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Melderecht: Dran bleiben bis zum Bundesrat!

Wow: Gerade einmal zwei Tage ist unser Online-Appell alt, und es haben schon mehr als 120.000 Menschen unterzeichnet! Der massenhafte Protest zeigt, dass Datenschutz und Privatsphäre vielen Menschen wichtig ist – und dass es sie empört, auf welche Weise solch sensible Fragen im Bundestag entschieden werden. 57 Sekunden dauerte die Abstimmung über das Gesetz an […]

Wow: Gerade einmal zwei Tage ist unser Online-Appell alt, und es haben schon mehr als 120.000 Menschen unterzeichnet! Der massenhafte Protest zeigt, dass Datenschutz und Privatsphäre vielen Menschen wichtig ist – und dass es sie empört, auf welche Weise solch sensible Fragen im Bundestag entschieden werden. 57 Sekunden dauerte die Abstimmung über das Gesetz an einem späten Donnerstag Abend, bei der gerade einmal ein Häuflein Abgeordneter anwesend war. Abgestimmt wurde dabei über einen Paragraphen, der die ursprünglich geplante datenschutzfreundliche Regelung zum Umgang mit Meldedaten komplett auf den Kopf stellt.

Mit etwas Verzögerung ist inzwischen ein Proteststurm über die Regierungskoalition hinweg gefegt. Nahezu überall wird ihr Kniefall vor der Adress-Lobby mit Entrüstung, Fassungslosigkeit oder Spott quittiert. Regierungssprecher Seibert verkündete am Montag, die Regierung hoffe darauf, die Regelung werde im Bundesrat wieder gekippt. Aus etlichen Bundesländern kam die Ankündigung, die Regelung im Bundesrat nicht zu unterstützen. Auch Bundesinnenminister Friedrich äußerte sich zuletzt kritisch, nachdem er zunächst für das verabschiedete Gesetz geworben hatte. Selbst die FDP-Abgeordnete Piltz, die die Änderungen gemeinsam mit dem CSU-Innenpolitiker Uhl eingebracht hatte, zeigt sich nun kompromissbereit. Plötzlich will einfach niemand mehr verantwortlich sein.

CSU-Politiker Uhl verteidigt das neue Gesetz weiterhin. Eine Einwilligungslösung würde jegliche Anfragen an Meldebehörden erschweren, erklärte er gestern in einem Interview im Deutschlandfunk. Dabei geht es bei der umstrittenen Klausel überhaupt nicht um jegliche Anfragen, wie etwa von ehemaligen Mitschülern oder Familienangehörigen, sondern um die Weitergabe von Daten an Werbetreibende und Adress-Händler. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf war dies nur mit vorheriger Einwilligung möglich – nun soll die Weitergabe von Daten auch zum Zwecke der Werbung und des Adress-Handels die Regel sein. Widersprüche gegen die Weitergabe sollen nicht greifen, wenn bereits vorhandene Adressdaten aktualisiert werden. Da man für eine Melderegisterauskunft stets bereits vorhandene Daten benötigt, gilt der Widerspruch also praktisch nie. Wem also nützt die Neuregelung? Den Adress- und Werbe-Firmen.

Als Rückmeldung auf unsere Kampagne erreichte uns der Hinweis, dass sich mit der Neuregelung nichts ändere – warum also die Aufregung? Im derzeitigen Melderahmengesetz ist tatsächlich bislang geregelt, dass Daten auch an Adress-Händler und Werbetreibende weitergegeben werden können. Lediglich der automatisierten Datenweitergabe konnte man widersprechen. Das Gesetz ist jedoch von 1980 und so veraltet, so dass eine Überarbeitung – insbesondere was den Datenschutz angeht – notwendig wurde. Der Gesetzentwurf des Innenministeriums enthielt deshalb auch die datenschutzfreundliche Einwilligungslösung. Genau dieser Paragraph 44 wurde im Innenausschuss des Bundestags einen Tag vor der endgültigen Abstimmung ins genaue Gegenteil verkehrt. In Bezug auf den ursprünglichen Entwurf ist das verabschiedete Gesetz also ein massiver Rückschritt.

Kritische Stimmen von (fast) allen Seiten – ist unser Kampagnenziel also nun bereits erreicht? Nein! Denn noch hat der Bundesrat den umstrittenen Paragraphen nicht gekippt. Andere Kampagnen zeigen uns, dass hehre Absichtserklärungen durchaus ins Wackeln geraten können. So etwa beim Steuerabkommen mit der Schweiz, als die SPD-geführten Länder im Frühjahr dem umstrittenen Abkommen beinahe zugestimmt hätten.

Wir bleiben daher weiter dran, bis die Einwilligungslösung im Meldegesetz verankert ist – ohne Hintertürchen. Voraussichtlich im Herbst steht das Gesetz im Bundesrat zur Abstimmung. Fällt es dort durch, würde es im Vermittlungsausschuss neu verhandelt. Wir müssen dafür sorgen, dass dort keine faulen Kompromisse beschlossen werden – sondern Datenschutz im Melderecht zur Pflicht wird. Bis dahin wollen wir möglichst viele Unterschriften unter unserem Appell versammeln. Helfen Sie mit, und leiten Sie unseren Appell an Freund/innen und Bekannte weiter!

PS: Es ist übrigens gar nicht mal so unüblich, dass Abstimmungen über vermeintlich unwichtige Gesetze von wenigen Abgeordneten getroffen werden. Die benötigte “einfache Mehrheit” für ein Gesetz ist ganz einfach die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten. Zwar ist nach der Geschäftsordnung des Bundestages das Parlament nur dann beschlussfähig, „wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist“. Doch die Beschlussfähigkeit wird nur in den seltensten Fällen angezweifelt (etwa bei der Abstimmung über das umstrittene Betreuungsgeld). Einen lesenswerten Kommentar von Sascha Lobo dazu auf Spiegel Online finden Sie hier.

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10 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Erst im Zuge der aktuellen Diskussionen habe ich herausgefunden, dass solche Anfragen schon heute möglich sind. Einfach einen schriftlichen Antrag beim zuständigen Meldeamt stellen, schon bekommt man einen ausführlichen Datensatz zur gesuchten Person.

    Der Protest sollte noch viel viel größer sin und durch diverse Aktionen begleitet werden, z.B. durch LEGALE veröffentlichung persönlicher Daten unserer Politiker und Beamten.

    Ich ziehe in erwägung, mich aus dem Register abzumelden. Geht nicht? Doch .. man meldet sich in seiner Stadt ab und einfach nicht wieder an!

  2. Ich sehe einen deutlichen Verfassungsbruch durch den aktuellen Gesetzentwurf und hoffe, dass es mindestens eine Klage beim BVerfG geben wird, falls die Interessenten für die grundsätzliche Datenfreigabe sich doch noch durchsetzen sollten!

    Wie im Folgenden ausgeführt widerspricht m.E. der aktuelle Meldegesetz-Änderungs-Entwurf m.E. BVerfGE 65, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 8 Abs. 1 Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK):

    Wie vom BVerfG im BVerfGE 65, 1 bestätigt, handelt es sich bei der Informationellen Selbstbestimmung um ein Datenschutz-Grundrecht, das im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht ausdrück­lich erwähnt wird. Personenbezogene Daten sind auch nach Art. 8 der EU-Grund­rechte­charta geschützt.
    Ausgangspunkt für das Bundesverfassungsgericht ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, also Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

    „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

    Nach Ansicht des Europäischen Parlamentes leitet sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch aus Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ab:

    „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“

    Gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG sind Grundrechte ausschließlich „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ einschränkbar. Neben Art. 19 Abs. 1 ist auch Abs. 2 zur Auslegung relevant und wichtig:

    „(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

    (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“

    Art. 2 Abs. 1 GG, worunter die so genannte „informationelle Selbstbestimmung“ durch das Volkszählungs­urteil subsumiert wird, ist nicht gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG einschränkbar, sondern es wird aus­schließlich unter der Berücksichtigung seiner verfassungsimmanenten Schranken gewährt, also soweit „nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz“ verstoßen wird.

  3. [Zitat] Uhl selbst teilt mit: „Es gibt laut höchstrichterlicher Rechtsprechung in Deutschland kein Recht, sich zu verstecken.“
    [Zitatende]

    Alle BT Abgeordneten, mit eigener HP, verstecken sich hinter der Adresse:
    Platz der Republik 1, 11011 Berlin

    wobei sie selbst dort nie und nimmer wohnen!

    Es wird Zeit, dass sich CSU-H.P. Uhl und FDP-Frau Gisela Piltz nicht hinter der Berliner Adresse verstecken, sondern ihre Wohnadresse mit Telefonnummer angeben.

  4. Ich habe zwar den Aufruf unterschrieben, aber so recht verstehe ich die Aufregung nicht, habe auch keinen Zettel am Briefkasten „keine Werbung“, denn ich bin dankbar für Information.

    Werbung ist nichts anderes als Information und tut nicht weh. Aufgeklärte und kluge Bürger_innen müssen nur wissen, wie damit umzugehen ist.

    Gelogen wird in der Werbung ständig.

    Jede Person kann übrigens gegen Gebühr eine Meldeauskunft einholten.

    Also wer keine Information/Werbung will sollte sich in die Robinsonliste eintragen und fordern, dass man aus Listen ausgetragen wird, was funktioniert.

    Ein weitergehender und vielleicht richtiger Schritt wäre zu fordern, die MeldePFLICHT abzuschaffen, was braucht der Staat zusätzlich die Information er erhält auch so alle Daten über Finanzämter, Kranken-, Rentenversicherung usw.

    In Frankreich gibt es KEINE Meldepflicht, hat den Nachteil, dass man Leute schwerer findet, auch Schuldner.

    Also warum die große Aufregung?

    Gegen das Zustandekommen dieser Regelung kann man schon protestieren, aber das machen auch schon Abgeorndnete, die sich übergangen fühlen.

  5. Das die Daten von Personen, die bei dem Meldeamt erfaßt sind,mir nichts dir nichts einfach so herausgegeben werden dürfen, muß unterbunden werden, in dem es sehr harte geldmäßige Strafen für so was gibt, dass jeder überlegen sollte, es überhaupt nur zu wagen, es zu veranlassen.
    Mike Feder

  6. Facebook
    Guten Tag,
    ich verstehe nicht, wieso auf einer offiziellen Campact-Seite auf eine Protestmöglichkeit über Facebook hingewiesen wird. Wenn Campact an der Bewahrung des „informationellen Selbstbestimmungsrechts“ (BVerfG) interessiert ist, sollte zumindest ein Warnhinweis auf die Gefahr der Preisgabe weiterer persönlicher Daten hingewiesen werden, wozu natürlich auch der Protest gegen Datenweitergabe gehört. Wer das dann freiwillig dennoch macht, darf sich dann nicht wundern.
    Mit freundlichem Gruß
    Karl Simons

  7. Liebe MitstreiterInnen,
    ich möchte im Sinne des obigen Beitrages ebenfalls darauf hinweisen, dass auch nach den bisherigen landesrechtlichen Regelungen, der Abruf von Daten bei den Meldeämtern so ziemlich für jeden möglich ist, ohne dass es für die BürgerInnen hierfür ein aktives Widerspruchsrecht gibt. Ein Beispiel aus Flensburg und mehr hierzu auch unter: http://akopol.wordpress.com/2012/07/09/meldegesetz-und-datenhandel-burgerrechte-mal-eben-so-durchgerutscht/

  8. Die Campact-Kampagne und Ihr Appell greifen leider zu kurz. Es geht nicht allein um die Weitergabe von Meldedaten der Bürger an Adressenhändler und die werbungtreibende Wirtschaft, sondern generell um die Melderegisterauskunft.

    Melderegisterauskünfte erhalten auf Antrag nicht nur Unternehmen, sondern auch Privatleute. Jedermann kann die sog. melderechtlichen Basisdaten – Name, Vorname, Titel und vor allem die aktuelle Anschrift – eines in Deutschland gemeldeten Einwohners abrufen. Der Auskunftssuchende muss dafür keinen Grund oder den Verwendungszweck angeben, ja nicht einmal seine Identität nachweisen. Der betroffene Bürger wird darüber auch nicht informiert oder um seine Einwilligung gefragt.

    Deshalb können sich mit Hilfe der Melderegisterauskunft nicht nur frühere Schulfreunde, sondern eben auch neugierige Fremde oder noch schlimmer Stalker, Gewalttäter und andere Kriminelle die aktuelle Anschrift ihres Opfers beschaffen, und das völlig problemlos.

    Aus diesem Grund brauchen wir ein generelles Widerspruchsrecht der Bürgerinnen und Bürger gegen die Erteilung von Melderegisterauskünften an Dritte und nicht nur gegen die Datenweitergabe an Unternehmen. Dieses Widerspruchsrecht darf nur durchbrochen werden, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse nachweist, z.B. eine offene Forderung oder eine gewichtige Familienangelegenheit.

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