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Queere Held*innen: The Blood Sisters

Die Welt ist voll von queeren Held*innen. Viele Geschichten sind bekannt, andere nicht. Im Campact-Blog wurde noch keine von ihnen erzählt. Das ändert sich nun. Den Anfang machen die Blood Sisters aus San Diego.

Das Foto zeigt drei Frauen. Eine liegt auf einer Liege. Rechts neben ihr steht eine Frau in einem weißen Kittel und nimmt ihr Blut ab. Links neben der Frau auf der Liege steht eine weitere Frau, die ihr über den Kopf streicht und sie anschaut.
Eine "Blood Sister" bei der Blutspende. Foto: Lambda Archives of San Diego (LASD)

Für mich sind die 1980er die Jahre meiner Kindheit. Voll mit wohligen Erinnerungen in gelb-braun-Tönen, dem Gefühl von Cordstoff auf der Haut und dem Geruch von Weichspüler in der Nase. Auf Netflix und Prime verstärken Serien wie Stranger Things, Red Oaks oder Glow dieses Gefühl. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Es war das Jahrzehnt, in dem die Aids-Katastrophe die Welt durcheinander wirbelte und sich zu einer globalen Pandemie entwickelte.

Das große Sterben

HIV und Aids verbreiteten sich zunächst vor allem in schwulen und trans* Communities. Wie sehr das große Sterben die Szene erschütterte, können wir uns heute kaum vorstellen. Dabei hatte sie sich in den Jahren zuvor viele Freiheiten erkämpft, vor allem in Ländern wie den USA, aber auch in Deutschland. Nun tötete Aids eine ganze Generation queerer Menschen. Allein 1992 starben in San Francisco 1.200 Männer an Aids – für Männer zwischen 25 und 44 Jahren war es die Todesursache Nr. 1. 

Die Reaktion der Gesellschaft war brutal, vor allem in den ersten Jahren. Unwissen, Vorurteile und Homophobie erzeugten ein grausames Klima. Neben Mitgefühl fehlte es vor allem an Medikamenten und Behandlungsmethoden. Stattdessen litten die Erkrankten unter Stigmatisierung, Ausgrenzung und Hass – auch in Krankenhäusern. Zehntausende starben einsam und ausgegrenzt. 

In dieser Zeit waren es vor allem schwule Männer, die sich um die Patienten kümmerten – Partner, Freunde, Wahlfamilien. Doch nicht nur die Community rückte enger zusammen. Neben heterosexuellen Verbündeten, Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen waren es auch viele lesbische und bisexuelle Frauen, die sich bereits kurz nach Ausbruch der Pandemie mutig und solidarisch zeigten – als der Rest der Welt den Sterbenden noch demonstrativ den Rücken zudrehte.

Blut für die Brüder

So wie die Blood Sisters aus San Diego. 1983 von lesbischen Aktivistinnen gegründet, war das Ziel der Gruppe, Blutspenden für schwule Männer und andere Menschen mit Aids zu sammeln. Denn die Patient*innen waren oft anämisch und benötigten häufig Bluttransfusionen. Gleichzeitig herrschte in den USA Blutmangel – und schwule Männer waren seit 1983 von der Blutspende ausgeschlossen.  

Wendy Sue Biegeleisen, Nicolette Ibarra und Barbara Vick organisierten die erste Blutspendeaktion in der südkalifornischen Küstenstadt. Sie rechneten mit gerade einmal 50 Teilnehmerinnen, tatsächlich kamen rund 200 lesbische Frauen. Sie alle wollten helfen. Der Clou: Die Blood Sisters hatten ein Konto bei einer privaten Blutbank eingerichtet. Das erlaubte es den Spenderinnen, selbst zu entscheiden, wohin ihr Blut gehen sollte – und zwar an Menschen mit HIV und Aids.

In einer Zeit, in der die meisten Menschen für Aids-Patienten nur Abscheu oder bestenfalls Gleichgültigkeit übrig hatten, öffneten die Frauen aus San Diego ihre Herzen (und Adern) – damit inspirierten sie andere Gruppen im ganzen Land. Die Blood Sisters setzten ihre Arbeit bis in die 90er Jahre fort, als die ersten wirksamen Aids-Medikamente ihren Durchbruch hatten.

Das L rutscht nach vorne

Es war der Ausbruch der Aids-Pandemie, der eine solidarische Verbindung zwischen schwulen Männern und lesbischen Frauen entstehen ließ, die es vorher in der Form nicht gegeben hatte; viele lesbische und bisexuelle Frauen fühlten sich damals der feministischen Bewegung viel näher als der Schwulenbewegung,

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Ein sichtbares Zeichen dieses Zusammenwachsens begegnet uns übrigens immer noch regelmäßig im Alltag. In den 1980ern hatte sich in den USA die Abkürzung GLTB für gay, lesbian, bisexual, transgender durchgesetzt. Einer der Gründe, warum daraus in den späten 90ern LGBT wurde, war das Engagement der lesbischen Frauen. Auch sie saßen an Krankenhausbetten und pflegten Sterbende, während andere sich nicht einmal trauten, das Zimmer der Patienten zu betreten. Sie sorgten für Kleidung, Essen und Wohnraum. Sie übernahmen in vielen LGBT-Communities die Aufgaben derer, die gestorben waren – und vor allem übten sie als Lobbyist*innen und Aktivist*innen politischen Druck aus.

Es waren Frauen wie die Blood Sisters aus San Diego, die den an Aids erkrankten Menschen einen Teil ihrer Würde zurückgaben – lange, bevor der Rest der Gesellschaft soweit war. 

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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