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Der Stein des Anstoßes

Ein Denkmal ist ein Monument, mit dem an Errungenschaften erinnert werden soll – oder glorifiziert man damit auch vergangene Taten und Verbrechen? Immer wieder werden Stimmen laut, Denkmäler zu stürzen. Ein Diskussionsbeitrag zum Internationalen Denkmaltag am 18. April.

Einer Denkmal für Otto von Bismarck in Frankfurt wurde im Dezember 2020 mit roter Farbe beschmiert.
Einer Denkmal für Otto von Bismarck in Frankfurt wurde im Dezember 2020 mit roter Farbe beschmiert. Foto: IMAGO / Marcel Lorenz
Die Bronze-Statue im Hyde Park in Sydney, die Major General Lachlan Macquarie darstellt.
Die Bronze-Statue im Hyde Park in Sydney, die Major General Lachlan Macquarie darstellt. Foto: Whiteghost.ink / Wikimedia Commons

Lachlan Macquarie thront über mir. Der fünfte Gouverneur der damals frisch kolonisierten australischen Provinz New South Wales steht im Hyde Park in Sydney auf einem steinernen Sockel, die rechte Hand erhaben ausgestreckt. Dem Mann war es offensichtlich wichtig, nicht vergessen zu werden. Schon zu Lebzeiten stellte er sicher, dass eine Straße, ein Platz, eine (inzwischen abgerissene) Festung und ein Leuchtturm in Sydney seinen Namen tragen. Inzwischen ist sein Name in ganz Australien omnipräsent. Nach ihm heißen Schulen, Brücken, Einkaufszentren, ein Berg, ein Fluss und vieles mehr.

Als ich in Australien ankomme, lerne ich: Macquarie ist so prominent, weil er aus einer Sträflingskolonie am Ende der Welt das Fundament der modernen Weltstadt Sydney errichtete – ein wildes Stück Küste zähmte, Straßen baute, die ersten australischen Münzen prägen ließ. Etwas später und mit deutlich mehr Recherche lerne ich auch: Macquarie war eine treibende Kraft hinter der Unterdrückung der dort lebenden Aborigines. Er riss Kinder aus ihren Familien, Widerstand der ansässigen Stämme begegnete er mit brutaler Gewalt, befahl die Ermordung von 14 Gundungurra and Dharawal, enteignete Aboriginie-Land für britische Farmer. Unbeeindruckt starrt er 200 Jahre später noch immer über mir von seinem Sockel in die Ferne.

Sie haben uns (k)ein Denkmal gebaut

Denkmäler sind Stein gewordene Erinnerung, erschaffen, um die Jahrhunderte zu überdauern. Wem wir sie errichten, sagt viel darüber aus, wie wir uns als Gesellschaft sehen – und gesehen werden möchten. Dichter und Denker. Entdecker und Erfinder. Abenteurer und Staatslenker. Sie zeigen aber auch die Leerstellen in unserer Geschichte auf; die blinden Flecken, die wir guten Gewissens dem Vergessen überantworten. Und in manchen Fällen – wie dem von General Macquarie – tun sie beides. Ist das noch zeitgemäß? Oder ist es an der Zeit, dass die Realität diese Denkmäler einholt? 

Der Internationale Denkmaltag wurde erstmals 1982 vom Internationalen Rat für Denkmalpflege ausgerufen. Das Motto des Denkmaltags 2023 lautet: „Erbe verändert“.

Um uns dieser Frage zu nähern, starten wir zunächst ein Gedankenexperiment: Die Menschheit ist ausgestorben, nur unsere Statuen haben uns überlebt und schauen grimmig über die Ruinen. Wenn jetzt Außerirdische mit ihrem Raumschiff im Berliner Stadtzentrum landen würden, was würden sie anhand dieser Steine über uns denken? Sie würden uns für ein Volk von Literaten halten (Schiller, Goethe, Heine – wichtige Männer), Entdeckern und Denkern (Luther, die Gebrüder Humboldt – noch mehr wichtige Männer) und militärischer Tradition (Friedrich der Große hoch zu Ross, die Generäle Moltke und Yorck ohne Rösser – richtig: Männer), gelegentlich etwas seltsam geformt (die Molecule Man).

Und sie würden sich wundern, wie diese sonderbaren Menschen sich fortpflanzten, mit so wenigen Frauen. Denn neben vereinzelten Ausnahmen (in Berlin etwa Königin Luise, Clara Zetkin, Käthe Kollwitz) sind Frauen in der Welt der steinernen Erinnerung höchstens als Allegorien zu finden, nicht als gesellschaftliche Triebkraft. Wüssten sie, wie die deutsche Gesellschaft 2023 aussieht, würden sie sich wundern, wie weit die Realität von den weiß-grauen Eminenzen mit und ohne Pferd unterm Hintern entfernt ist. Denkmäler, die sich von der bekannt-beliebten Vorlage Mann+Sockel lösen – wie etwa das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma – sind oft neueren Datums. Der Zeitgeist hat die Steine inzwischen oft eingeholt; doch ihre Vorgänger schauen immer noch vielerorts vom Pferd über die Menge. 

Stürzen oder stehen lassen?

Statuen sind also eine Interpretation der Wirklichkeit, nicht ihr Abbild. Ein selektiver Zugang zu Erinnerungen, dem man seine Selektivität aber nicht ansieht. Eine Version der Geschichte, wie sie die Sieger gerne bewahren würden. Wer würde schon darauf kommen, dass der respektabel schauende Herr auf dem Sockel verantwortlich für Kolonialverbrechen war? Den Begleittafeln entnimmt man es in den allermeisten Fällen nicht. Dadurch gerät auf wundersame Weise in Vergessenheit, was eigentlich direkt vor unserer Nase steht.

So steht zwar in etlichen deutschen Städten mindestens ein Bismarck-Denkmal. Daran, dass der Porträtierte auf der Berliner Konferenz 1884 gemeinsam mit den anderen europäischen Kolonialmächten Afrika quasi mit dem Lineal aufteilte, dachte dabei lange wohl kaum jemand. Seit dem Aufkommen der Black-Lives-Matter Bewegung in den USA, hat sich das geändert. Dort ist ein heftiger Streit darum entbrannt, wie man mit Denkmälern von Rassisten und Sklavenhaltern umgehen soll. Stehen lassen oder stürzen? Und auch Bismarck wurde von der Kontroverse eingeholt: Unbekannte beschmierten die Hamburger Statue des ehemaligen Reichskanzlers wiederholt mit Farbe

Straßen, Schulen, Institute: Wann ist eine Umbenennung angebracht? Darüber wird gerade auch im nordrhein-westfälischen Münster diskutiert. Die heimische Universität will ihren Namen ändern. Sie ist nach dem letzten Kaiser Deutschlands, Wilhelm II., benannt. Wie die Diskussion verläuft und was für eine Umbenennung notwendig ist, berichtet hier der WDR.

Die Denkmal-Stürmer*innen sagen: Rassisten, Antisemiten, Ausbeuter und Sklavenhändler sollten nicht auch noch öffentlich geehrt werden – auch, weil die Nachfahren der Opfer ihnen so immer wieder begegnen müssen. Statt den Tätern (und in seltenen Fällen: Täterinnen) sollten die Stimmen der Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Andere halten dagegen: Die Statuen seien Ausdruck ihrer Zeit; sie zu stürzen würde nicht nur historische Kunstwerke zerstören, sondern auch die dazugehörige Geschichte auslöschen.

Im Kern dieser Debatte steht die Frage, ob behauener Stein neutral sein kann und wie unsere kollektive Erinnerung mit den Denkmälern verbunden ist. Sind sie angestaubte Kunst im öffentlichen Raum, nett im Vorbeigehen anzuschauen, aber ohne Relevanz für unsere Gegenwart? Oder sind sie Projektionsfläche einer kollektiven Vergangenheit, die dabei helfen, unseren heutigen Blick auf historische Ereignisse und Akteure zu verklären und grausame Geschichte unter weißem Marmor zu begraben? 

Holt die Meißel raus

Wo immer wir in dieser Frage stehen: Wenn wir uns erinnern wollen (ohne Kitsch, ohne Schönfärberei, aber auch ohne den historischen Kontext zu verleugnen, in dem viele dieser Werke entstanden sind) können wir diese Aufgabe nicht auf Statuen auslagern. Denkmäler können als purer Schmuck betrachtet oder als Auslöser von Schmerz, Trauer und allem dazwischen empfunden werden. Sie ersetzen aber nicht andere Akte des Erinnerns. Erinnerung ist ein aktiver Prozess, den wir pflegen und am Leben erhalten müssen, nicht in Stein gießen und starr stehen lassen. Solange die Statuen stehen, können sie ein Anlaufpunkt sein, Geschichte aktiv zu verstehen und nicht in der Vergangenheit zu belassen. Stürzen sie, schließt sich auch ein Diskursraum, gewissermaßen der Stein des Anstoßes zum Austausch darüber, was unsere Geschichte heute für uns bedeutet.

Diese Art der aktiven Denkmalpflege hat auch Lachlan Macquarie eingeholt. Ein Aktivist klebte ein Plakat mit einem Befehl des Gouverneurs an seine Statue: „Alle Aborigines ab Sydney sollen zu Kriegsgefangenen gemacht werden, und wenn sie sich wehren, sollen sie erschossen und ihre Leichen an den auffälligsten Stellen in der Nähe des Ortes, an dem sie gefallen sind, an Bäumen aufgehängt werden, um den Überlebenden Angst einzujagen.“ Darunter stand: „Zur öffentlichen Bildung, bitte nicht abreißen.“ Nach kurzer Zeit war das Papier entfernt – vielleicht ist es an der Zeit, es in Stein zu meißeln.

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Autor*innen

Victoria Gulde ist seit 2018 Campaignerin bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechtsextremismus setzt sie sich gegen die Normalisierung rechten Gedankenguts ein. Sie hat Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Internationale Beziehungen studiert. Für den Campact-Blog schreibt sie über Gedenktage und die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur. Alle Beiträge

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