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Verhallende Warnungen 

In Thüringen stimmen FDP und CDU bei einem Anti-Windkraft-Gesetz mit der AfD – wieder einmal. Brandgefährlich; denn das Paktieren im Parlament normalisiert die rechtsextremen Ansichten der AfD.

Björn Höcke bei einer Veranstaltung der AfD Thüringen. Er läuft von der Bühne, im Hintergrund wird ein Waldmotiv und das Logo der AfD Thüringen an die Wand projiziert.
Björn Höcke beim Landesparteitag in Pfiffelbach in Thüringen Ende November. Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Ein Gesetzänderungsantrag ist nicht bloß ein Gesetzänderungsantrag. Im thüringischen Landtag hat die FDP einen Antrag gegen eine Änderung des Waldgesetzes eingereicht – und nun mit den Stimmen von AfD und CDU durchgebracht. Mit der Änderung wollte die rot-rot-grüne Landesregierung den Bau von Windenergieanlagen erleichtern. In Erfurt wurde am 8. Dezember von FDP, CDU und AfD aber nicht bloß der Klimaschutz ausgebremst. Der Kanon ist auch ein Abgrenzungsabgesang. Das dröhnende Schweigen der Bundes-CDU und -FDP bildet den nachhallenden Begleitgesang.

Nichts Neues aus Thüringen?

Für klimafreundliche und krisensichere Energie braucht es dringend mehr Windräder – doch FDP und CDU stellen sich dagegen. In Thüringen haben sie den Windkraftausbau nun so gut wie unmöglich gemacht. Allein konnten beide Parteien das nicht durchsetzen, denn sie haben keine Mehrheit. Deswegen setzten sie bei ihrem Anti-Klima-Gesetz auf die radikale Höcke-AfD.

Campact hat eine E-Mail-Aktion gestartet, damit die gewichtigen Stimmen in der Union laut werden und sich gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aussprechen. Verschicke auch Du eine Protestnachricht und mache klar: Keine Allianz mit Rechtsextremisten!

Nichts Neues aus Thüringen – so wird in den Parteizentralen um Friedrich Merz und Christian Lindner vielleicht gedacht. In den Redaktionen scheint die erneute gemeinsame Abstimmung im Erfurter Landtag von CDU, FDP und AfD auch eher als weniger wichtige News eingeschätzt zu werden. Seit dem Wochenende nach der Abstimmung ist Kritik – aus Politik und Medien – kaum vernehmbar. Leise ist es geworden. Die Zurückhaltung der CDU könnte allerdings auch auf einer zuvor geäußerten Rückendeckung beruhen. 

Im September hatte die von Mario Voigt angeführte CDU-Fraktion im thüringischen Landtag die Senkung der Grunderwerbsteuer durchgesetzt – mit Zustimmung der FDP um Thomas Kemmerich und Björn Höckes Thüringen-AfD. Die Landes-CDU begründete ihr Agieren damit, dass gute Initiativen nicht verhindert werden könnten, nur weil die AfD mit Zustimmung drohe. Die Bundespartei widersprach nicht. 

Ist die thüringische Realität nun die bundesdeutsche Normalität? Stimme wer möchte, mit wem auch immer, so lange das eigene Anliegen durchgesetzt werden kann? Selbst, wenn auf die Zustimmung von Rechtsextremen gehofft werden muss? Die CDU und FDP in Thüringen lieferten erneut die Antwort. Für sie ist es keine Frage mehr, mit einer vom Landesverfassungsschutz ausgewiesen rechtsextremen Partei immer wieder zu koalieren. Auch der geringe Widerspruch bildet diese verheerende Wirklichkeit. Allen Mahnungen und Warnungen zum Trotz. 

Rechtsextreme Einstellungen steigen

Diese Warnungen mögen auch keine News mehr sein, weil sie Wiederholungen sind. Sind sie aber deswegen nicht mehr bedeutsam? Müssen sie nicht stattdessen gerade wiederholt werden? Seit Jahrzehnten belegen Analysen, dass im Wahlkampf das Aufgreifen eines rechtsextremen Wordings allein Rechtsextreme legitimiert und etabliert. Sie zeigen auch, dass das Zugehen auf ihre Parteien diese bloß normalisiert und manifestiert. Die von Andreas Zick, Beate Küpper und Nico Mokros herausgegebene Studie „Die distanzierte Mitte“ belegt diese Prozesse. Keine Frage, Rechtsextreme à la Höcke und Co. profitieren nicht bloß, weil ihr Agenda-Setting und ihr Wording greifen. Viele sozio-ökonomische Ursachen befeuern rechte Entwicklungen. Dass demokratische Parteien im Parlament mit rechtsextremen Parteien Formen von Koalitionen eingehen, schwächt aber eben auch demokratische Einstellungen. Rechtsextreme Ansichten sind laut Mitte-Studie gestiegen: Zeigten 2014 nur 2,5 Prozent der Befragten ein „manifestes rechtsextremes Weltbild“, waren es 2022/23 bereits 8,3 Prozent.

Die Gründung der AfD im April 2013 hat das Sag- und Wählbare mit verschoben. Was legal ist, scheint legitim. Die Debatten um die Illegitimität von rechtsextremen Positionen und Argumentation bremst aber längst auch ein Feuilleton aus, das „Gutmenschen“ vorhält, eine „Meinungsdiktatur“ mit einer „political correctness“ und einer „Wokeness“ erreichtet zu haben. Der Vorwurf der Intoleranz stärkt jedoch die wahren Intoleranten. Die AfD um Alice Weidel und Tino Chrupalla inszeniert sich hier immer wieder gern als „Opfer“. Doch sie sind Täter*innen, deren Strategie zudem ist, durch Präsenz als normale Partei im demokratischen Verfassungsbogen zu erscheinen. 

Paktieren führt zur Normalisierung der AfD

Dieser Normalisierungsstrategie wirkt ein Paktieren im Parlament nicht entgegen. Die Integration der AfD führt stattdessen zur Normalisierung. Ein Höcke weiß, dass das der Weg zur Macht ist. Ein Voigt und ein Kemmerich (falls die FDP ins Parlament kommt) scheinen bereit, nach der Landtagswahl 2024 die Macht auch mit Unterstützung von Rechtsextremen übernehmen zu wollen. Dieser Drift zum Rechtsextremen dürfte die AfD-Prognosen stabilisieren. In Thüringen liegt die AfD bei 34 Prozent. Wenn schon für die Politiker*innen die AfD als Machtbeschaffungschance wahrgenommen wird, warum sollten die Wähler*innen die Partei dann nicht erst recht als Wahloption sehen. „Nie wieder ist jetzt“ sollte für die demokratischen Parteien bedeuten: Kein Paktieren mit Antidemokraten. 

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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