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Die Klimabewegung: Das Soziale ist es, was zählt!

Soziale Gerechtigkeit zum Kernanliegen machen: Warum die Klimabewegung jetzt eine Erzählung der Hoffnung braucht und wie die USA dabei zum Vorbild werden können.

Eine Aufnahme bei der G7-Demo 2022: Eine Frau hält einen Regenschirm mit der Aufschrift "Echte Klimapolitik jetzt!" und eine Campact-Flagge, auf der steht "Gemeinsam gegen Armut"
Foto: Andreas Gebert / Campact

Die Rettung des Planeten vor dem Klimakollaps, koste es, was es wolle. Mit den Debatten ums Verbrenner-Aus und das Heizungsgesetz – ordentlich angeheizt durch Springer-Medien und rechte Parteien – entstand bei vielen Menschen ein Zerrbild der Klimabewegung: sozial kalt und ignorant, abgehoben und privilegiert. Und das hat Folgen. Nicht die Angst vor der Klimakrise beschäftigt gerade viele Menschen, sondern die vor den Auswirkungen von zu viel Klimaschutz auf sie selbst und ihren Alltag.

Kein Wunder, dass dies sich in der Haltung der Parteien zum Klimaschutz niederschlägt. Gehörte bei der letzten Europa- und Bundestagswahl Klimaschutz zur zentralen Programmatik aller demokratischen Parteien, profilieren sie sich mittlerweile eher mit dem Ausbremsen konsequenter Maßnahmen. Die Rettung des Klimas schrumpft so zum Nischenthema der Grünen zusammen. Kein Wunder, dass diese in der Ampelkoalition nur noch einen Bergauf-Kampf für ihre ökologischen Anliegen führen – und immer weniger durchsetzen. Große Profiteurin ist die Partei, die am entschiedensten gegen alles Ökologische zu Felde zieht: die AfD.

Soziale Gerechtigkeit als Kernanliegen

Was heißt das für uns als Klimabewegung? Wie kommen wir wieder raus aus der Defensive? Indem wir mehr soziale Gerechtigkeit zu unserem Kernanliegen machen und ganz konkret darlegen, wie wir Soziales und Ökologisches miteinander verschränken wollen. Was es braucht, ist eine Erzählung der Hoffnung, wie wir die nötige tiefgreifende Transformation unserer Gesellschaft gut schultern und sie mit einer Vision eines besseren und gerechteren Lebens verbinden. Und wir müssen konkret werden und genau benennen, mit welchen sozialpolitischen Forderungen wir dies erreichen wollen. 

Wie gut eine Erzählung der Hoffnung und des gemeinsamen Anpackens funktionieren kann, zeigt die Biden-Administration in den USA: mit dem Inflation Reduction Act (IRA). Mit ihm hat sie ein Programm vorgelegt, das Klimaschutz mit wirtschaftlichem Aufschwung und sozialer Gerechtigkeit, mit guten Jobs und moderner Infrastruktur verbindet. 

Mit dem Investitionspaket stellt die Regierung die immense Summe von rund 369 Milliarden Dollar für die kommenden zehn Jahren zur Bekämpfung der Klimakrise bereit – in Form von Darlehen, Steuergutschriften und Zuschüssen. Finanziert wird der Ausbau der Erneuerbaren und eigener Produktionskapazitäten für Wind- und Solarkraft, die Energieeffizienz in Privathaushalten, die Modernisierung der Bahninfrastruktur sowie der Kauf und die Herstellung von E-Autos. 

Besonders spannend ist, wie eng in dem Paket soziale Aspekte und das Ziel besserer Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verwoben sind. Die Subventionen sind teilweise an die Lohnhöhe für die Arbeitnehmer*innen gebunden und machen die Ausbildung von Fachkräften zur Bedingung. Somit ist der IRA auch ein Gute-Arbeit-Paket. 

Soziales und Ökologisches zusammendenken

Unterlegt ist alles mit einem Narrativ des Aufbruchs: Machen wir uns unabhängiger von globalen Wertschöpfungsketten, die in Krisenzeiten schnell reißen. Lasst uns gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen, die faire Bedingungen haben. Lasst uns die öffentliche Infrastruktur moderner machen, damit alle davon profitieren. Lasst uns allen, die ihr Gebäude energieeffizienter und ihre Mobilität klimafreundlicher machen wollen, mit genügend Geld unterstützen.

Soziales und Ökologisches zusammendenken und massiv Geld für Zukunftsinvestitionen in die Hand nehmen, um Menschen die Angst vor der nötigen tiefgreifenden Transformation zu nehmen – das brauchen auch wir jetzt dringend. Als Mittel, um beim Klimaschutz wieder Fahrt aufzunehmen, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen und unser Land auch im internationalen Standortwettbewerb besser aufzustellen.

Ganz konkret muss es um die Finanzierung dieser Ansätze gehen:

Ein Klimageld

Die Idee des Klimageldes ist so einfach wie bestechend: Der Staat verteuert schrittweise den CO2-Preis, gibt aber sämtliche Einnahmen den Bürger*innen zurück – und zwar allen in gleicher Höhe. Da Menschen im Schnitt umso mehr CO2 ausstoßen, je mehr Geld sie haben, wird hierdurch von oben nach unten umverteilt. In Österreich ist dieses System als Klimabonus etabliert und auch im Koalitionsvertrag der Ampel ist es verabredet. Wenn der CO2-Preis wirklich schrittweise so angehoben werden soll, dass Menschen sich klimafreundlicher verhalten, braucht es diese Rückzahlung. Ansonsten fühlen sich viele sozial benachteiligte oder weniger privilegierte Menschen aus gutem Grund ungerecht behandelt und überfordert. 

Doch die Umsetzung stockt. Erst gestern verschob die Ampel auf ihrer Klausurtagung in Meseberg das Projekt wieder. Offiziell, weil die Auszahlung kompliziert sei, denn hierfür muss die Kontonummer aller Bürger*innen mit der Steuer-ID verknüpft werden. Doch der zentrale Grund ist ein anderer: Alle Einnahmen aus dem CO2-Preis hat der Staat bereits für die Abschaffung der EEG-Umlage und den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verplant, mit dem etwa die Gebäudesanierung finanziert wird.

Ein Sondervermögen Klimaschutz 

Gebäude dämmen, die Heizung tauschen, auf E-Auto oder Nahverkehr umsteigen – das kostet viel Geld. Viele Menschen werden sich von diesen Veränderungen nur dann nicht bedroht fühlen, wenn ihnen der Staat mit Kredit- oder Förderprogrammen unter die Arme greift. Ja, damit könnte bei vielen Menschen, die sich für neue Techniken interessieren, sogar Begeisterung für das Neue aufkommen. 

Woher das Geld nehmen? Solange die Schuldenbremse weiter gilt, wird dies nur über ein Sondervermögen möglich sein. Sprich über Kredite. Und indem wir das Geld von denen nehmen, die am meisten das Klima belasten: Superreiche. Ihre Privatjets und Edelyachten, ihre Luxuslimousinen und Swimmingpools haben häufig einen gigantischen CO2-Fußabdruck. Um so gerechter ist es, wenn sie für Klimamaßnahmen des Staates weit mehr aufkommen als bisher. 

Ein Industriestrompreis

In der Chemie- und Grundstoff-Industrie, bei den Stahlöfen und Autobauern: Sollen diese Fertigungsprozesse künftig klimaneutral und mit Strom oder Wasserstoff aus Erneuerbaren erfolgen, sind hier gigantische Investitionen nötig. Wenn wir verhindern wollen, dass die Betriebe ins Ausland abwandern oder nur noch dort investieren und Zehntausende hier arbeitslos werden, wird es Investitionshilfen brauchen. Und einen verbilligten Strompreis – als Brücke, bis so viel günstiger Strom aus Erneuerbaren zur Verfügung steht, dass dies nicht mehr nötig ist. 

Komm zum Klimastreik am 15. September!

Hitzerekorde jagt Hitzerekord: Die Klimakrise ist weltweit spürbar wie nie. Doch wirksamer Klimaschutz fehlt – die Ampel-Regierung handelt alles andere als entschlossen. Jetzt braucht es den Druck der Klimabewegung auf der Straße! Bitte komm auch Du zum Klimastreik von Fridays for Future.

Entscheidend hierbei ist, dass das staatliche Geld nicht einfach mit der Gießkanne und ohne Auflagen verteilt wird. Unterstützungsempfänger dürfen nur energieintensive Unternehmen sein, wie sie der CO2-Handel definiert. Und noch wichtiger: Zahlungen müssen an einen verbindlichen Transformationsplan gekoppelt sein. Er muss mit konkreten Meilensteinen festlegen, wie die Unternehmen schnell ihre Produktion auf Strom aus erneuerbaren Quellen und grünem Wasserstoff umstellen.

Wieder Lust und Hoffnung auf eine sozial-ökologische Transformation erzeugen – das wird nach der Hetze und dem Schüren von Ängsten durch Springer und rechte Parteien in den letzten Monaten nicht von heute auf morgen gehen. Doch die Basis für einen Stimmungswechsel kann nur eine weit sozial gerechtere Politik sein. Genau deshalb ist auch dies die zentrale Forderung des Klimastreiks am Freitag, dem 15. September. Überall im Land gehen wir mit Hunderttausenden auf die Straße. Ein erster ganz wichtiger Schritt, um die Klimabewegung aus der Defensive zu bringen.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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