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Schwangerschaftsabbrüche: Für die Freiheit zu entscheiden!

Straffrei, aber nicht legal: Die Rechtslage zu Schwangerschaftsabbrüchen ist kompliziert. Abtreibungen müssen dringend normalisiert werden – um die Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen zu sichern.

Eine Aufnahme von einer Demo: Eine Person hält ein Schild in die Luft, auf dem "My Body My Choice" steht.
Foto: Reed Naliboff auf Unsplash

„My Body, my choice! Raise your voice!“: Mit diesem Slogan protestierten Hunderttausende in den USA, als der höchste Gerichtshof vor gut einem Jahr das allgemeine Recht auf Schwangerschaftsabbruch abschaffte. In Deutschland wähnen wir uns dagegen oft sicher. Doch auch hierzulande wird der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen immer schwieriger – und nationalkonservative Bewegungen wie die AfD sind auch hier auf dem Vormarsch. Gerade jetzt müssen wir uns für eine Normalisierung und Legalisierung von Abtreibungen einsetzen – um die Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen zu sichern.

Abtreibungen in Deutschland: Keine einfache Sache

100 Kilometer und mehr: So weit müssen in einigen Regionen von Bayern Frauen* fahren, die ihre Schwangerschaft beenden wollen. Denn es gibt ein Problem in der ärztlichen Versorgung: Seit 2001 hat sich die Zahl der Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, halbiert. Nur knapp 40 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser mit gynäkologischer Station nehmen Abtreibungen nach der aktuellen Beratungsregelung vor. Die Gründe: Einerseits gehen immer mehr Frauenärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen haben, in den Ruhestand. Im Medizinstudium wiederum werden Schwangerschaftsabbrüche nicht behandelt. Und nicht zuletzt zeigen die Kampagnen von Abtreibungsgegner*innen ihre Wirkung: Kliniken gaben in einer Recherche von correctiv.org an, sie würden sich zu diesem Thema aufgrund der „emotionalen Debatte“ nicht äußern wollen – sie haben Angst vor einem rechten Shitstorm, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Einige Krankenhäuser und Beratungsstellen aber wollen auch einfach nicht abtreiben oder unabhängig beraten: Frauen*, die Schwangerschaftsabbrüche brauchten, berichten von unprofessionellen Gesprächen, in denen Berater*innen versuchten, ihnen einen Kinderwunsch einzureden, Abtreibungsärzt*innen, die sie abfällig behandelten oder ihren Frauenärzt*innen, die sie nach einer Abtreibung nicht weiter betreuten. Viele fühlen sich eher den Embryonen und Föten als den Frauen* verpflichtet: etwa im Krankenhaus Frankfurt Höchst, das als Grund dafür, dass es keine Abtreibungen durchführe, schrieb, sie seien eine „babyfreundliche“ Klinik – und würden ergo keine Schwangerschaften selbst vor der 14. Woche abbrechen. Dieses Verständnis aber stellt einmal mehr einen noch nicht lebensfähigen Fötus über das Leben und die Entscheidung einer Frau*. Dabei sollte es umgekehrt sein: Schon dem Wort nach geht es bei der Gynäkologie um Frauen-Wissenschaft oder Frauenheilkunde  – gyné, griechisch, heißt Frau. Und demnach sollte sich die gynäkologische Versorgung auch um das Wohl der Frau drehen – egal, ob es um Schwangerschaften, stille und kleine Geburten, Schwangerschaftsabbrüche oder die Wechseljahre geht. Eine moralische Bewertung steht der medizinischen Versorgung nicht zu.

In Deutschland trifft die schlechter werdende Versorgungssituation nun auf eine komplizierte Gesetzeslage: Schwangerschaftsabbrüche sind illegal, aber bis zur 14. Schwangerschaftswoche straffrei, wenn sich Frauen* vorher an öffentlichen Stellen beraten lassen. Beide Situationen gemeinsam gefährden in der Zukunft jedoch den Zugang zu Abtreibungen. Denn im Rahmen dieser „Beratungsregel“ werden viele Termine fällig: bei Gynäkolog*innen, den Beratungsstellen und den Ärzt*innen oder Kliniken, in denen der Schwangerschaftsabbruch stattfinden kann. Bis eine Frau ihre Schwangerschaft bemerkt, können leicht sechs Wochen vergehen – und dann bleiben nur noch acht Wochen, um alle Beratungen und Arztbesuche inklusive des Abbruchs und Wartefristen zwischen den Terminen vorzunehmen. In ländlichen Regionen mit wenigen Ärzt*innen oder bei der Notwendigkeit zu einem zweiten Beratungsgespräch kann die Zeit knapp werden – und das Problem verschärft sich, je weniger Ärzt*innen Abtreibungen vornehmen.

Wo ist der Fortschritt in der Ampel-Koalition?

Eine Lösung wäre nun, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren. Denn Frauen*, die keine Kinder haben wollen, sollten auch keine bekommen müssen. Politisch jedoch ist wenig Bewegung in der Sache: Die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ hat das Werbungsverbot unter §219a – das ja eigentlich ein Informationsverbot über Schwangerschaftsabbrüche war – zwar abgeschafft. Die Reformierung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch jedoch lässt auf sich warten: Die Ampel-Regierung hat im Februar eine Expert*innen-Kommission eingesetzt, von der jedoch seitdem nichts mehr zu hören war. Das Thema ist vielen zu heiß und der politische Druck aktuell nicht groß genug.

Unkenntnis und Frauenfeindlichkeit: Unterstellungen prägen die Debatte

Ein Foto von einer Demo für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – darauf zu sehen ist ein Plakat mit einem Kleiderbügel und der Aufschrift "Nie wieder"
Foto: IMAGO/ xSachellexBabbarx

Auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, setzt sich ein Bündnis für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein.

Unterzeichne hier die Petition!

Gesellschaftlich wird das Thema nicht ausreichend beleuchtet. Denn rechte Abtreibungsgegner*innen bestimmen die Debatte nicht nur den Krankenhäusern gegenüber – vielmehr reichen frauenfeindliche Positionen bis in die Mitte der Gesellschaft. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, werden häufig als verantwortungslos dargestellt. Gegner*innen der Legalisierung von Abtreibungen führen darüber hinaus gerne ins Feld, dass eine Abtreibung zur zweiten Verhütung werden könnte – demnach würde der Zugang zu Abtreibungen zu verantwortungsloserem Sex führen. Das Frauenbild, das hier bemüht wird, ist misogyn. Denn erstens unterstellt es Frauen, die abtreiben wollen, sich die Entscheidung leicht zu machen und ignoriert zweitens die Realität von Schwangerschaftsabbrüchen. Allein körperlich ist ein Schwangerschaftsabbruch kein Spaziergang. In jedem Fall kommt es zu starken hormonellen Veränderungen und bei vielen Frauen* – auch abhängig von der Schwangerschaftswoche – beim Abort zu starken Schmerzen, Krämpfen, in anderen Fällen je nach Prozedur sogar zu einer Operation unter Vollnarkose. Kein Eingriff ist risikofrei und die Vorstellung, dass Frauen diesen Weg unbeschwert und bedenkenlos gehen, ist absurd. Auch emotional machen sich die allermeisten Frauen* die Entscheidung nicht leicht. Viele berichten von gemischten Gefühlen, auch von Trauer, sich gegen ein Kind zu entscheiden, aber am Ende von einer klaren Entscheidung – aufgrund von vielfältigen ökonomischen, biografischen, persönlichen oder medizinischen Gründen.

Die moralische Debatte gegen die Selbstbestimmung von Frauen zeugt so im besseren Fall von Unwissen und im Schlechteren von Misogynie. Denn mit der Vorstellung, dass Frauen selbst keine verantwortliche Entscheidung treffen würden, geht die Idee einher, dass letztendlich „die Gesellschaft“ – und damit auch Männer – über den Körper von Frauen bestimmen müssen, weil sie es selbst nicht können oder sollen. An der Realität der meisten Schwangerschaften und Abbrüche geht das vorbei. Es ist vielmehr eine patriarchale Anmaßung der Bestimmung über das Leben von Frauen*.

Abtreibungen legalisieren solange es geht

Auch in Deutschland sind rechte und national-konservative Kräfte auf dem Vormarsch. 20 Prozent für die AfD in der letzten Sonntagsfrage müssen hier ein Warnruf sein. Denn die Kontrolle über die reproduktiven Rechte von Frauen steht weltweit ganz oben auf der Agenda des rechten Backlash. Das zeigen die Beispiele der rechten Regierungen und Gerichte in den USA oder Polen, die für die Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch sogar politische Rückschläge in Kauf nehmen: Als Grund für das unerwartet gute Abschneiden der Demokraten bei den letzten Midterm-Wahlen in den USA galt die Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch kurze Zeit zuvor. In Polen wiederum hat sich die gesellschaftliche Zustimmung zu Schwangerschaftsabbrüchen seit dem Verbot im Jahr 2020 von 53 auf 70 Prozent erhöht. Trotzdem geben die nationalkonservativen und rechten Bewegungen das Thema nicht auf. Die „Wiederherstellung“ der aus ihrer Sicht „natürlichen“ Geschlechterordnung mit heterosexuellen Paaren, die Kinder bekommen und in denen sich Frauen um die Kinder kümmern – die Reproduktion sowieso die „tatsächliche“ Aufgabe der Frau ist – ist ein zentrales Anliegen der neuen Rechten. Auch hierzulande wurden Abtreibungsärzt*innen wie Christina Hänel oder Kliniken zum Ziel von rechten Kampagnen. Bekommen die Nationalkonservativen in Deutschland mehr Regierungsmacht, sollten wir uns auf Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen* einstellen. 

Mit der AfD auf dem Vormarsch sollten wir Rechte sichern, bevor sie angegriffen werden – und das heißt, dass die Bundesregierung Schwangerschaftsabbrüche legalisieren muss, solange es noch liberale Mehrheiten gibt. Die Ampel darf sich dabei nicht weiter wegducken, weil ihnen das Thema zu schwierig oder unwichtig ist. Sie steht auch ihren Wähler*innen gegenüber in der Pflicht, ihre Rechte auf ein selbstbestimmtes Leben zu sichern. Die feministische Bewegung auf der anderen Seite darf sich nicht länger auf der Straffreiheitsregelung in Deutschland ausruhen. Denn wie die USA und Polen zeigen: Wenn das Recht erst einmal abgeschafft wird, ändern daran auch sehr große Proteste erstmal nichts – und dann müssen viele Frauen ungewollte Kinder bekommen oder sogar lebensbedrohliche Schwangerschaften austragen. Es gilt deshalb jetzt auch hier: „My body, my choice: Raise your voice!”

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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