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AfD-Verbot ohne Ursachenbekämpfung ist sinnlos

Ein AfD-Verbot ist nicht das Ziel, sondern muss erst der Anfang sein. Die Ursachenbekämpfung muss im Mittelpunkt stehen. Sonst sucht der Faschismus sich einen neuen Weg.

Eine Person auf einer Demo hat ein Schild um den Hals gehängt. Darauf steht: Rassismus ist keine Meinung.
Foto: IMAGO / ULMER Pressebildagentur

Seit das Geheimtreffen in Potsdam und die darin diskutierten Vertreibungspläne von „Correctiv“ publik gemacht wurde, demonstrieren Hunderttausende in deutschen Städten gegen Rechtsextremismus und die AfD. Gleichzeitig intensiviert sich die Diskussion um ein Verbotsverfahren gegen die Partei. So fordert beispielsweise ein Appell von Campact das Verbot der durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverbände in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Auch darüber, die AfD von staatlicher Finanzierung auszuschließen, wird nachgedacht. Am wichtigsten bei der Bekämpfung von faschistischen Ideen ist allerdings, nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen zu bekämpfen. Darüber wird derzeit aber nicht diskutiert.

Sibel Schick ist ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Im Campact-Blog schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Lies hier ihre Beiträge:

Das Problem hier ist nicht auf rechte und rechtsextreme Strukturen begrenzt, es geht darüber hinaus. Deutschland hat in erster Linie ein Demokratieproblem. Das Demokratieproblem liegt nicht daran, dass es die AfD gibt – es ist umgekehrt. Dass es die AfD gibt, ist eine Folge des Demokratieproblems. Meinetwegen können wir schon heute die drei Landesverbände der AfD verbieten, der Partei die staatlichen Mittel streichen oder sie ganz verbieten. Aber wenn wir das grundlegende Problem nicht beheben, wird das keine nachhaltige Lösung, sondern bloß Symbolpolitik.

AfD-Verbot stoppt keine Gesinnungen

Das grundlegende Problem ist die deutsche Tendenz zu rechten und menschenfeindlichen Einstellungen. Das grundlegende Problem ist die Kontinuität in Deutschland, die systematische Verharmlosung der Überbleibsel des Nationalsozialismus und des deutschen Kolonialismus. Das Problem sind deutsche politische Parteien, die sich als bürgerlich, liberal, grün oder sozialdemokratisch bezeichnen und ganz oder teilweise rechte Politik machen. Und ein weiteres grundlegendes Problem ist die kollektive Verharmlosung faschistischer Ideen, die sich tief in dieser Gesellschaft verwurzeln konnten und können.

Die AfD ist keine Protestpartei. Die AfD ist eine Partei, die faschistische Ideen normalisiert. Faschistischen Ideen auf Augenhöhe zu begegnen suggeriert, dass sie ganz normale Gedanken wie jeder andere seien. Es gibt aber Sachen im Leben, die nicht zur Debatte stehen. Warum kann in Deutschland über jedes fundamentale Recht diskutiert werden, als könnte es eventuell überflüssig sein? Die AfD hat das ganz bestimmt nicht alleine erreicht; eine Diskussion setzt mehrere Gesprächspartner*innen voraus. Alle anderen Akteur*innen haben es bisher ganz brav mitgemacht. Weil Menschenrechte für sie offensichtlich keine rote Linie waren. Sonst hätten sie es ja nicht mitgemacht. Wir sind, was wir tun.

Fundamentale Rechte werden auch ohne AfD mit Füßen getreten

Ein Blick auf die Themen, die sich hervorragend für rechtsextreme Hetze instrumentalisieren lassen, reicht: Rechte von Menschen, die nicht weiß sind, migrantische Menschen, arme Menschen, trans Menschen. Themen, die diese Gruppen akut betreffen, werden allerdings nicht von Rechtsextremen, sondern auf der höchst politischen Ebene von der Bundesregierung gewaltvoll diskutiert. Um der AfD die Stimmen abzunehmen, werden die fundamentalen Rechte marginalisierter Gruppen mit Füßen getreten. Das ist der fruchtvolle Boden, auf dem Parteien wie die AfD wachsen.

Was bringt ein AfD-Verbot oder ihre Landesverbände zu verbieten, solange es die anderen gibt, die der nächsten AfD zum Aufstieg verhelfen werden? Es verschiebt das Problem vielleicht um ein paar Jahre, beseitigt es aber nicht. Was das Problem beseitigen kann, ist klar: Eine Gesellschaft, in der der Schutz der fragilsten Gruppen höchste Priorität hat. Eine Gesellschaft, in der jegliche faschistische Idee konsequent stigmatisiert wird. Menschen, die ihren eigenen Machtbereich für die Stärkung der Demokratie nutzen, anstatt für die Schwächung derer. Und eine Politik, die von grundlegenden moralischen Prinzipien getrieben ist. In einem Land, in dem selbst das Wort „Moral“ belächelt und sogar als Schwäche behandelt wird, ist es aktuell schwer denkbar. Aber genau dort müssen wir ankommen, wenn wir dem Faschismus, der sich furchtlos ankündigt, standhalten wollen.

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Autor*innen

Sibel Schick kam 1985 in Antalya, der Türkei, auf die Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Sie ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Schick gibt den monatlichen Newsletter "Saure Zeiten" heraus, in dem sie auch Autor*innen, deren Perspektiven in der traditionellen Medienlandschaft zu kurz kommen, einen Kolumnenplatz bietet. Ihr neues Buch „Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss“ erscheint am 27. September 2023 bei S. Fischer. Ihr Leseheft "Deutschland schaff’ ich ab. Ein Kartoffelgericht" erschien 2019 bei Sukultur und ihr Buch "Hallo, hört mich jemand?" veröffentlichte sie 2020 bei Edition Assemblage. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Alle Beiträge

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