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„Ich bin nicht queer“

Die AfD ist eine homophobe Partei – gleichzeitig steht mit Alice Weidel eine lesbische Frau an der Spitze. Wie passt das zusammen? Gelingt es der Partei so, konservative queere Wähler*innen anzusprechen?

Alice Weidel beim 14. Bundesparteitag der AfD am 28. Juli 2023 in der Messe Magdeburg
Alice Weidel beim 14. Bundesparteitag der AfD, Foto: IMAGO / Sven Simon

Alice Weidel hat recht. Diesen Satz habe ich noch nie getippt – aber in diesem Fall passt er. Anfang September stellte die AfD-Frontfrau im ARD-Sommerinterview klar: „Ich bin nicht queer, sondern ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne.“ Und das stimmt. Denn queer ist eine positive Selbstbezeichnung von Menschen, die nicht heterosexuell und/oder cis geschlechtlich sind, also in dem Geschlecht leben, das ihnen nach der Geburt zugewiesen wurde.

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Das trifft auf Weidel definitiv nicht zu; von einem positiven lesbischen Selbstbild ist bei der 44-Jährigen nichts zu spüren. Im Gegenteil: Sie ist eine populistische, zutiefst rechtskonservative Frau, die mit einer anderen Frau zusammenlebt und Kinder großzieht – aber mit dem Rest der queeren Community wenig gemeinsam hat. Das versteckt sie auch im Rest des Sommerinterviews nicht. Sie attackiert trans Menschen, spricht von „Genderquark“ und will Kinder vor einer „bescheuerten Trans-Pop-Kultur“ schützen.

Homophob – innen wie außen

Eine Frau an der Spitze der AfD: Auf den ersten Blick überrascht das – vor allem, wenn sie dann auch noch lesbisch ist. Schließlich ist die AfD die mit Abstand homophobste Partei im Bundestag. Das zeigt ein Blick ins Grundsatzprogramm. Hier stellt die AfD ganz klassisch Vater, Mutter und Kind ins Zentrum ihrer Familienpolitik und warnt davor, das traditionelle Familienbild zu zerstören. An der Schule lehnt sie die „einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht“ ab; Kinder dürften nicht „zum Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit werden.“ 

2019 versuchte die Bundestagsfraktion per Antrag, Schwulen und Lesben das Recht auf Eheschließung wieder zu entziehen. Erfolglos, denn alle anderen Fraktionen stimmten dagegen. Im 2021 veröffentlichen Wahlprogramm zur Bundestagswahl ging es munter queerfeindlich weiter: geschlechtsangleichende Operationen bei Kindern und Jugendlichen gehörten verboten, Kindergartenkinder müssten vor Genderwahn geschützt werden, für eine „echte“ Familie brauche es Vater und Mutter.

Welcher Ton im Inneren der Partei herrscht, wissen wir, seitdem NDR und WDR Chatnachrichten aus der AfD-Bundestagsfraktion veröffentlicht haben. „Oh gut, wieder eine Verteidigungsministerin“ hieß es, als Jens Spahn (CDU) für kurze Zeit als Verteidigungsminister im Gespräch war. SPD-Mann Michael Roth wurde als „ekelhafter Wicht“ beschimpft, sein Parteifreund Johannes Kahrs als „radikal böse Afteröffnung“.

Alice, das Feigenblatt

Warum also hat es Alice Weidel in diesem Umfeld bis an die Spitze geschafft? Zum einen, weil sich die Politikerin mit ihren Vorurteilen und rhetorischen Attacken ziemlich gut ins Programm der AfD einfügt. Sie hetzt gegen trans-Menschen und schimpft über das Selbstbestimmungsgesetz: „Man soll sich jetzt einmal im Jahr das Geschlecht aussuchen können, Männlein, Weiblein oder auch divers, ich mein‘, was soll das?“ Zum anderen dient die lesbische Weidel der AfD als Beweis: So schlimm sind wir doch gar nicht. Wie können wir homophob sein, wenn wir sogar eine Lesbe an der Spitze haben? Als Token oder Feigenblatt soll sie der Partei helfen, zumindest die konservativen queeren Wähler*innen zu erreichen.

Queer gewählt, gut gewählt

Die gute Nachricht: So richtig funktioniert das nicht. Das legen zumindest Daten der Uni Gießen nahe. Ein Forschungsteam hat zu den Bundestagswahlen 2017 und 2021 untersucht, wie queere Menschen wählen. Das Ergebnis: Kaum jemand macht sein Kreuz bei der AfD. 2017 waren es – zumindest in der befragten Gruppe – gerade einmal 2,7 Prozent, 2021 nur 2,6 Prozent. Zum Vergleich: Die Grünen erhielten mehr als 50 Prozent der Stimmen.

Dennoch: Die AfD wird auch in Zukunft versuchen, schwule und lesbische Wähler*innen anzusprechen. Sie wird Muslime und die queere Community gegeneinander ausspielen; sie wird versuchen, mit – vermeintlichen oder tatsächlichen – homophoben Gewalttaten von Geflüchteten Stimmung zu machen; sie wird mit ihren Warnungen vor „Genderwahn“ konservative Schwule und Lesben erreichen.

Das Problem bleibt

Und auch im Rest der Bevölkerung hinterlässt die homophobe Politik der AfD ihre Spuren. Ihre schrille Rhetorik verschiebt den Ton in einer Debatte, den viele andere gerne sachlich führen möchten – der Streit um das Selbstbestimmungsgesetz ist nur eins von vielen Beispielen. Gerade auf Länderebene lässt sie Politiker*innen in die Parlamente einziehen, die offen homophob und transphob auftreten – sowohl im Plenarsaal als auch in den sozialen Medien. Hier erreicht sie mit ihrer Hetze ein zuweilen riesiges Publikum.

Die Politik der AfD ist voller Widersprüche, ihr Hass kann alle treffen: Schwule, Lesben, Kinder mit Behinderung, Muslime, Geflüchtete. Nur wenn wir zusammenhalten, können wir gegen den Rechtsruck und die drohenden Wahlerfolge der AfD etwas ausrichten. Dafür müssen wir uns wehren. Nicht erst dann, wenn wir selbst betroffen sind. Sondern sobald Alice Weidel und Co. Menschlichkeit und Menschenrechte – egal für wen – in Frage stellen.

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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