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Der sogenannte „Rechtslibertarismus“, den ich aufgrund seiner eigentumsfanatischen und daher mangelnden freiheitlichen Einstellung „Proprietarimus“ nenne, hat einen weiteren Rückschlag erlitten: Die ideologischen Vordenker Hans-Hermann Hoppe und Guido Hülsmann haben sich vom Mises Institut verabschiedet.

Proprietarismus

Der Begriff Proprietarismus (abgeleitet von lateinisch „proprium“, zu deutsch: „das Eigene“, „das Persönliche“, „Eigentum“) bezeichnet eine Ideologie, die das Recht von Eigentümer*innen, ihre Produktionsmittel zu besitzen und möglichst uneingeschränkt zu nutzen, als wichtiger erachtet als alle anderen Rechte.

Der Proprietarismus strebt die Abschaffung des Allgemeinen Wahlrechts, also die Abschaffung der Demokratie an, da die Mehrheit nicht über das Eigentum bzw. Vermögen von Minderheiten bestimmen dürfe. Steuern seien gleichzusetzen mit Raub und der Sozialstaat, wenn nicht sogar alle Staaten, seien abzuschaffen.

Begriffserklärung von Andreas Kemper aus der „Klassismus-Wiki“.

Bis vor wenigen Jahren noch konnte die Unternehmerzentrale des inzwischen verstorbenen August Baron von Finck am Promenadenplatz in München als Hort des Proprietarismus in Deutschland gelten. So finanzierten verschiedene dort ansässige Tochterfirmen ganzseitige Anzeigen für das Monatsblatt „eigentümlich frei“. Die Proprietaristen Thorsten Polleit, Markus Krall und Christophe Lünnemann wurden Funktionäre bei Fincks „Degussa Goldhandel“. Und mit dem 2012 gegründeten Mises Institut am Promenadenplatz hatte der Proprietarismus in Deutschland plötzlichen einen gut dotierten Think Tank. Das alles war dank des Geldes von August Baron von Finck so umfangreich, dass ich dazu einen mehrteiligen Podcast (Haus des Goldes) erstellen konnte. Heute gäbe es kaum noch etwas zu erzählen – abgesehen von weiteren Auflösungserscheinungen.

Vom ThinkTank zum Verfall

Proprietaristische Strömungen haben oftmals einen Vorteil, der schnell in ein Nachteil umschlagen kann: Sie entstehen nicht als Bewegungen von vielen Menschen mit gemeinsamen Interessen, sondern sie werden mit viel Geld künstlich installiert oder zumindest mitfanziert. Damit sind diese Projekte dann abhängig von Großeigentümern. Das rechtskonservative Online-Magazin „Apollo News“ wurde wesentlich von der proprietaristischen Hayek-Gesellschaft hervorgebracht, die wiederum von der Edmund Radmacher Stiftung finanziert wird. Das mit Apollo News zusammenarbeitende Magazin NIUS wurde vom Medienunternehmer Frank Gotthardt aufgebaut. Und die eben beschriebenen poprietaristischen Bestrebungen rund um Degussa Goldhandel in München eben vom Milliardär August von Finck.

Nachdem August von Finck 2021 starb, entfernten seine Erben sämtliche Funktionäre, die auch proprietaristischen Ideologen sind. Polleit, Krall, Lünnemann und Stefan Ring durften sich neue Jobs suchen. Und auch das Ludwig von Mises Institut musste vom erlauchten Promenandenplatz in München ins fränkische Lauf an der Pregnitz umziehen.

Milei geht Hoppe nicht weit genug

Zumindest seine Tagungen möchte das Institut weiterhin am Promenadenplatz, im Bayerischen Hof, durchführen. Eine Tageskarte für die nächste Tagung am 11. Oktober kostet jetzt 400 Euro (Schüler*innen und Studierende müssen nur 200 Euro bezahlen). Dies sei dem Umstand geschuldet, dass der argentinische Präsident Javier Milei dort einen „Gedächtnispreis“ entgegennehmen wolle. Oder auch nicht, denn zwei Wochen später sind Wahlen in Argentinien – und aktuell hat Mileis Partei drastisch an Wahlstimmen verloren. Das Mises-Institut hat bereits im Vorfeld angekündigt, dass Mileis Kommen unsicher sei; das Geld gebe es aber nicht zurück, falls er den Preis doch nicht persönlich entgegen nehmen könne.

Sicher hingegen ist dem Mises Institut nun ein lang anhaltender Ärger wegen dieser Einladung. Javier Milei hat zwar seine geklonten Hunde nach bekannten „Anarchokapitalisten“ benannt (Murray, Milton, Robert und Lucas), er sieht sich aber nur in der Theorie als ein Vertreter dieser Ideologie. In der Praxis sieht er sich als „Minarchist“, der den (Sozial-)Staat weitgehend abbaut, aber einen Reststaat minimal beibehält.

Der „anarchokapitalistische“ Vordenker Hans-Hermann Hoppe stellte allerdings bereits vor Jahren während einer Tagung des Mises Instituts, übrigens zusammen mit seinem Schüler Thorsten Polleit, öffentlich klar: Der Minimalstaat sei keine Option. Der Staat und die verhasste Demokratie gehörten komplett abgeschafft und durch eine „reine Privatrechtsgesellschaft“ ersetzt.

Hoppe: Präsident habe keinen Preis verdient

Hans-Hermann Hoppe,

  • den man als treibende Kraft des Mises Instituts sehen kann,
  • der die Ehre hatte, als Erster einen Vortrag im Institut zu halten,
  • der dem Anschein nach den Institutsgründer Polleit als seinen Schüler betrachten konnte,
  • der dem Institut mit zahlreichen Interviews und Beiträgen eine Richtung gab,
  • der von Beginn an im wissenschaftlichen Beirat saß.

Genau dieser Hoppe trat nun mit Groll vom Beiratsposten zurück. Und mit ihm Guido Hülsmann. Der Grund ist die Preisverleihung an Javier Milei. Es ist unklar, warum ihre Reaktion darauf so heftig ist. Hätte nicht ein Protest mit Fernbleiben von der Preisverleihung gereicht? Vielleicht sollte Milei einen Hund klonen und ihn „Hoppe“ nennen, wenn dieser schon so standhaft in seinen Punkten ist.

Im dazu veröffentlichten Papier von Hoppe und Hülsmann heißt es, dass Milei weder als Wissenschaftler noch (zum aktuellen Zeitpunkt) als Politiker geehrt werden solle. An seiner Wirtschaftsphilosophie lassen sie kein gutes Haar. Mileis Wissen über „anarchokapitalistische Vordenker“ und die „Österreichische Schule“ sei …

… oberflächlich und mangelhaft, und sein Lob ist daher zweischneidig. In jedem Fall können wir der Öffentlichkeit nur raten, Mileis Aussagen zur Wirtschaftsphilosophie nicht als maßgeblich zu betrachten.

Auch der Wirtschaftspraktiker Milei verdiene keinenfalls einen Preis, die bisherigen Erfolge hätten nichts mit einem Ansatz aus der anarchokapitalistischen oder Österreichischen Schule zu tun. Im Gegenteil:

Der zukünftige Erfolg seiner bisherigen Politik ist höchst fraglich […], die Erfolge seiner Politik [wurden] größtenteils durch die üblichen Mittel der inflationären Staatsfinanzierung erzielt, also durch die Aufblähung der Geldmenge und der Staatsverschuldung.

Diese übliche Politik sei bislang aus guten Gründen gescheitert, darüber hinaus habe Milei den Staat zentralisiert, und zwar als „Polizeistaat“, so Hoppe und Hülsmann.

Vielleicht ist Hoppe und Hülsmann klar, dass Milei scheitern wird und sie distanzieren sich deshalb bereits jetzt, um ihre Theorie zu retten. Die proprietaristische Szene in Deutschland haben sie damit bereits jetzt gespalten. Auch der Podcaster „Der rosarote Panzer“ bezeichnet nun Milei als „Betrüger“.

Wie sieht die Zukunft des Mises Instituts in Deutschland aus?

Das Mises-Institut steht nun nicht mehr nur ohne Geld-, sondern auch ohne Content-Sponsoren da. Beim Mises Institute Alabama, dem zentralen Vorreiter aller Mises Institute – der Kaderschmiede des Proprietarismus schlechthin – sind Hoppe und Hülsmann „Senior Fellows“. Also ehrenwerte, alteingessene Theoretiker. Die im Ludwig von Mises Institut aus Lauf an der Pregnitz verbliebenen Theoretiker sind dort nur „Junior Fellow“ (Philipp Bagus) oder „Associated Scholars“ (Thorsten Polleit).

Aber letztlich ist es egal. Bereits die sogenannten Theorien der demokratiefeindlichen Theoretikern wie Murray Rothbard und Hans-Hermann Hoppe sind extrem unterkomplex. Die Zerstörung von Sozialstaat und Demokratie braucht keine Theorien. Ein purer Machiavellismus des zynischen Homo homini Lupus, des „der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ reicht völlig aus, um die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen.

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell recherchiert Kemper zu „Libertarismus“, totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten und schreibt an einem Buch zur Vorherrschaft des Adels im Antifeminismus („Die Aristokratie des Antifeminismus“). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen. Alle Beiträge

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