CDU Migration Montagslächeln Protest

Am verganenen Dienstag leistete sich Bundeskanzler Friedrich Merz einen gewaltigen sprachlichen Fehltritt. Bei einem Termin in Brandenburg sprach er unter anderem über die Migrationspolitik seiner Regierung: Da habe sie viel erreicht und die Zahlen der neuen Asylanträge reduziert. Dann fügte er hinzu: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“
Was genau er mit dem „Problem im Stadtbild“ meint, führte er nicht weiter aus – eine gefährlich unklare Formulierung, die Platz für allerlei Interpretationen lässt. Insbesondere auch, weil sie im Kontext der Migrationsdebatte fiel. Meint er damit Geflüchtete? Menschen mit Migrationsgeschichte? Menschen, die einfach nur „anders aussehen“? Oder hätte er lieber wieder ein Stadtbild wie im Sauerland der 70er-Jahre, wie es Pro Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp formuliert und Karikaturist Markus Grolik in seiner Karikatur zeigt?
Auch Ex-AfD-Chef Meuten hat Merz Stadtbild im Sinn
Was dieser „sprachliche Fehltritt“ auch offenbart: Das Gesellschaftsverständnis von Merz und seiner CDU ist sehr oberflächlich. Die Vagheit des Begriffs „Stadtbild“ ist absolute Absicht. Er greift ein unklares Gefühl der Fremdartigkeit und der Angst auf, ohne genau zu beschreiben, was damit gemeint ist. Der Begriff fungiere als beschönigender Code für „die sichtbare Anwesenheit von Menschen, die als nicht-deutsch oder nicht-weiß wahrgenommen werden, und zwar unabhängig von ihrer tatsächlichen Staatsbürgerschaft“, erklärt Nina Perkowski, Soziologin an der Universität Hamburg, auf tagesschau.de.
Dazu ist er ist eine klassische Dogwhistle. Es können sich sowohl konservative Bürger*innen darin wiederfinden, die einfach ein schönes Dorf wollen – und knallharte Neonazis, die jeden deportieren wollen, der ihnen nicht weiß genug ist. „Sie verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung“: Das sagte schon der Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels 1941 über die Juden.
Auch die AfD hat den „Stadtbild“-Begriff bereits bedient, wenn auch indirekter. 2017 sagte der damalige AfD-Chef Jörg Meuthen zum Beispiel: „Ich sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen ich mich bewege, nur noch vereinzelt Deutsche. Das kann nicht Ziel unserer Politik sein.“ Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) antwortete ihm, sie wisse nicht „was Sie sehen, denn ich kann auf der Straße Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind und solche, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, nicht unterscheiden“.
Am Wochenende Proteste in ganz Deutschland
Politiker*innen aus der Opposition, aber auch vom Koalitionspartner SPD, kritisierten die Aussage von Merz zum Stadtbild scharf. Ebenso meldeten sich Hilfsorganisationen, NGOs und Vertreter*innen von Kirchen zu Wort – und auch die Zivilgesellschaft. Am Wochenende gingen Tausende in ganz Deutschland auf die Straße, um sich für Vielfalt und gegen Hass und Hetze zu einzusetzen: unter anderem in Berlin, Potsdam, München und Frankfurt.
In anderen Städten fordern die Anwohner*innen ihre Stadtoberhäupter auf, sich öffentlich von den Aussagen von Merz zu distanzieren. Dazu haben Menschen in Osnabrück und Essen Petitionen auf WeAct gestartet, der Petitionsplattform von Campact. In Essen richtet sich die Petition an den Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), in Osnabrück an die Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU). Eine weitere Petition des Bündnisses für Demokratie Oldenburg fordert derweil Kanzler Merz direkt auf, sich von seiner Stadtbild-Aussage zu distanzieren und sich für eine Sprache frei von Hass und Diskriminierung einzusetzen.
Diese Reaktionen vom Wochenende zeigen: Die Zivilgesellschaft wehrt sich gegen Hass, Hetze und Diskriminierung – auch und gerade dann, wenn sie von oberster Stelle kommt.