Sigmar Gabriel fühlt sich falsch verstanden – unsere Reaktion
Kaum war unser Appell „Energiewende nicht absägen” an Wirtschaftsminister Gabriel draußen, schon hatten wir eine Reaktion von ihm – zu finden als Post vom 24. Januar auf seiner Facebook-Seite. Hier nun unsere Antwort (in kursiv das ursprüngliche Schreiben von Sigmar Gabriel auf Facebook): — Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Gabriel, herzlichen Dank für Ihre schnelle und […]
Kaum war unser Appell „Energiewende nicht absägen” an Wirtschaftsminister Gabriel draußen, schon hatten wir eine Reaktion von ihm – zu finden als Post vom 24. Januar auf seiner Facebook-Seite.
Hier nun unsere Antwort (in kursiv das ursprüngliche Schreiben von Sigmar Gabriel auf Facebook):
—
Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Gabriel,
herzlichen Dank für Ihre schnelle und ausführliche Antwort über Ihre Facebook-Seite auf unseren Appell „Energiewende nicht absägen!”. Sie schrieben:
Ich habe in der Vergangenheit hier auf Facebook mehrfach Campact-Aktionen unterstützt. Diesmal tue ich das nicht, weil ich finde, dass Campact – vorsichtig formuliert – nicht sauber mit den Fakten umgeht. Um das zu erläutern, muss ich ein bisschen ausholen.
Auch wir müssen ein „bisschen ausholen” um Ihnen darzulegen, dass wir sehr wohl „sauber mit den Fakten umgehen”.
Eines möchten wir vorausschicken. Für Sie und die Sozialdemokrat/innen geht es aus unserer Sicht im nächsten halben Jahr um eine Richtungsentscheidung:
Stehen Sie weiter zu dem, was Vordenker Ihrer Partei wie Hermann Scheer und Erhard Eppler einst erdacht und auf den Weg gebracht haben, die die Energiewende als dynamischen Jobmotor, als gigantische Chance für die Wirtschaft und als Königsweg aus der Klimafalle begriffen?
Oder stimmen Sie ein in den Chor der Bedenkenträger, die Ängste vor angeblich explodierenden Kosten und mangelnder Versorgungssicherheit schüren – und damit der Atom- und Kohlekraft zu einer unverhofften Renaissance verhelfen wollen? Stellen Sie sich auf die Seite des Kohleflügels Ihrer Partei, vertreten durch Hannelore Kraft und Dietmar Woidke?
Das, was Sie mit Ihrem Eckpunktepapier zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf den Tisch gelegt haben, weist leider eindeutig in die zweite Richtung – und bremst die Energiewende aus. Deswegen ernteten Ihre Pläne schon in den ersten Tagen den Widerstand von mehr als 125.000 Bürgerinnen und Bürgern.
Doch jetzt zu den einzelnen Argumenten Ihres Briefes:
In dem Campact-Appell heißt es: „Die Bundesregierung droht, die Energiewende abzuwürgen. Sie will den Ausbau von Wind- und Solarenergie deckeln und hohe Hürden für Bürgerenergie-Projekte errichten.“
Richtig ist: Wir wollen die Energiewende nicht abwürgen, sondern ihr im Gegenteil neuen Schub geben. Bei der Solarenergie wird es keine Veränderungen geben. Bei der Windenergie an Land werden wir Überförderungen abbauen – schließlich bezahlen ja alle Bürgerinnen und Bürger die EEG-Umlage. Übrigens: Nichtstun ist keine Alternative. Denn sonst droht die EU-Kommission das ganze EEG als „ungerechtfertigte Beihilfe“ zu kippen. Und das würde das Aus für die Energiewende bedeuten.
Der Energiewende „Neuen Schub zu geben” klingt gut – doch die Fakten sehen anders aus. Mit den im Koalitionsvertrag und in Ihrem Eckpunktepapier vorgesehenen Ausbauzielen würgen Sie das bisherige Ausbautempo massiv ab. 55 bis 60 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung bis 2035 – – dies fällt selbst weit hinter die Ausbauziele der schwarz-gelben Bundesregierung zurück. In Ihrem Wahlprogramm (S.36) hatten Sie noch 75 Prozent Erneuerbaren-Anteil bis 2030 versprochen.
Sie schreiben, bei der Solarenergie gebe es keine Veränderungen. Dies ist nicht richtig. Derzeit ist der jährliche Ausbau der Photovoltaik bei 3,5 GW gedeckelt. Sie wollen ihn noch weiter auf 2,5 GW herunterfahren. Dabei ist ein Deckel bei der Photovoltaik, der nach der Windenergie kostengünstigsten regenerativen Energiequelle, nicht zielführend. Die Kosten für eine Solaranlage sind von Anfang 2007 bis heute auf ein Drittel gefallen, die Einspeisevergütung sank auf ein Viertel (s. http://www.solarwirtschaft.de/fileadmin/media/Grafiken/pdf/kosten_foerderung_solarstrom.pdf).
Sie schreiben, bei der Windenergie an Land Überförderungen abbauen zu wollen. Dies ist ein richtiges Anliegen – wenn es denn nur um Überförderungen etwa an küstennahen Standorten ginge. Aber Ihr Eckpunktepapier geht weit darüber hinaus. Sie beabsichtigen den Ausbau bei 2,5 GW zu deckeln und das dynamische Wachstum dirigistisch abzuwürgen. Ausgerechnet heute, wo Windkraft an Land so ausgereift und preisgünstig ist wie noch nie, soll sie künstlich begrenzt werden.
Zudem kritisieren wir, dass die vorgesehene Kappung der Einspeisevergütung ab einem Referenzertragswert von 77,5 Prozent droht, den Ausbau der Windkraft in Süddeutschland fast vollständig zum Erliegen zu bringen. Und dies, obwohl dort der Strom am dringendsten gebraucht wird. Statt verbrauchsnah Strom zu erzeugen, müsste dieser über weite Distanzen aus dem Norden her transportiert werden. Hierfür wären teure zusätzliche Netzkapazitäten von Nöten.
Einig sind wir uns in der Feststellung: „Nichtstun ist keine Alternative.” Im nächsten Satz jedoch auf das Beihilfe-Verfahren der EU zu verweisen, geht an der Realität vorbei. Denn Hauptgrund für die Einleitung des Verfahrens sind die ausufernden Befreiungstatbestände für die Industrie, die wettbewerbsverzerrend wirken. Doch hierauf finden wir in Ihrem Eckpunktepapier keine eindeutige Antwort. Folglich: Nichtstun ist keine Alternative, aber es kommt eben darauf an, das Richtige zu tun.
Campact schreibt: „Der Atomausstieg kommt wieder unter Druck.“
Wer mir indirekt unterstellt, ich hege irgendeine Sympathie für die Atomkraft, kann in den letzten Jahren eigentlich keine Zeitung gelesen haben. Und was die Kohle angeht: siehe unten.
Herr Gabriel, wir unterstellen Ihnen nicht, Sympathien für die Atomkraft zu hegen. Wir befürchten allerdings, dass spätestens 2022 eine neue Diskussion um Laufzeitverlängerungen beginnen wird, wenn die Energiewende, so wie von Ihnen vorgesehen, massiv verlangsamt wird. Nach dem jetzigen Atomausstiegs-Fahrplan sollen 2022 innerhalb von zwölf Monaten sechs Reaktoren vom Netz gehen. Wenn der Ausbau der Erneuerbaren viel langsamer als bisher geplant erfolgt, dann wird wieder die Debatte entstehen, sie noch länger laufen zu lassen. Und genau das wäre die Folge der von Ihnen ausgebremsten Energiewende.
Campact schreibt: „Gestalten Sie die Energiewende zukunftsfähig und preiswert“.
Genau das habe ich vor. Ein kleiner Hinweis: Das Prinzip, auf der einen Seite nach niedrigeren Kosten zu rufen und gleichzeitig alle Kostensenkungen abzulehnen, kommt mir bekannt vor. So haben in der Vergangenheit manche Lobbyisten argumentiert. Wenn ich mich richtig erinnere, fand es auch Campact nicht sonderlich glaubwürdig, wenn die gleichzeitig nach niedrigeren Steuern und staatlichen Mehrausgaben für Infrastruktur und Bildung gerufen haben.
Den Zubau bei Solarenergie und Windkraft an Land zu begrenzen, erzeugt maximalen Schaden bei minimalem Nutzen. Denn diese beiden Erneuerbaren sind mittlerweile so günstig, dass ein weiterer Ausbau die EEG-Umlage kaum noch ansteigen lässt. Wenn Sie wirklich Kosten senken wollen, dann streichen Sie massiv bei den Industrierabatten. Und lassen Sie die Kohlekraft endlich für ihre Folgekosten aufkommen. Würde beispielsweise die Klimaschädlichkeit von hohem CO₂-Ausstoß eingepreist, stiege der Preis an der Strombörse. Für die Erneuerbaren müsste durch gesunkene Differenzkosten entsprechend weniger EEG-Umlage gezahlt werden – und die Verbraucherinnen und Verbraucher wären entlastet.
Campact schreibt: „Sorgen Sie dafür, dass die günstigsten Erneuerbaren Energien, Photovoltaik und Windkraft an Land, durch verlässliche Rahmenbedingungen dynamisch ausgebaut werden – möglichst dezentral und in der Hand der Bürger/innen“.
Genau das ist eines der wesentlichen Ziele meiner Reformvorschläge.
Herr Gabriel, mit Ihren Plänen zur EEG-Reform werden Sie das Gegenteil erreichen. Ihre Reformvorschläge verhindern, dass Erneuerbare weiter dezentral und in der Hand der Bürger/innen ausgebaut werden: Durch Ausbaudeckel, verpflichtende Direktvermarktung und Ausschreibungsmodelle werden Investitionsunsicherheiten für Bürger/innen und Bürgerenergieprojekte massiv erhöht – und damit steigen die Risikoaufschläge bei der Finanzierung, sprich die Zinsen für Bankkredite. Dies macht das Errichten von Anlagen für kleine Akteure zu riskant.
Die Folge: Die Kleinen werden zugunsten der Großen aus dem Markt gedrängt. Bürgerenergie-Projekte haben kaum mehr eine Chance, realisiert zu werden. Doch nur wenn die Bürger/innen sich an der Energiewende aktiv beteiligen, findet sie auch vor Ort Akzeptanz. Und nur dann profitieren die Bürger/innen, etwa als Teilhaber/innen von Bürgergenossenschaften – anstelle von Konzernen und Großinvestoren, deren Kassen klingeln. Genau das ist die emanzipatorische Kraft einer Bürger-Energiewende – und diese droht mit Ihren „Reformvorschlägen” völlig unter die Räder zu kommen.
Campact schreibt: „Sorgen Sie dafür, dass energieintensive Unternehmen nur dann von ihrem Beitrag zur Energiewende befreit werden, wenn sie in eine bedrohliche Wettbewerbssituation geraten“.
Genau das habe ich vor. Seit 10 Jahren werden Industrieunternehmen, die besonders viel Strom verbrauchen und im internationalen Wettbewerb stehen, von der EEG-Umlage befreit. Dieses Prinzip will ich beibehalten. Aber ich will dieses Privileg auf solche Unternehmen beschränken, die aufgrund ihrer Wettbewerbssituation wirklich darauf angewiesen sind. Denn je mehr Firmen befreit sind, desto mehr müssen die einzelnen Verbraucher bezahlen.
Wenn zutrifft, was dem Spiegel (Ausgabe 5/2014) zu entnehmen ist, dann planen Sie, die Befreiung von Industrierabatten auf Unternehmen aus 15 Industriezweigen zu begrenzen. Das wäre nach der inflationären Ausweitung der Industrierabatte durch die schwarz-gelbe Bundesregierung ein großer Fortschritt, was wir ausdrücklich begrüßen. Sinnvoll wäre es allerdings, Befreiungen bei der EEG-Umlage und bei den Netzentgelten an erhebliche Anstrengungen für mehr Energieeffizienz zu knüpfen.
Campact schreibt: „Sorgen Sie dafür, dass Kohlekraftwerke für ihre wahren gesellschaftlichen Kosten aufkommen müssen – über einen funktionierenden Emissionshandel oder eine CO₂-Steuer.“
Genau dafür setzen wir uns ein. Wir wollen den Emissionshandel so reformieren, dass der Markt wieder funktioniert. Heute sind viel zu viele Zertifikate verfügbar – das hat die Preise ins Bodenlose fallen lassen und ist der Grund für den gegenwärtigen Boom der Kohlekraft. Wir treten ein für ein europäische Klimaziel von mindestens 40 Prozent bis 2030 und einen Emissionshandel, der geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen.
Herr Gabriel, wir begrüßen es, dass Sie sich dafür aussprechen, den Emissionshandel so zu reformieren, dass er wieder funktioniert. Doch leider erfüllen dies die im Koalitionsvertrag vereinbarten Eingriffe nicht. Die vorübergehende Entnahme von 900 Millionen überschüssigen Verschmutzungszertifikaten wird bei Weitem nicht ausreichen, den Preis für CO₂ in eine klimapolitisch angemessene Höhe zu bringen. Nötig ist vielmehr die dauerhafte Entnahme von weiteren zwei Milliarden Zertifikaten. Doch derlei Eingriffe und eine grundlegende Reform werden im Koalitionsvertrag leider explizit ausgeschlossen.
Daher fordern wir Sie auf, in der EU für eine grundlegende Reform des Emissionshandelssystems schon vor 2020 einzutreten. Klar ist aber auch, dass eine tiefgreifende Reform im Konsens mit allen anderen EU-Staaten schwierig werden wird. Deshalb braucht es auch weitere Maßnahmen. In Ihrer Zeit als Bundesumweltminister hatten wir ein gemeinsames Treffen mit Ihrem heutigen Staatssekretär und damaligen DUH-Geschäftsführer Rainer Baake, um über wirksame Hürden für Kohlekraftwerke zu sprechen: Mindestwirkungsgrade für Altanlagen, festgelegt im Bundesimmissionsschutz-Gesetz . Mehr als 30.000 Campact-Aktive hatten sich seinerzeit dafür ausgesprochen. Sie, Herr Gabriel, fanden das damals einen sehr spannenden Ansatz.
Herr Gabriel, Mindestwirkungsgrade, CO₂-Emissionsgrenzwerte, eine CO₂-Steuer – derlei Maßnahmen braucht es jetzt dringend, um der gegenwärtig wieder ansteigenden Braunkohle-Verstromung Einhalt zu gebieten. Das ist schon heute national umsetzbar und muss nicht über die EU implementiert werden. Zudem benötigen wir neben dem Atom- auch einen Kohle-Ausstiegsplan – so wie dies Ihr Parteifreund Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, letzte Woche forderte.
Also, liebe Campact-Leute: In vielen Punkten sind wir inhaltlich gar nicht so weit auseinander. Auch deshalb ist die Behauptung, ich wolle die „Energiewende absägen“, schlicht absurd. Ich finde: Man sollte auch bei so emotionalen Themen Argumente austauschen – und nicht auf Verunglimpfungen setzen.
Also, lieber Herr Gabriel: In vielen Punkten sind wir leider doch weit auseinander:
- Ihre Reform bremst den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus und deckelt den Zubau bei den günstigsten Erneuerbaren – Sonne und Wind.
- Ihre Reform ist kostentreibend, nicht kostensenkend: Investitionen in Erneuerbare werden riskanter, Erneuerbare werden teurer durch steigende Risikoprämien auf Kredite.
- Ihre Reform bremst die Bürger-Energiewende aus.
- Ihre Reform bietet keine effektive Handhabe gegen steigende Emissionen durch Kohlemeiler, während flexible Gaskraftwerke stillgelegt werden.
Gerne führen wir die Debatte mit Ihnen weiter und freuen uns über eine weitere Antwort, die wir gerne den Unterzeichner/innen des Appells zugänglich machen. Und wir setzen darauf, dass Sie in der Überführung des Eckpunktepapiers in ein Gesetz grundsätzliche Veränderungen vornehmen – sodass die Energiewende wirklich neuen Schub erhält.
Mehr als 125.000 Menschen haben den Appell schon in den ersten Tagen unterzeichnet. Wir würden uns sehr freuen, Ihnen den Appell öffentlich überreichen zu können und stehen gerne auch für ein Gespräch zur Verfügung. Wir bitten Sie, uns in den nächsten Tagen einen entsprechenden Termin zu nennen.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Bautz, Geschäftsführender Vorstand Campact e.V.
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