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Rechte Reaktionen

Die AfD ist nach dem Terroranschlag der Hamas uneinig. Rechtsextreme spekulieren, ob Israel den Konflikt wollte. Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit hat Reaktionen aus dem rechten Milieu gesammelt.

Für seine Aussagen zum Angriff auf Israel erntete der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla ordentlich Kritik, selbst aus den eigenen Reihen. Foto: IMAGO / Bernd Elmenthaler

Das Statement erfolgte spät. Erst vier Tagen nach dem massiven Terrorangriff der Hamas auf die Zivilbevölkerung in Israel äußerte sich der AfD-Fraktionsvorsitzende und Bundessprecher Tino Chrupalla. Er erklärte am 11. Oktober via X: „Der Angriff der #Hamas auf #Israel ist zu verurteilen. Ich trauere um alle Kriegstote“, schrieb er. Weiter führte er aus, dass „Deeskalation“ und „Diplomatie“ das „Gebot der Stunde“ seien, „um einen Flächenbrand abzuwenden“. Hier klingt an, wie Rechtsextreme den Konflikt einordnen – Täter und Opfer umkehren, Israel teils beschuldigen und Hamas teils beschönigen.

Das Datum des Posts von Chrupalla darf schon als Botschaft verstanden werden. Der Angriff am 7. Oktober, bei dem palästinensische Terroristen 1.300 jüdische Menschen willkürlich ermordeten und hunderte Menschen verschleppten, hatte für ihn keine Dringlichkeit. Die Worte tragen zur geringen Anteilnahme für die jüdische Bevölkerung weltweit bei. Bei dem Angriff wollte die radikal-islamische Hamas nur eines: so viele Menschen in Israel töten wie möglich, sie griffen unbewaffnete Frauen und Männer an, richteten Alte und Kinder hin. Der größte Massenmord an jüdischen Menschen seit dem Holocaust. Mit dem Begriff „Kriegstote“ dürfte dieser Angriff nicht erfasst werden können.

Ambivalente Aussagen in der AfD zu Israel

In der vermeintlichen Alternative wabert eine Ambivalenz zum israelischen Staat. Der Bundesehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, griff im Bundestag das Bekenntnis des Bundeskanzlers von Olaf Scholz (SPD) an: „Die Verteidigung Israels ist deutsche Staatsräson“. Schon die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte diese Verantwortung betont. Gauland hob am 12. Oktober hervor, dass es nicht sein könne, „dass die Schlächter und Kindermörder der Hamas womöglich auch durch deutsche Steuergelder in die Lage versetzt wurden, ihre barbarischen Taten durchzuführen“. Er meinte, dass „mindestens ein Teil der deutschen Hilfsgelder für Palästinenserorganisationen“ bei der Hamas landen würde und forderte mit jeder Zahlung für palästinensisch Initiativen müsse „endlich Schluss sein!“. Der Angriff auf den „jüdischen Staat“ hätte aber „auch uns“ gegolten, legte er nach, denn: „Israel, das ist der Westen in einer Umgebung, die den Westen ablehnt und bekämpft. Wenn wir uns an die Seite Israels stellen, verteidigen wir auch unsere Art zu leben und zu denken gegen einen politisierten Islam“, und das sei „ganz bestimmt deutsche Staatsräson“. Eine spezielle Solidaritätsbekundung gegenüber Israel, die gleich in einen westlichen Kulturkampf übergeht. Die Forderung selbst verkürzt die Komplexität der Unterstützung. Der Bundesehrenvorsitzende Gauland führt aber auch sogleich den Bundesvorsitzenden Chrupalla vor, ohne ihn namentlich zu nennen.

Kritik an Chrupalla

Andere AfD-Funktionstragende sind deutlicher. „Was ist das für ein sinnbefreiter, dummer Tweet“, merkte Georg Pazderski zu Chrupallas Äußerung bei X am 11. Oktober an. Der Ex-Fraktionsvorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus schimpft am 15. Oktober erneut über Aussagen aus seiner Partei: „Wieder werden die alten, einfältigen und abgegriffenen Floskeln bedient. Israel wurde überfallen. Es wurden über 1.400 israelische Babys, Kinder, Frauen, alte Menschen und Männer teilweise bestialisch ermordet. Alles erinnert an die Schlächtereien der Nazis. Israel hat jedes Recht zur Selbstverteidigung und zur Auslöschung der Mörderbande der Hamas“. Der Oberst a.D. greift erneut Chrupalla an, wenn er betont: „Wer jetzt Frieden fordert, hat absolut nichts verstanden, was diesen Konflikt betrifft. Die Hamas will auf gar keinen Fall Frieden. Sie wird erst Ruhe geben, wenn der letzte Jude, der letzte Israeli ermordet ist“.

Auch die umstrittene Vereinigung „Juden in der AfD“ geht ihren Bundesvorsitzenden an, wie ZDFheute berichtet: „Sind die massakrierten jüdischen Kleinkinder Kriegstote? Trauert er auch um die gefallenen Mörder der Kleinkinder? Und wie sieht Diplomatie mit islamischen Terroristen aus?“ Der AfD-Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter meint zu Chrupalla: „Als du in die AfD eingetreten bist, war diese noch gegen islamistischen Terror. Den unterbindet und vernichtet man“. „War“ dürfte das Schlüsselwort sein. Die neu-rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) hinterfragte am 12. Oktober Chrupallas Aussagen ebenfalls und lobte Gauland.

Im Kontext Israel-Palästina äußert sich auch Philip Stein bei X; er ist Verleger des neu-rechten Jungeuropa-Verlags. Mit den Worten „Die #AfD versteht es dennoch nicht“ teilt er ein Zitat des ehemaligen Botschafters des Staates Israel, Jeremy Issacharoff vom 5. April 2019. Damals hielt Issacharoff fest: „Wir haben keinen Kontakt zur AfD. Unsere Begründung ist klar: Spitzenpolitiker der AfD haben Aussagen gemacht, die für jeden Juden oder Israeli sehr verletzend sind.“ In den Kommentaren unter dem Post ergänzt eine Person kritisierend zur AfD: „Sie haben offenbar auch der Erhöhung der Finanzierung des Zentralrats (der Juden) zugestimmt, die der bekommt, damit er die #AfD noch engagierter bekämpfen kann“. „Ja“ erwidert Stein kurz, der die JF schon öfters für zu moderat hielt.

AfD schürt Angst vor Fluchtbewegungen

Die Kritik am Zentralrat der Juden geht bei einzelnen AfD-Verantwortlichen auch in Kritik am Staat Israel über. Mit den verschärften militärischen Aktionen durch Israel drohe eine neuen Fluchtbewegung. So mahnt Siegbert Droese an, dass die deutschen „Schreihälse, die nun die volle Härte im Gaza-Konflikt verlangen, mal anfangen nachzudenken und ab sofort leiser plärren“ sollten. Der Europa-Kandidat der AfD, der für die Partei auch schon im Bundestag war, fürchtet, dass weitere Flüchtlinge aus dem Gaza-Gebiet nach Deutschland kommen könnten. Nicht nur Ägypten sollte „sich Sorgen vor Millionen Flüchtlingen machen“, postete er am 14. Oktober bei X. Keine Einzelstimme im rechtsextremen Milieu.

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Die Ambivalenz in der AfD dürfte auch im Konzept der „multipolaren Weltordnung“ begründet sein. Der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, forciert die Idee, dass ein Zurückdrängen der USA und eine Hinwendung zu den regionalen Großmächten wie Russland, China oder eben auch Iran geboten sei. Dieses Wegdrängen könnte nicht weniger bedeuten, als die US-Amerikanische Unterstützung von Israel fragwürdig zu finden. Krah meint in seinem Buch „Politik von Rechts – ein Manifest“, dass die Errichtung des Mullahregimes im Iran ein „erstes Erwachen“ sei – „ausgerechnet in einer Zeit, in der Hunderttausende Frauen unter Lebensgefahr gegen das Regime protestierten“, hebt Marcus Bessmann bei Correctiv kritisch hervor.

Spekulationen und Verschwörungserzählungen der Neuen Rechten

In dem Spektrum kursieren jedoch auch Spekulationen. Bei „sezession.net“ legt Martin Lichtmesz unter dem Titel „Der Krieg in Israel und Palästina hat ein demographisches Fundament“ dar, dass – wie die Überschrift schon betont – der Konflikt seine Motiv darin habe, dass „der militärischen Übermacht Israels (…) eine seine Existenz gefährdende demographische Macht der Palästinenser gegenüber“ stünde. In dieser Logik fährt er am 12. Oktober fort, dass er es für denkbar hält, dass „die israelischen Autoritäten den Hamas-Angriff geschehen ließen, um (vor allem vor der Weltöffentlichkeit) einen moralischen Vorwand zu haben, den Dauerbrandherd Gaza endgültig zu löschen und eventuell erneut militärisch zu besetzen, vielleicht sogar eine Flüchtlingswelle auszulösen, die den Landstrich demographisch ‚ausdünnt‘”. Für Lichtmesz ist auf dem Portal um das rechtsextreme „Institut für Staatspolitik“ weiter „kaum denkbar“, dass „der Mossad, einer der effektivsten, gefürchtetsten und technisch am besten ausgerüsteten Geheimdienste der Welt, von einem Angriff in einer derartigen Größenordnung überrascht werden“ könnte.

Dieses Narrativ, das implizieren kann, dass „die Juden selbst schuld sind“, wird auch von Martin Sellner verbreitet. „Das Gesicht“ der rechtsextremen Identitären Bewegung verfolgte diese Argumentation bereits in einen Video vom 11. Oktober. Er spekuliert auch über eine sogennante False-Flag-Aktion. Ein Impuls für die „aktuelle Auseinandersetzung“, überlegt der stellvertretende AfD-Landes- und Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, könnte auch von den USA über „ihre klandestinen Hamas-Kontakte“ erfolgt sein. Im rechten Magazin „Freilich“ räumt er im Interview von 13. Oktober ein, dass „so etwas natürlich nicht“ beweisbar sei, es sei aber für ihn „die wahrscheinlichste Erklärung“.

Sehr schnell wird von Spekulationen zu Verschwörungsnarrativen übergegangen, die den israelischen Staat als den wahren Aggressor erscheinen lassen. Diese Position ist im rechtsextremen Milieu weit verbreitetet. Ein Palästinenser-Halstuch wurde da schon früher gerne getragen. „Free Palästina“ forderte die NPD-Jugendorganisation. Die Partei „Die Heimat“, bis vor kurzen noch NPD, verkündet nun fast zurückhaltend: „aus Konflikt zwischen Israel und Palästina raushalten: Nicht Israel, sondern Deutschlands Sicherheit ist unsere Staatsräson“. Claus Cremer, Vorsitzender der „Heimat“ Nordrhein-Westfalen, ist deutlicher: „Über #Deutschland  und #Europa“ dürfte „weder #Davidstern noch #Halbmond“ wehen. Der „III. Weg“ nennt offen, wen sie für den Aggressor halten: das „zionistische Gebilde Israel“, das nicht die Hamas bekämpfe, sondern jetzt eine „Kollektivbestrafung aller Bewohner des Gazastreifens“ vornehme.   

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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