat Wissenschaftsjournalismus, Politikwissenschaft und Philosophie studiert. Als freie Journalistin schreibt sie zu den Themen Umwelt und Naturschutz. Dazu arbeitet sie als Naturmentorin in der Natur- und Erlebnispädagogik und berichtet darüber auf ihrem Instagram-Kanal @lindasnaturgeschichten. Für Campact arbeitet sie seit 2024 als freie Redakteurin. Alle Beiträge

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