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Eine Demokratie der Zuneigung

Unsere Parlamente müssen lernen, Emotionen zu integrieren – nur dann kann unsere Demokratie auch wieder Menschen wirklich begeistern.

Angela Merkel (damals Bundeskanzlerin und CDU) jubelt nach dem Tor zum 2-0 im Spiel DEUTSCHLAND gegen PORTUGAL 4-0 bei der FIFA Fussball WM Weltmeisterschaft am 16.06.2014 in SALVADOR, Arena Fonte Nova.
Ein seltener Moment, in dem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Emotionen zeigen durfte: Ihr Torjubel bei der Fußball-WM 2014 blieb vielen Bürger*innen und Fußball-Fans positiv in Erinnerung. In der Politik hätte Merkel solche Emotionen nie zeigen dürfen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren – ein Paradox. Foto: IMAGO / ActionPictures

Das Problem mit der Emotion und der Politik ist gerade bei uns Deutschen ein Großes. Da tun wir uns besonders schwer. Der Geschichte wegen. Emotion und Manipulation fallen so bei uns – gefühlt –, wenn es um Politik geht, oft zusammen. Gefühle haben für viele in der Politik nichts zu suchen; sie werden als Einbruch in die irrationale Sphäre gewertet. Die Politiker*innen sollen lieber Argumente abwägen und rationalen Sachfragen klug und rational zu einer Entscheidung führen. Diese Haltung hat nicht ausschließlich etwas mit unserer Geschichte zu tun; die liberale Denkschule und ja, das Patriarchat, hat da auch noch mitgemischt.

Emotionen: Schädlich für die Demokratie?

Eins nach dem anderen: In der unserem Politikverständnis nahestehenden liberalen Denkschule werden Emotionen und Gefühle ausschließlich dem privaten Raum zugeordnet. Emotionen schaden in der Demokratie, weil sie scheinbar nicht rational begründbar sind. Die liberale Befürchtung ist: Sperrt man Gefühle und Emotionen in einer politischen Debatte nicht aus, verlieren die vermeintlichen Sachargumente an Boden, und das Gemeinwohl kommt zunehmend in Gefahr. Anders ausgedrückt: Die Abgrenzung und Ausgrenzung eines Gefühlsraums in der Politik ist, so die Vorstellung, der effektivste Schutz gegen das Risiko eines Populismus, der Emotionen für seine Zwecke nutzt. Wir haben uns daher irgendwann darauf geeinigt, dass das Heraushalten von Gefühlen aus der Politik die Demokratie verteidigt, bzw. diese erst am Laufen hält.

Der kühle Kopf ist unter den Demokrat*innen sehr beliebt. Im Gegensatz dazu bestrafen wir Emotionen und Personen, die sich gefühlsbetont einbringen, tendenziell in (demokratischen) Diskussionen. Nicht unbedingt aus Bösartigkeit oder vollkommener Empathielosigkeit, sondern weil wir nie gelernt haben, Gefühle sinnvoll zu integrieren. Wir haben uns nie die Frage gestellt, wie wir unsere Emotionen in eine parlamentarische Debatte gemeinwohlorientiert einbringen können. Wie wir unsere tief liegenden emotionalen Potenziale für die Demokratie nutzbar machen können. Warum auch? Der Anreiz fehlte schlicht.

Emotionen sind „weiblich“ besetzt

Gefühle und Emotionen waren – und werden in der Regel immer noch – dem Häuslichen, dem Familiären, also „der Frau“ zugeordnet. Unsere patriarchalen Skripte passen da hervorragend zum liberalen Theoriegebäude. „Weiblich“ gelesene Eigenschaften werden prinzipiell als nicht „entscheidend“ gewertet. Die Kehrseite davon: Auch in der männlich gelesenen Machtsphäre haben Emotionen keinen Platz. „Echte Männer“ zeigen ihre Emotionen nicht offen, weil es „unmännlich“ oder „schwach“ wirkt. Dabei wissen wir alle: Emotionen und Gefühle sind weder weiblich noch männlich. Wir alle haben sie. Wir wissen auch alle, wie entscheidend sie für die private Sphäre sind, wie sehr sie unser Leben beeinflussen.

Die Abkehr von Gefühlen ist nicht nur in der Politik, sondern auch gesellschaftlich ein Problem. Das Patriachat und Einstellungen, die vermeintlich „weibliche“ Eigenschaften als schwach darstellen, schaden damit uns allen.

Der Feminismus strebt eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen und der patriarchalischen Kultur an.

Unser großes deutsches Trauma, der Liberalismus und nicht zuletzt das Patriarchat haben also zu einem Denk-Paradigma geführt, das Gefühle zumindest in der öffentlichen politischen Sphäre abwertet. Und damit bis heute verhindert, Emotionen angemessen bearbeitbar zu machen, um sie schlussendlich in unsere demokratischen Entscheidungsfindungen einzubeziehen. Doch jede Entscheidung in unseren Parlamenten wird auch zu einem großen Teil von Emotionen und Gefühlen bestimmt. Jede Einzelne. Wir können zwar zwischen rationalen und emotionalen Beweggründen unterscheiden, funktionieren aber letztlich jedoch alle als ganze Menschen. Vielleicht gelingt es uns sogar, uns hier und dort einzureden, aus allein rationalen Argumenten heraus so oder anders entschieden zu haben, aber am Ende spielen unsere Gefühle (Angst, Freude, Trauer, Wut, Ekel, Verachtung etc.) mindestens unterbewusst immer mit. Im Privaten wie auch im öffentlichen Leben.

Politisches Potenzial verfehlt

Wäre das Emotions-Tabu gebrochen, hätten wir mehr Tools zur Verfügung, den „Wutbürger*innen“ angemessener zu begegnen. Die Verachtung, die viele Menschen der Politik und unseren Politiker*innen entgegenbringen, nicht nur zu erklären, sondern sie mit aufzunehmen und sie zu verarbeiten. Die Zukunftsangst, die vielen Mitbürger*innen ins Gesicht geschrieben steht, nicht weiter unbeholfen wegzuwischen, sondern ihr Schärfe zu nehmen, indem man die daraus entstehenden Gefühle anerkennt und sie handlungsleitend für die Politik macht.

Würden wir Emotionen und Gefühlen tatsächlich den Stellenwert und die Anerkennung zukommen lassen, die sie ohnehin bei jeder Entscheidung haben, würde dies mittelfristig zu einer anderen demokratischen Kultur führen, die eine ganzheitliche, lebendigere Demokratie zur Folge hätte. Durch diesen blinden emotionalen Fleck nehmen wir unserer Demokratie das ganze emotionale Potenzial (Emotionen können Berge versetzen), das wir eigentlich gerade jetzt gut gebrauchen könnten. 

Mitgefühl und Empathie statt Hass und Wut

Denn auch zur Wahrheit gehört: Wenn es um Politik und Emotion geht, ist uns die AfD in verquerer Art und Weise voraus. Diese rassistische Partei hat gelernt, die Emotionen der Menschen aufzunehmen und sie in den Mittelpunkt zu stellen. Sie versteht es wie keine andere Partei, sich emotional verfügbar zu machen, auch wenn sie dies nicht in kongruente Politik übersetzt, sondern ihre demokratiefeindlichen Politiken damit legitimiert. Sie vermittelt ihren Anhänger*innen das Gefühl: „Du bist ok mit deinem SUV, mit deinen Werten, mit deinem Fleischkonsum und deiner verzerrten Vorstellung von einer deutschen Leitkultur. Du musst dich nicht ändern. Du bist so, wie du bist, in Ordnung.“ Diese Art der „Du bist ok“-Kommunikation der AfD gibt den Menschen, die dafür offen sind, das Gefühl, wirklich in ihren Bedürfnissen und Gefühlen gesehen zu werden. Sie vermittelt damit etwas Tröstliches, eine emotionale Zuflucht, die die AfD für ihre rückwärtsgewandte Politik sichtbar erfolgreich nutzt.

Wenn wir Strategien suchen, wie wir diesen rechten Auswüchsen Einhalt gebieten können, dann sollten wir unsere eigenen emotionalen Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit finden. Das wäre in gewisser Weise das Rationalste, was jetzt zu tun wäre. Man könnte neben der Ellenbogen- und Abwertungskultur, die in unseren Parlamenten landauf, landab zu finden ist, eine Demokratie der Zuneigung etablieren, die zusammenführt, was zusammengehört: Emotion und wohlabgewogenes Argument. Es wäre eine Demokratie, die wirklich Politik für den ganzen Menschen macht! Die nicht nur ihre Ängste und Wut wahrnimmt, sondern auch ihre Hoffnung, ihre Freude in Politik übersetzt. Dann wäre eine im wörtlichen Sinne „begeisternde Demokratie“ möglich.

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Autor*innen

Anselm Renn ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler. Er ist Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und setzt sich seit Jahren als Pressesprecher und Campaigner für stärkeren Bürger:inneneinfluss in der Politik auf allen Ebenen ein. Im Campact-Blog schreibt er zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Alle Beiträge

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