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Höcke und der Faschismus der Unterordnung

Beim MDR-Interview sagte Höcke, dass er Inklusion ablehne. Dies wurde breit kritisiert. In einem Interview mit Ellen Kositza und Götz Kubitschek vom rechten Institut für Staatspolitik legte Höcke noch mal nach.

Der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke bei einer Rede auf einer Bühne.
Foto: IMAGO / Karina Hessland

Der MDR meinte auch in diesem Jahr wieder, ein Interview mit dem Faschisten Höcke führen zu müssen. Ähnlich betonköpfig würde er wahrscheinlich auch mit Hitler Interviews führen und tatsächlich hatte die NSDAP ja ihre ersten Erfolge in Thüringen. Während sich der MDR der Kritik gegenüber stur stellt, man dürfe dem Faschismus keine Plattform bieten, zeigt er sich in den Interviews flexibel. Wurde in den ersten Interviews noch nach den Verbindungen zwischen Höcke und dem Neonazi Heise, beziehungsweise nach der Urheberschaft der Landolf-Ladig-Texte gefragt, verzichtete der MDR dieses Mal darauf.

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Wahrscheinlich, weil klar ist, dass Höcke dazu keine hinreichende Antwort gibt. Wenn aber der MDR sich darauf versteift, dass sein Auftrag darin bestehe, alle größeren Parteien gleichzubehandeln und allen entsprechend auch Interviewzeit zu gewähren, so sei auch an den antifaschistischen Auftrag erinnert: Warum sollte man Höcke andere Fragen stellen als die zu seinen Heise-Kontakten, als die zu Höckes Weigerung, sich umfassend zu seinen neonazistischen Ladig-Texten zu äußern. Natürlich würde Höcke dann nach einer Viertelstunde das Interview abbrechen, aber der MDR hätte dann eben nicht nur seiner vermeintlichen Verpflichtung Genüge getan, der AfD Interviewzeit zu gewähren, sondern auch seiner allzu oft vergessenen antifaschistischen Verpflichtung der Aufklärung.

Inklusion im selektiven Schulsystem?

Beim MDR-Interview sagte Höcke in einem Nebensatz, dass er Inklusion ablehne. Dies wurde breit kritisiert und in einem Interview mit Ellen Kositza und Götz Kubitschek vom rechten Institut für Staatspolitik konnte Höcke sich ausführlich zur Inklusion äußern.

Sein Vater sei sehbehindert und in der Schule habe er keine Förderschule für Sehbehinderte besucht, sondern sei in der Grundschule diskriminiert und gemobbt worden. Dies habe schließlich zu einer starken Depression geführt. Später sei sein Vater, der eigentlich Gärtner werden wolle, Lehrer an einer Schule für Sehbehinderte geworden. Daher sei Höcke Junior schon sehr früh klar geworden, wie wichtig Differenzierung und wie schädlich Inklusion sei.

Ellen Kositza pflichtete Höcke bei: Inklusion sei Kommunismus. Würde man Inklusion zu Ende denken, kämen Gemeinschaftsschulen dabei heraus. In dem Punkt hat Kositza natürlich recht. Inklusion und Gymnasien widersprechen sich. In Deutschland wird versucht, Inklusion in einem extrem selektiven Schulsystem umzusetzen. Dass diese „Gleichmacherei“ aber zu weniger Leistung führe, ist ebenfalls Unsinn. Der Gedanke resultiert aus der Fehleinschätzung, dass das selektive Schulsystem „leistungsgerecht“ sei, als würden nur Schüler*innen mit besseren Leistungen zum Gymnasium, mit schlechteren Leistungen zur Hauptschule geschickt werden.

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In diesem Jahr wurde zum fünften Mal die IGLU-Studie veröffentlicht – und zum fünften Mal kritisierte die Studie in aller Deutlichkeit, dass Schüler*innen von Lehrkräften nach sozialer Herkunft selektiert würden, auch wenn sie die gleichen Leistungen erbracht hätten. Man kann Kositza hier keinen großen Vorwurf machen, dass sie dem Irrglauben aufsitzt, das Schulsystem würde nach Leistung statt nach sozialer Herkunft selektieren. Denn es sind die Medien, die genauso penetrant nicht über diesen Skandal berichten, wie das Schulforschungsinstitut Dortmund alle Jahre immer wieder diesen Skandal neu mit Zahlen untermauert. Die Kinder der Bildungspolitiker*innen und der Journalist*innen sind schließlich nicht von dieser massiven frühkindlichen Diskriminierung betroffen, sondern nur die Kinder von Eltern ohne Abitur und mit geringem Einkommen.

Die Alliierten forderten Eine Schule für alle

Dass Kositza und Höcke allerdings gerne glauben möchten, Differenzierung führe zu mehr Leistung, hängt mit der faschistoiden Selektionsideologie zusammen. Nicht umsonst forderten die Alliierten in ihrer Direktive 54 im Rahmen der Entnazifizierung die Ersetzung des selektiven Schulsystems durch eine Schule für alle bis zum Ende der Pflichtschulzeit, also auch die Abschaffung der Gymnasien. Soziale Lernformen sollten zudem auch demokratische Inhalte vermitteln. Prügelstrafe gehöre abgeschafft, Lernmittelfreiheit eingeführt. Mit vermeintlich empirischer Unterstützung von NS-Bildungsforschern wurde dieser dringenden Empfehlung nicht gefolgt. Man behielt das selektive Schulsystem bei, dem die Alliierten nachsagten, es habe die Untertanenmentalität der Kinder gefördert – jedes Kind wisse schon sehr früh, wer über und wer unter einem stehe.

Zur Metapher „Höherentwicklung“

Höcke wiederholt im Interview mehrfach seinen Glaubenssatz „Differenzierung führt zur Höherentwicklung“. So wie die Völker fein säuberlich voneinander getrennt werden müssen (Interventions-, Investitions- und Migrationsverbot zwischen den verschiedenen „Kulturkreisen“), so müsse auch die Schule klare Grenzen herstellen. Höcke ist dieser Punkt wichtig. Einer der ungewöhnlichen Begriffe, die Höcke und sein Alter Ego Landolf Ladig zugleich benutzten, ist „Entelechie“. Diesen Begriff hat er sehr wahrscheinlich aus der NS-Pädagogik (Ernst Krieck) übernommen. In diesem Zusammenhang meint „Entelechie“ so viel wie „Veranlagung“, ein Ziel in sich zu haben. Die Aufgabe sei es, die Veranlagung des Kindes, die in wundersamer Weise mit der Bestimmung, dem Auftrag des Volkes einhergehe (und wenn nicht, liegt eine Entartung des Kindes vor), zu entwickeln. So würde es beim Kind und beim Volk zugleich zu einer Höherentwicklung kommen.

Die vertikale Struktur unseres Gesellschaftsbildes

An dieser Stelle möchte ich noch einmal ermahnen, bei Begriffen wie „Höherentwicklung“ innezuhalten und das damit verbundene Bild nicht unbewusst zu übernehmen, sondern kritisch zu betrachten. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir uns Gesellschaft vertikal vorstellen. Untersuchungen haben ergeben, dass sich nicht alle Kulturen Gesellschaften als in oben und unten geteilt vorstellen. Dinge, die unser Denken strukturieren, sind schwer zu denken. Deshalb ist es schwer, sich vorzustellen, dass die Strukturierung der Gesellschaft entlang einer Vertikalen nur eine gedankliche Konstruktion ist – dass es zwar Herrschaft und Unterdrückung gibt, die Konstruktion aber natürlich nichts mit „oben“ und „unten“ zu hat, sondern mit der vertikalen Oben-Unten-Aufteilung nur vor dem inneren Auge visualisiert wird. Wir denken in Bildern, die aber Eigenlogiken entfalten können. Vor allem die Faschisten arbeiten mit diesen Bildern und machen sie stärker, was ihnen schließlich erlaubt, von Übermenschen mit hoher Gesinnung und von Untermenschen mit niederen Instinkten zu sprechen.

Die vertikale Struktur unseres Gesellschaftsbildes war im Mittelalter sehr stark. Gott und der Himmel waren oben, der Teufel und die Hölle unten. Der Hochadel war wegen seiner Höhe näher bei Gott und die vertikale gesellschaftliche Stellung war in dem Denken gottgewollt.

Mit einem Bein im Mittelalter

Mit dem Übergang zum industrialisierten Kapitalismus wurde die horizontale Zeitachse wichtiger. Denn die Arbeit wurde gesellschaftlicher, globaler und führte zu einer permanenten Weiterentwicklung – in die Zukunft, nach vorne. Zeit stellen wir uns wie eine Geschichte vor, die erzählt wird, in Leserichtung, also horizontal.

Während allerdings die Arbeit immer gesellschaftlicher wurde, blieb das Produkt der Arbeit privat; es gehörte nicht den Arbeiter*innen, sondern den Kapitalist*innen. Mit einem Bein sind wir also noch im Mittelalter verblieben und damit auch in der vertikalen Denkweise. Der Kompromiss aus diesen Gesellschaftsvorstellungen, der horizontalen Weiterentwicklung durch gesellschaftliche Arbeit und der vertikalen Legitimierung der Produktionsverhältnisse ist die Höherentwicklung und hier findet sich dann Höckes Begriff der „Entelechie“, der Veranlagung. Die Herrschenden sind heute nicht mehr einfach durch Gott irgendwo auf der vertikalen Achse hingestellt, weiter oben oder unten, wo sie ihren Stand haben. Sondern sie haben durch die Erben eine Veranlagung, die sie entwickeln müssen. Und mit der Selektion wird dann die Möglichkeit gegeben, dass sich die Veranlagung zeigt – vorausgesetzt, dass die Kinder sich „positiv unterordnen“, wie Höcke fordert.

Mit dem Schulsystem eingepflanzt

Dass Höcke aus einer Gärtnerfamilie kommt und auch sein Vater eigentlich Gärtner statt Lehrer werden wollte, lässt mich an die Pädagogik von Schreber denken. Schreber, nachdem die Schrebergärten benannt wurden, band seine Kinder mit Apparaturen an Stühlen fest, um sie wie Pflanzen hochzuzüchten. Zygmunt Bauman benutzte die Metapher des Gärtnerns, um den Faschismus zu beschreiben. Das Hochziehen, Unkraut-Jäten, Züchten findet sich in der NS-Metaphorik wieder und ebenso in der Praxis: In Auschwitz wurden mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B Millionen Menschen ermordet.

Höckes Pädagogik ist das pestizidbehaftete Gärtnern mit Monokulturen. Aber leider ist er damit ein Kind seiner Zeit. Wir haben die Schulstruktur nicht wesentlich geändert. Und wenn wir bereits Zehnjährigen mit aller Brutalität der Schulstruktur beibringen, dass Menschen unterschiedlich viel Wert sind und dass die Ärmeren den Reicheren nicht im Weg stehen sollten, wen wundert es dann, dass große Teile der Bevölkerung empfänglich sind für den Faschismus der AfD. Diese Empfänglichkeit war nicht bei den Kindern angelegt, sie wurde mit dem Schulsystem eingepflanzt.

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell ist Kemper Mitherausgeber des 'Dishwasher-Magazins' für Arbeiter*innenkinder und recherchiert zu totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Alle Beiträge

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