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Die Queen von Manhattan

Die Welt ist voll von queeren Held*innen. Viele Geschichten sind bekannt, andere nicht. Höchste Zeit, dass einige von ihnen im Campact-Blog erzählt werden. So wie die von Crystal LaBeija: Schönheitskönigin, Drag Queen und Aktivistin im New York der 70er und 80er Jahre. Sie wehrte sich gegen Rassismus und Diskriminierung – und veränderte so die queere Subkultur.

Crystal LaBeija in der Dokumentation The Queen.
Crystal LaBeija (vorne) in der Dokumentation THE QUEEN von 1968. Foto: IMAGO/Everett Collection

Ein glitzerndes Band hält die aufgetürmten Haare zurück – und gibt den Blick frei auf das Gesicht von Crystal LaBeija. Dort ist vor allem eins zu sehen: Wut. Die New Yorkerin ist soeben von der Bühne eines Schönheitswettbewerbs gestürmt und läuft durch die Gänge der New York Town Hall. Die Jury rund um Andy Warhol hat kurz zuvor die Platzierung verkündet und Crystal auf den vierten Platz gesetzt. Damit ist die Drag Queen nicht einverstanden. 

Wir sind im Jahr 1967, zwei Jahre vor den Stonewall-Unruhen. In Manhattan haben sich Drag Queens aus dem ganzen Land versammelt – zum Miss All-America Camp Beauty Contest. Eine der Kandidatinnen ist Miss Manhattan Crystal LaBeija. Der Regisseur Frank Simon hat den Wettbewerb für seinen Film The Queen begleitet und dabei auch den Wutausbruch von LaBeija eingefangen. Der Grund: Wieder einmal hatte eine weiße Queen den Wettbewerb gewonnen. 

„Ich weiß, dass ich schön bin“

Für die Schwarze trans Frau Crystal LaBeija war das keine neue Erfahrung. Doch nun hat sie den Rassismus satt, der nicht nur die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch die Drag-Szene dominiert. Die Jury bestand meist aus weißen, männlichen Juroren; von nicht-weißen Teilnehmer*innen wurde erwartet, die Gesichter aufzuhellen. „I have a right to show my color, darling,“ bringt es Crystal im Film The Queen auf den Punkt. „I am beautiful and I know I’m beautiful.“

Mehr Beiträge zu queeren Held*innen und LGBTQIA+ -Themen kannst Du hier lesen.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Lottie rief sie deshalb 1972 „The 1st Annual House of LaBeija Ball“ ins Leben. Die gegenkulturelle Bewegung der „ballroom culture“ gab es damals schon länger. Die Bälle boten den zumeist afro- und lateinamerikanischen Teilnehmer*innen Zuflucht vor Homophobie, Rassismus und Transphobie. Zwischen den 1960ern und 1980ern entwickelten sich die Veranstaltungen weiter – aus Schönheitswettbewerben wurden Events, auf denen die Teilnehmer*innen in Kategorien wie Tanz oder Drag gegeneinander antraten und um Ruhm und Trophäen wetteiferten. An dieser Entwicklung hatte auch Crystal LaBeija einen entscheidenden Anteil.

Die Geburt eines Hauses

Der Ball von Crystal und Lottie war nämlich ein Novum in der New Yorker Ballroom-Szene. Er war der erste, der von einem Haus organisiert wurde, dem House of LaBeija – mit Crystal an der Spitze als Mutter.   

Das Haussystem veränderte die Ballroom-Szene und die queere Community. Die Häuser konkurrierten nicht nur auf den Bällen miteinander, wo ihre Mitglieder gegeneinander antraten. Sie entwickelten sich auch zu einem immens wichtigen Schutzraum gerade für queere People of Colour. Crystal und die anderen Hausmütter und -väter schufen im New York der 70er und 80er Jahre Orte, an denen Geschlecht, Sexualität, Identität oder Hautfarbe kein Problem waren. Sie bauten familienähnliche Strukturen auf für Menschen, die in ihrer Herkunftsfamilie keinen Platz mehr hatten, holten obdachlose Jugendliche von der Straße und engagierten sich in der Aids-Krise. Viele Häuser erfüllen diese Aufgaben bis heute. 

Der Abgang der Königin

So gut ihre Anfänge und Erfolge in der Szene auch dokumentiert sind, so verschwommen sind die letzten Lebensjahre von Crystal LaBeija. Laut manchen Quellen soll sie 1982 an Leberversagen gestorben sein, andere datieren ihren Tod auf die Mitte der 90er Jahre. Doch ihr Erbe lebt weiter, etwa in popkulturellen Zitaten: Sie inspirierte das Team der Netflix-Produktion „Pose“ zur Figur der Elektra Wintour und taucht im Vorspann der Serie „Transparent“ auf. Das House of LaBeija ist immer noch eine feste Größe in der New Yorker Ballroom-Szene. Und die „Crystal LaBeija Organizing Fellowship“ bietet ein einjähriges Stipendium an, offen für People of Colour, transgender und nicht-binäre Menschen aus der Ballroom-Community. Ein mysteriöser Abgang und eine glamouröser Ruf weit über den Tod hinaus –  wie es sich für eine echte Queen gehört.

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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