Atomkraft Energie Erfolg
Aus(stieg). Das wars.
Endlich: das Aus. Morgen Nacht gehen die letzten drei Atomkraftwerke Deutschlands vom Netz. Was dieser historische Erfolg für Campact und für die Protestkultur bedeutet und warum die Argumente der Atom-Fans keinen Faktencheck bestehen.
Morgen wird das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet. Ich genieße diesen Satz. Denn: Wir haben gewonnen. Unser Protest war so stark, dass Angela Merkel kaum anders konnte. 2011 – nach dem Nuklearunfall von Fukushima – hat sie den Ausstieg aus der zerstörerischen Technologie beschlossen. Das endgültige Aus zeigt uns, wie machtvoll eine Protestbewegung werden kann. Der Moment macht Mut für die große Auseinandersetzung um das Ende von Öl, Gas und Kohle, die wir gemeinsam gewinnen müssen. Nur so können wir eine Klimakatastrophe noch verhindern.
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Doch eines verdirbt mir die Freude etwas: dass die Stimmung aktuell wieder pro Atomkraft kippt. Immer mehr Menschen scheinen die Gefahren zu verdrängen – und glauben, Atomstrom wäre eine Antwort auf die Energie- und Klimakrise. Alarmierende 65 Prozent der Bevölkerung sind dafür, die Meiler weiterlaufen zu lassen. FDP, Union und AfD versuchen, daraus Kapital zu schlagen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki behauptet, der Atomausstieg sei ein „dramatischer Irrtum, der für uns schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben wird“. Und CDU-Fraktionsvize Jens Spahn sieht den Ausstieg als „schwarzen Tag” für den Klimaschutz.
Dem widerspreche ich heftig. Und ich möchte den Tag vor der letzten Abschaltung nutzen, um die Argumente der Atomfans zu hinterfragen:
„Atomkraft hilft doch dem Klima!“
Gerade einmal 4 Gigawatt beträgt die Nettoleistung der letzten Atomkraftwerke, die morgen vom Netz gehen. Angesichts einer gesamten installierten Kraftwerksleistung von 223 Gigawatt im Land wird schnell klar: Das Klima wird so nicht gerettet. Dafür brauchen wir mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren. Nur ist es für FDP und CDU/CSU leichter, längere Atomlaufzeiten zu fordern, als sich mit ihren Fehlern zu beschäftigen. Denn sie selbst haben durch fatale Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Ausbau von Sonnen- und Windenergie ausgebremst. Das ändert die Ampel jetzt immerhin.
Ein Blick in unser Nachbarland zeigt zudem: Atomkraft wird selbst zum Opfer der Klimakrise. Denn die Flüsse können in Frankreich das nicht mehr tun, was für die Kraftwerke das Wichtigste ist: sie kühlen. Selbst im Winter führen die Flüsse kaum noch Wasser, weil es wegen der Klimakrise immer weniger regnet. Im letzten Sommer musste das Land die Leistung seiner Meiler deshalb massiv drosseln und 20 Prozent seines Stroms importieren – zu großen Teilen aus dreckigen Kohlekraftwerken bei uns.
„Die Stromversorgung ist nur mit Atomkraft sicher!“
Atomkraft ist ungeeignet, eine Energieversorgung abzusichern, die immer mehr auf erneuerbaren Quellen beruht. Denn sie kann nur eines: die ganze Zeit Strom unter Volllast erzeugen. Was es hingegen braucht, sind flexible Kraftwerke, die schnell hoch und runter regelbar sind. Sie müssen einspringen, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne hinter Wolken verschwindet. Das können aktuell vor allem Kraftwerke, in denen Gas verfeuert wird – und möglichst bald Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen. Atomkraft verstopft mit ihrer Grundlast Leitungen und drängt die Erneuerbaren aus dem Netz.
„Alle anderen steigen doch in die Atomkraft ein!“
Sind wir auf einem Sonderweg, während weltweit die Atomkraft eine Renaissance erlebt? Die Zahlen sagen etwas anderes. Nachdem der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung weltweit 1996 noch bei 17,5 Prozent lag, ist er mittlerweile mit 9,8 Prozent nur noch einstellig. Aus gutem Grund: Atomkraft ist viel zu teuer. 34 Cent kostet Atomstrom pro Kilowattstunde (KWh). Ökostrom ist hingegen mit 6 bis 11 Cent pro KWh bei der Windenergie und 9 Cent pro KWh bei der Solarenergie deutlich günstiger.
Der Bau von Meilern entwickelt sich immer wieder zum Desaster: So ging der als neue Kraftwerksgeneration gepriesene EPR-Reaktor Olkiluoto in Finnland 13 Jahre verspätet ans Netz und kostete mehr als dreimal so viel wie geplant. In Frankreich kostet der EPR-Reaktor Flamanville statt geplanter 3,4 voraussichtlich 12,7 Milliarden Euro – und ist auch nach zehn Jahren Bauverzögerung noch nicht fertig.
„Unsere Reaktoren sind sicher!“
Seit 13 Jahren gab es keine umfassende Sicherheitsprüfung der Reaktoren, die morgen vom Netz gehen – und das, obwohl mit jedem Betriebsjahr das Risiko für einen Reaktorunfall steigt. Das Atomgesetz schreibt eigentlich eine Sicherheitsüberprüfung alle zehn Jahre vor. Nur mit Hinweis auf die baldige Stilllegung verzichteten die Behörden auf die letzte Prüfung.
Alternde Reaktoren sind gefährlich. Von 56 Reaktoren in Frankreich produzierte letztes Jahr weniger als die Hälfte mit voller Leistung Strom. Der Hauptgrund: Risse, die sich durch Korrosion an wichtigen Rohren gebildet haben. Ähnliche Risse treten an deutschen Reaktoren auf – ein erhebliches Sicherheitsrisiko, besonders beim AKW Neckarwestheim.
Widerstand in ganz Deutschland
All das sind gute Gründe für den Ausstieg morgen. Wir können stolz darauf sein, was wir geschafft haben. Um es mit den Worten der Süddeutschen Zeitung von dieser Woche zu sagen: „Das, was die Anti-Atomkraft-Bewegung erstritten hat, ist beachtlich. Sie hat Europas größter Wirtschaftsmacht den Abschied von der Kernkraft abgerungen.“ Dank einer Durchsetzungskraft, von der viele Bewegungen bis heute lernen können. Mit breiten Allianzen und immer wieder neuen Aktionsformen.
Schon der erste Erfolg im Jahr 1977 gelang der jungen Bewegung nur durch Annäherung: das Aus für das geplante AKW Whyl am Kaiserstuhl bei Freiburg. „Nai hämmer gsait!“ („Nein haben wir gesagt!“) – das Motto des Widerstands sprach auch konservative Kreise an und mobilisierte die Winzer*innen der Region gegen das Kraftwerk. Von Klagen hin zu Infoveranstaltungen, Großdemos und Mahnwachen sowie Aktionen zivilen Ungehorsams gab es eine Vielfalt an Protestformen, wie sie die Anti-Atom-Bewegung prägen sollte.
Jahrzehnte später konnten wir als Campact auf diesen Erfahrungen aufbauen – und sie mit den neuen Mobilisierungsmitteln des Internets kombinieren. Als Menschenkette verbanden wir zusammen mit unseren Partnern 2010 die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel – eine 120 Kilometer lange Protestaktion entlang der Elbe. Als die Reaktoren im japanischen Fukushima explodierten, gelang es uns, ein Bündnis zu schmieden und in wenigen Tagen 250.000 Menschen auf die Straße zu bekommen. Und mit übergroßer Merkel-Maske und Atommüllfässern demonstrierten wir, bis es der Ruf nach dem Ausstieg in alle großen Zeitungen und Fernsehsender geschafft hatte.
Nur so gelang es uns gemeinsam mit der ganzen Breite der Bewegung, sturen Politiker*innen und profitgierigen Unternehmen den Atomausstieg abzutrotzen. In den Zeiten rund um die geplante Laufzeitverlängerung der AKWs, die großen Castor-Transporte und die Katastrophe von Fukushima in 2011 zeigten wir als Campact, was uns ausmacht. Nicht nur Online-Appelle, sondern auch Aktionen, Großdemos und Menschenketten anschieben, vor dem Kanzleramt, bei den Atomanlagen und auf dem Elbdeich.
Nach dem Ausstieg: Die nächste Herausforderung
Auf all dem können wir aufbauen, wenn es in diesem Jahrzehnt um eine ungleich größere Herausforderung geht: eine Klimakatastrophe zu verhindern und konsequent auf Erneuerbare und Energieeffizienz zu setzen. Unsere Kraft, Ausdauer und Kreativität sind mehr denn je gefragt. Auch hier ist es wichtig, breite Bevölkerungskreise für die Sache zu gewinnen. Von der Anti-Atom-Bewegung lernen heißt siegen lernen. Gerne auch ungehorsam, aber immer anschlussfähig.
Anmerkungen und Feedback liest die Blog-Redaktion unter blog@campact.de.
Aber jetzt ist erstmal Zeit, den gelungenen Atomausstieg zu feiern. Ich werde um Mitternacht mit einem Sekt anstoßen. Und ich hoffe, dass auch Du diesen hart erarbeiteten Erfolg feiern kannst.
Die Auseinandersetzung um die Atomkraft ist überschaubar gegenüber der Herausforderung, die Klimakrise zu stoppen. Die ernüchternden Ergebnisse des letzten Koalitionsausschusses haben gezeigt, wie machtvoll die fossile Lobby weiter ist. Mit der Kraft, mit der wir den Atomausstieg erstritten haben, werden wir jetzt das Aus von Öl, Gas und Kohle angehen. Und uns für Erneuerbare und Energieeffizienz einsetzen.