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Höcke: „Alles für Deutschland“ als NS-Bestrebung

Björn Höcke (AfD) fordert die Justiz erneut heraus. In einem Gerichtsverfahren soll geklärt werden, ob von ihm getätigte Aussagen die Absicht hatten, "Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen". Kann man ihm das nachweisen?

Björn Höcke (AfD) im Thüringer Landtag.
Björn Höcke (AfD) im Thüringer Landtag. Foto: IMAGO / Karina Hessland

Björn Höcke hat am 18. April 2024 wieder einmal eine Gerichtsverhandlung. Diesmal wird es aber ernster als bisher. Ihm wird vorgeworfen, mindestens zweimal die verbotene SA-Parole „Alles für Deutschland“ vor einem Publikum benutzt zu haben. Nach Artikel 86a ist es verboten, NS-Parolen in einer öffentlichen Versammlung zu verwenden, wenn diese laut Artikel 86 „nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“. Und als Strafmaß sind bis zu drei Jahre Haft möglich.

Höcke fordert die Justiz – erneut – heraus

Ich bin kein Jurist und maße mir nicht an, im Sinne der Artikel 86 und 86a als Richter über Björn Höcke zu urteilen. Aber als Soziologe ist es mir wichtig, die natürlich bewusst vom Geschichtslehrer Höcke öffentlich geäußerten SA-Parolen zu kontextualisieren. Hierzu hatte ich bereits vor rund einem Jahr den Beitrag „Höcke fordert die Justiz heraus“ in diesem Blog publiziert. Dort hatte ich eine zweischrittige Strategie von Höcke herausgearbeitet: einen grundsätzlichen „Auftrag“ der Wiederherstellung des „europäischen Kraftzentrums“ durch eine nationale „Revolution“. Dem geht als erster Schritt eine parteipolitische „Mission“ voraus: „Die Rückeroberung der Meinungsfreiheit ist das zentrale Motiv meiner politischen Betätigung […] Die §§ 86 und 130 und ihre Strafbewehrung sind mehr als umstritten. […] Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz. Hinfort damit – und zwar schnell.“ (Aus einer E-Mail von Björn Höcke im Mai 2014).

Das Bild zeigt ein Handy, auf dem Bildschirm ist der AfD-Politiker Björn Höcke zu sehen.
Foto: Campact e.V.

Höckes Partei, die AfD, ist zuletzt verstärkt in sozialen Netzwerken unterwegs und verbreitet dort Hass und Hetze. Campact fordert in einem Appell an TikTok die Löschung der rechtsextremen AfD-Konten.

In diesem Beitrag soll es also um die Frage gehen, ob Höcke die „Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation“ fortsetzt. Da dies verboten ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese Bestrebungen nicht offen und unter Klarnamen benannt werden. Schon gar nicht dann, wenn man verbeamteter Geschichtslehrer ist.

Diese Bestrebungen müsste man also mühsam aus den Verlautbarungen rekonstruieren. Beispielsweise durch das Aufzeigen bestimmter Codes, durch die Verwendung bestimmter Sprachweisen und Narrativen, die in anderen Kontexten dann sehr viel deutlicher werden, oder auch durch die Nähe zu bestimmten Akteuren, die sehr viel klarer ihre Bestrebungen benennen.

Höckes Strategie von „Krise, Chance, Auftrag“

Hier kommt dann drei Texten eine besondere Aufmerksamkeit zu, die Höcke damals als noch sehr unbekannter Geschichtslehrer kurz vor Gründung der AfD unter Pseudonym verfasste. Er musste davon ausgehen, dass niemand die Texte von Landolf Ladig mit ihm in Verbindung bringen sollte, da er 2011/2012 noch nicht im Fokus der Öffentlichkeit stand und auch nicht wissen konnte, dass er kurze Zeit später, im Sommer 2013, als Bundestagskandidat für die AfD kandidieren sollte, die ja überhaupt erst im Frühjahr 2013 gegründet worden war.

Insbesondere auf eine Passage aus den Ladig-Texten möchte ich hier eingehen. Denn diese benennt explizit eine NS-Bestrebung, die Ladig als eigenes Bewegungsziel ausgibt: die sogenannte staatlich etablierte „Antiglobalisierungsbewegung“. Der erste Ladig-Text „Krise, Chance, Auftrag“ geht dreischrittig vor und stellt zunächst die Krise dar: Die Zerschlagung des „europäischen Kraftzentrums“ und der „Antiglobalisierungsbewegung“ durch den sogenannten „Angriffskrieg“ auf Deutschland; die Chance eines Zusammenbruchs des Systems durch eine Energiekrise im Zusammenhang mit „sich aufpotenzierenden Krisendynamiken“; und schließlich der Auftrag, in der kommenden „Revolution“ die Führung zu übernehmen. Die entsprechende Passage zur Krise lautet im Ladig-Text von 2011:

Das europäische Kraftzentrum entwickelte sich so prächtig, daß die etablierten Machtzentren sich gezwungen sahen, zwei ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich zu führen. Der zweite Krieg war allerdings nicht nur ökonomisch motiviert, sondern darf auch als ideologischer Präventivkrieg angesprochen werden, hatte sich im nationalsozialistischen Deutschland doch eine erste Antiglobalisierungsbewegung staatlich etabliert, die, wären ihr mehr Friedensjahre zur Erprobung vergönnt gewesen, wahrscheinlich allerorten Nachahmer gefunden hätte.

Text unter dem Pseudonym Landolf Ladig: Krise, Chancen, Auftrag, in: Volk in Bewegung 2011

Der Text geht weiter mit dem Hinweis auf eine „kleine politische Avantgarde“ nach 1945: „Trotz der beinahe totalen Zerschlagung des europäischen Zentrums ist hier die Glut immer noch nicht erloschen.“ Es gebe eine Chance, denn eine drohende Energiekrise würde im Zusammenhang mit sich „aufpotenzierenden Krisendynamiken“ eine „politische Revolution“ machbar erscheinen lassen. Abschließend im Text dann der Auftrag: „Begreift sich die identitäre Systemopposition als in der Tradition der deutschen Ideenschmiede stehend und begehrt sie politischen Führungsanspruch, muß sie jetzt beginnen, die Fragen einer mittelfristigen Zukunft zu beantworten.“ (ebd.)

Die Autorenschaft von Höcke hinter den Ladig-Texten vorausgesetzt, sieht sich Höcke anscheinend mit seinen politischen Weggefährten als die „nicht erloschene Glut“ mit entsprechendem Auftrag, als „identitäre Systemopposition“ in der vermeintlich kommenden „Revolution“ den „politischen Führungsanspruch“ zu begehren. Als Mission auf dem Weg dorthin gelte es demzufolge bereits jetzt, die NS-Sprache („Alles für Deutschland“) wieder sag- und für entsprechende Propagandasprüche nutzbar zu machen.

Staatlich-etablierte Antiglobalisierungsbewegung im Nationalsozialismus?

Den Begriff „Globalisierung“ gibt es erst seit den 1960er Jahren. Auf keinen Fall sprachen die Nazis vor 1945 von „Globalisierung“ oder „Antiglobalisierungsbewegung“. Hier ist also die Frage, was unter einer staatlich-etablierten Antiglobalisierungsbewegung im Nationalsozialismus zu verstehen ist. Übersetzen wir in einem ersten Schritt Globalisierung mit Internationalismus, wäre klar, dass mit staatlich-etablierte Antiglobalisierung die antisemitische NS-Bewegung gegen das sogenannte „Weltjudentum“ bzw. gegen das vermeintlich internationale „jüdische Finanzkapital“ gemeint ist.

Machen wir es uns nicht so einfach und schauen wir nach, was aktuell die extrem Rechten unter Globalisierung verstehen. Hierzu greife ich auf einen Text von Jürgen Gansel zurück, der für zwei Legislaturperioden (2004-2014) für die NPD im sächsischen Landtag saß und als NPD-Vordenker 2006 ein NPD-Schulungsprogramm verfasste.

Im Kapitel 2.2 heißt es dort: „Warum lehnt die NPD so entschieden die Globalisierung ab?“

Es handelt sich bei der Globalisierung um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes. Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA. Deshalb ist Globalisierung eine unverblümte Imperialismusstrategie der USA, um der ganzen Welt den von US-Konzernen ausbeutbaren American Way of Life – besser: American Way of Death – aufzuzwingen.

Jürgen Gansel: NPD-Schulungsprogramm, 2006

Die explizit antisemitische Wesensbeschreibung der Globalisierung („seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos“) ist eher für den internen Hausgebrauch gedacht. Nach außen ist diese Formulierung gestrichen, es bleiben Codes wie „nomadisch“ und „ortlos“. Im Artikel „Warum lehnt die NPD so entschieden die Globalisierung ab?“ auf der Website der NPD-NRW ist das „jüdisch-nomadisch“ gestrichen: „Es handelt sich bei der Globalisierung um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes. Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA.“

Die Verbindung zwischen Höcke und Gansel

Aber hat Höcke überhaupt etwas mit dem Globalisierungsbegriff der NPD zu tun? Alle drei Ladig-Texte sind in Magazinen von Thorsten Heise erschienen und Heise hatte Höcke bereits 2008 bei seinem Umzug von Hessen nach Thüringen unterstützt. Heise ist stellvertretender Vorsitzender der NPD (bzw. wie sie jetzt heißt: der Partei „Die Heimat“). Darüber hinausgehend ist davon auszugehen, dass Björn Höcke Jürgen Gansel persönlich kannte. Falls dies in Abrede gestellt werden sollte, dann kannte er zumindest die diesbezüglich relevanten Texte von Gansel.

Jürgen Gansel studierte zeitgleich mit Björn Höcke mehrere Jahre bis 1999 in Gießen und Marburg Geschichte. Zwischen 1995 und 1997 war er Vorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO). Höckes Großeltern und Eltern waren Mitglieder der Landsmannschaft Ostpreußen und Höcke stellte sich vehement in diese Tradition. ZDF-Aufnahmen zeigen den Geschichtslehrer Höcke 2010 beim Neonazi-Aufmarsch der JLO in Dresden. (Siehe auch: Andreas Kemper: Höcke, NPD-Verbot und „Dresdner Schule“)

Gansel hatte nicht nur 2006 das NPD-Schulungsprogramm verfasst, sondern auch zuvor, am 3. Mai 2005, den programmatischen Text „Wesen und Wollen der ‚Dresdner Schule'“ veröffentlicht. In den Reden und Texten des AfD-Politikers Höcke finden sich eine Reihe einschlägiger Formulierungen, die Gansel zuvor im Manifest der ‚Dresdner Schule‘ benutzte: „Neurotisierung Deutschlands“, „One-World-Ideologie“, „Dritter Weg“, „Sein oder Nichtsein der Völker“. Wie in Gansels Schulungsprogramm, geht es auch in dem Manifest von 2005 um den Kampf gegen „Globalismus“:

Die ‚Dresdner Schule‘ will zeigen, daß es Alternativen zur Allmacht des Großen Marktes gibt und Finanznomadismus […] nicht das letzte Wort der Wirtschaftsgeschichte sein werden. Eine grundlegende Wirtschaftserneuerung aus nationalem und sozialem Geist – der Dritte Weg also zwischen Kommunismus und Kapitalismus.

Inbesondere die folgende Passage aus dem Manifest von Gansel sollte als Hintergrund zum Text von Ladig gelesen werden, als dieser über den Kampf fremder Mächte gegen die NS-Antiglobalisierungsbewegung fabulierte: „Wir vergessen nicht, daß Amerika wegen nackter Wirtschaftsinteressen in die beiden Weltkriege eintrat und diese gegen Deutschland entschied. Wir wissen, daß die Amerikaner die ideologischen Schöpfer und gewalttätigen Exekutoren von Multikulturalismus und Globalismus sind. […] In Washington und New York – ob hier etwa der Schwanz Israel mit dem Hund USA wedelt oder nicht, sei dahingestellt – sitzen daher die Todfeinde der Völker.“ (Jürgen Gansel: Wesen und Wollen der „Dresdner Schule“, 2005)

Fazit

Es ist davon auszugehen, dass Höcke die antisemitische NS-„Antiglobalisierungsbewegung“ fortsetzen will. Er hofft dabei auf den Zusammenbruch des Systems durch sich gegenseitig aufpotenzierende Krisendynamiken, wobei insbesondere die Energiekrise genannt wird. In der Phase bis zur Revolution geht es ihm darum, das Verbot der NS-Sprache zunichte zu machen. Seine wiederholte Verwendung der verbotenen SA-Parole „Alles für Deutschland“ ist meiner Meinung nach als eine dementsprechend politische Taktik zu werten. Aber darüber hinaus ist der nationalistische Totalitarismus eines „Alles für Deutschland“ ein Antagonismus zum antisemitischen Stereotyp des „vaterlandslos“, „jüdisch-nomadischen“ als Wesenskern der „Globalisierung“. Mit der SA-Parole „Alles für Deutschland“ stellt sich Höcke in die Tradition der von ihm so genannten NS-„Antiglobalisierungsbewegung“.

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell ist Kemper Mitherausgeber des 'Dishwasher-Magazins' für Arbeiter*innenkinder und recherchiert zu totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Alle Beiträge

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