Alltagsrassismus Allyship
Privilegienkritik aushalten
Wer es ernst meint mit Gleichberechtigung, muss sich auch mit seinen Privilegien auseinandersetzen – und das kostet Kraft. Denn oft sind wir eben auch Teil des Problems.
Der Anspruch auf Gleichberechtigung ist nicht bedingungslos, Gleichberechtigung kann nicht hergestellt werden, ohne, dass wir etwas dafür tun. Beispielsweise gehören Gespräche dazu, die unangenehm sein können. Politisches Engagement setzt vor allem eine Auseinandersetzung mit sich selbst voraus. Das musste auch ich lernen, durch Erfahrungen und durch Kritik. Auch ich habe anfangs wie alle anderen reagiert – wie jene, die ich selbst kritisierte.
Auch Teil des Problems
Lies hier auch diesen Text von Sibel Schick im Campact-Blog:
Ich sah mich als Teil der Lösung an und gleichzeitig war ich Teil des Problems. Das sind viele. Ich würde schätzen: Das sind wir mehrheitlich, weil wir vor allen Dingen uns selbst sehen und fühlen, und vielmehr die Tendenz haben, uns nur als Teil der Lösung zu verstehen und auszuschließen, überhaupt Teil des Problems sein zu können. Ironischerweise macht uns genau das zum Teil des Problems: dass wir keine Notwendigkeit sehen, an uns weiterzuarbeiten.
Diskriminierung hat nichts mit mir zu tun. Die gibt es zwar, aber ich diskriminiere niemanden, weil ich es nicht kann. Und ich profitiere definitiv nicht von der Diskriminierung anderer. Wie auch – mein Leben ist zu schwer, um irgendwie privilegiert zu sein.
Die unangenehmen Gespräche sind häufig auch sperrig. Menschen, die aktivistisch gegen Diskriminierung vorgehen, werden oft mit Abwehr konfrontiert. Alle, die politische Arbeit für Gleichberechtigung leisten, egal gegen welche Diskriminierungsform sie vorgehen, kennen die Abwehrreaktionen. Kämpfen Feminist*innen gegen Sexismus, kommen andere um die Ecke und rufen: „Nicht alle Männer!“
Kämpfen Linke gegen Armut, kommen andere um die Ecke und behaupten, sie hätten alles ihrem Fleiß zu verdanken. Wird über Rassismus geredet, behaupten weiße Menschen beispielsweise, dass sie doch nicht rassistisch privilegiert sind. Sie scheinen geschockt zu erfahren, dass sie weiß sind. Bisher hielten sie sich nämlich nicht für weiß, sondern einfach nur für Menschen. Auch das ist ein Privileg.
Abwehrreaktionen sind kontraproduktiv
Das alles kennen wir, ja. Und diese Reaktionen kommen in erster Linie von Menschen, die ebenso für ein gleichberechtigtes Miteinander stehen. Menschen, die unsere Verbündeten sind, weil man tatsächlich nur mit ihnen in den Dialog geht. Wer spricht schon mit einem Nazi über die Bedeutung und Wichtigkeit von Menschenrechten? Nur diejenigen, die ihre Zeit verschwenden wollen. Also ja, kommen die Abwehrreaktionen von Menschen, die unsere Verbündete sind, selbst sie sind beleidigt, wenn man sie auf ihre Rolle in unterdrückerischen Strukturen anspricht. Es entstehen Artikel und Bücher, Diskussionen und Workshops oder Kolumnen wie diese, um mit diesen Abwehrreaktionen umgehen zu können. Die Abwehrreaktionen sind kontraproduktiv. Weil sie nicht politisch, sondern persönlich motiviert sind, und dennoch politische Folgen haben. Und sie kosten zusätzliche Kraft. Weil wir überlegen müssen, wie wir ihnen entgegnen, wie wir dagegen argumentieren. Es sind Ressourcen, die wir auch anderweitig investieren könnten.
Heute die Diskriminierung von morgen beseitigen
Sibel Schick schreibt im Campact-Blog über (Alltags-)Rassismus, Allyship und Solidarität. Lies hier alle ihre Beiträge.
Tupoka Ogette schreibt in ihrem Buch „Und jetzt du. Rassismuskritisch leben“: „Kein Buch oder Kurs kann dich zu einem Ally machen. Das kannst nur du allein.“ Unser Ziel ist also, die Arbeit, die wir aktuell machen, überflüssig zu machen. Wir machen das heute, damit wir es in der Zukunft nicht mehr machen müssen. Die Diskriminierung zu beseitigen und Menschen gleichzustellen, ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Ziel können wir nur gemeinsam erreichen. In „Anti-Racist Ally. An Introduction to Action & Activism“ schreibt Sophie Williams grob übersetzt: „Als ein Ally ist deine Aufgabe, zu verändern.“ Das bedeutet im Großen und Ganzen die Welt zu verändern, aber dafür müssen wir mit uns selbst anfangen. Diese Aufgabe sollten wir ernst nehmen und wir müssen uns Prioritäten setzen: Wollen wir von der Tatsache, dass wir von einem System, das andere ausbeutet und diskriminiert, profitieren, beleidigt sein und stehen bleiben, wo wir schon immer waren? Oder wollen wir weiterkommen, gemeinsam mit anderen eine neue Welt schaffen? Für letzteres müssen wir die Kritik an unseren Privilegien aushalten.
Verantwortung übernehmen
„Zwar sind Personen nicht individuell für historisch gewachsene Privilegien verantwortlich, doch sie tragen Verantwortung, gewissenhaft mit eigenen Privilegien umzugehen, sie zu reflektieren und umzuverteilen“, schreibt Simon Sales Prado für die taz. Also tragen wir eine Verantwortung dafür, wie wir mit unseren Privilegien umgehen. Wollen wir sie unsichtbar halten und schützen, indem wir sie verleugnen? Oder wollen wir sie teilen? Beim politischen Handeln sollten wir nicht unsere eigenen (verletzten) Gefühle zentrieren, sondern die Sache, um die es geht. Natürlich, wenn wir es ernst meinen mit der Gleichberechtigung.