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Die Zeichen des Faschismus

Ein gruseliges Video geht viral: Schwarzgekleidete Faschisten reißen die rechte Hand zum Gruß hoch. Rom, im Januar 2024. Was ist da los in Italien? Warum darf der faschistische Gruß dort einfach gezeigt werden? Ein Blick ins Land von Mussolini und Meloni.

Das Foto zeigt die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei einer Pressekonferenz. Sie trägt einen rosafarbenen Blazer und hält die arme verschränkt.
Die Ministerpräsidentin von Italien Giorgia Meloni bei einer Pressekonferenz. Foto: IMAGO

Hunderte schwarz gekleidete Gestalten, in Reih und Glied wie bei einem militärischen Appell, heben auf Zuruf alle gleichzeitig den rechten Arm. „Presente“ rufen sie auf Italienisch: „Anwesend“. Mir läuft es kalt den Rücken herunter, als ich Anfang Januar das Video aus Rom sehe. Der faschistische Gruß, den Hunderte in aller Öffentlichkeit zeigen, auf einer Straße der italienischen Hauptstadt, sieht genauso aus wie der „Hitlergruß“. 

„Es ist 2024 und der Faschismus ist wieder da?!“ – so kommentieren meine Freund*innen das Video in den sozialen Medien. Das ist kurz bevor das Geheimtreffen hochrangiger AfDler mit rechtsextremen „Vordenkern“ und CDU-Mitgliedern bekannt wird und 1,5 Millionen Menschen hier in Deutschland gegen den Faschismus auf die Straße gehen. Aber wie ist die Lage in Italien? Werfen wir einen Blick über die Alpen in das Land, das im 20. Jahrhundert als erstes in Europa dem Faschismus zum Opfer fiel.

Hitler hat den Gruß geklaut

In Deutschland ist der Hitlergruß verboten: nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuchs, „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“. Der hochgerissene rechte Arm ist untrennbar verknüpft mit der Durchdringung der NSDAP-Propaganda in alle Lebensbereiche: bei Veranstaltungen, in der Schule, selbst beim Bäcker mussten schon Kinder diesen Gruß täglich leisten; wer sich weigerte, wurde bestraft. 

Was viele nicht wissen: Hitler hat diesen Gruß, der in Nazideutschland so sehr mit seiner Person verknüpft wurde, nur geklaut – oder zumindest übernommen – vom italienischen Diktator Benito Mussolini. Mussolini hatte seine Kampfverbände, die Schwarzhemden, im Sommer 1922 vor der Stadt Rom aufmarschieren lassen und drohte mit einem Bürgerkrieg. Daraufhin ernannte der italienische König ihn zum Ministerpräsidenten. Mussolini schaffte die Demokratie ab und installierte eine faschistische Diktatur mit Führerkult: er war der „Duce“. Der faschistische Gruß war schon ab 1922 Pflicht in Italien. 

Mussolini als Vorbild

Hitler, 1923 mit seinem Putsch in München gescheitert und noch zehn Jahre entfernt von der Macht, war begeistert von Mussolinis „Großem Marsch auf Rom“ (der de facto nie stattgefunden hat, Mussolini ist einfach mit dem Nachtzug von Mailand nach Rom gereist). Die Nazis griffen die Propaganda von Mussolini begeistert auf. Ab 1926 war der Gruß innerhalb der NSDAP offiziell vorgeschrieben. Von Hitlers Sekretär Rudolf Heß ist ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1928 überliefert, in dem er erklärt, man habe den Hitlergruß keineswegs von den italienischen Faschisten übernommen, aber falls doch, sei dies ja wohl auch nicht so schlimm. 

Tatsächlich war auch Mussolini nicht selbst auf die Idee gekommen. Bereits die alten Römer hatten das Hochreißen des rechten Arms als Zeichen der Begrüßung genutzt. Und auch französische Athlet*innen praktizierten dieses Ritual als „olympischen Gruß“. Von 1922 bis 1943 war der Gruß für den „Duce“ in Italien aber ebenso erzwungener Alltag wie der Hitlergruß ab 1933 in Nazideutschland. Wie Italien angesichts der erwartbaren Kriegsniederlage im Jahr 1943 seinen Diktator stürzte, dann aber von Hitler-Deutschland besetzt wurde, das ist eine andere Geschichte. 

Kommen wir zurück zu der Frage, warum im Januar 2024 hunderte Männer in Rom den Hitler- bzw. Mussolini-Gruß machen. Zum einen hat das eine historische Bedeutung: In der Via Acca Larenzia, einer Straße im Osten Roms, sind am 7. Januar 1978 bei einem Überfall durch eine linke Terrorgruppe drei Rechtsextremisten ums Leben gekommen. Ihrer gedenken die Mitglieder der faschistischen Gruppe „Casa Pound“ und ihre Verbündeten immer am 7. Januar. So auch in diesem Jahr. 

Von Mussolini zu Meloni

Eigentlich ist auch in Italien der faschistische Gruß ein Tabu. Aber auch in der jüngeren Vergangenheit gab es bei Gedenkveranstaltungen von Rechtsextremen rechtswidriges Verhalten: 2019 zeigten die in der Acca Larenzia versammelten Faschisten nicht nur den verbotenen Gruß, sondern griffen auch linke Journalist*innen an. Doch seit Oktober 2022 ist der Faschismus noch offensichtlicher, noch dreister geworden in Italien. Denn seitdem regiert mit Giorgia Meloni eine Ministerpräsidentin das Land, die in ihrer Jugend Teil einer Mussolini-nostalgischen Partei war. Meloni hat von sich selbst mal gesagt, sie habe ein „unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus“; sie sagte außerdem, Mussolini sei ein „guter Politiker“ gewesen. 

Zwar geht Meloni auf Abstand zum Erbe Mussolinis, seitdem sie mit ihrer Partei „Fratelli d’Italia“ (kurz FdI, übersetzt „Brüder Italiens“) die Parlamentswahlen gewonnen hat. Doch ihr politischer Vertrauter, der Senatspräsident Ignazio La Russa, macht keinen Hehl aus seiner Mussolini-Verehrung. Das gibt den Faschist*innen in Italien Aufwind. Im Oktober 2022, zur Hundertjahrfeier von Mussolinis Machtübernahme, feierten bereits Hunderte Anhänger den „Duce“ an seinem Grab in Norditalien – mit hochgerissenem rechten Arm. 

Geschichtsblindes Gerichtsurteil

Nun also das Video vom 7. Januar. Nicht nur meine Freund*innen auf Instagram, auch viele Menschen in Italien sich schockiert. Es hagelt Kritik an der Polizei, die nicht eingeschritten ist. Und an der Regierungschefin Meloni, die sich zu dem Vorfall bis heute nicht geäußert hat. Mitten in die öffentliche Diskussion über die faschistischen Gruß fällt ein Urteilsspruch von Italiens höchsten Gericht. Das sollte über Faschisten urteilen, die 2016 in Mailand den rechten Arm hochgehalten hatten – ebenfalls bei einer Gedenkveranstaltung. Gegen ihre Verurteilung wegen „Verherrlichung des Faschismus“ waren die Angeklagten vor den höchsten Gerichtshof gezogen. 

Zum allgemeinen Erstaunen urteilten die Richter*innen: Das Zeigen des faschistischen Grußes sei nicht strafbar, wenn er „nur bei Gedenkveranstaltungen“ gezeigt werde und keine „konkrete Gefahr“ bestünde. Das ist eine Abkehr von der italienischen Verfassung, in die der Antifaschismus festgeschrieben ist – als Lehre aus der Geschichte. Und es ist weiteres Wasser auf die Mühlen derer, die von einer Wiederkehr der Mussolini-Zeit träumen.

Meloni ist zwar noch nie dabei gesehen worden, wie sie selbst den faschistischen Gruß macht. Es dürften aber in nächster Zeit immer mehr Menschen werden, die in Italien diese gruselige Geste machen – unbehelligt von Polizei und Justiz. Etwas Ähnliches wäre in Deutschland bislang glücklicherweise undenkbar. Doch auch hierzulande gewinnt eine rechtsextreme Partei an Zuspruch. Und wenn die AfD irgendwann mitregieren darf, droht uns noch viel Schlimmeres als der Hitlergruß.

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Autor*innen

Lara Eckstein hat im Journalismus-Studium Interviews mit Überlebenden des Holocausts geführt und ist seitdem glühende Antifaschistin. Bei Campact arbeitet sie als Campaignerin gegen Rechtsextremismus; privat ist sie als stadtpolitische Aktivistin in Berlin im Einsatz. Hier bloggt sie zu Erinnerungspolitik und gegen das Vergessen. Alle Beiträge

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