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35-Stunden-Woche: Ein feministisches „Hooray“ an die GDL

Die GDL hats geschafft: Nach vielen Streiks und Verhandlungen konnten sie eine kürzere Wochenarbeitszeit für ihre Beschäftigten durchsetzen. Warum dieser Erfolg auch für den Feminismus und die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt wichtig ist.

Ein ICE Zug steht zur Abfahrt bereit. Eine Zugbegleiterin signalisiert dem Lokfuehrer mit roter Kelle, dass der Zug zur Abfahrt bereit ist.
Freie Fahrt für die 35-Stunden-Woche für Lokführer:innen. Foto: IMAGO / Poolfoto

Ausgefallene Fahrten, Umbuchungen auf FlixTrain, Verspätungen: Auch mich haben die Bahn-Streiks in den vergangenen Monaten auf einigen Reisen zu Spontanität gezwungen. Dennoch bin ich froh über den Kampfgeist der Gewerkschaft. Denn auch wenn die wenigsten Lokführer:innen Frauen* sind – die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ist auch für feministische Zeitpolitik ein realpolitischer Erfolg.

Harte Verhandlungen um die 35-Stunden-Woche

Mehr als 200 Stunden Streik: So viel Einsatz zeigte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), um in den Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn eine kürzere Wochenarbeitszeit durchzusetzen. Auch ein Angebot der Schlichter im Tarifstreit, welches eine Verkürzung auf 36 Stunden pro Woche vorsah, lehnte die Gewerkschaft ab. In den letzten Wochen hatte die GDL sogar zum unbeliebten Mittel der Wellenstreiks gegriffen. Schließlich lohnte sich die gewerkschaftliche Hartnäckigkeit: Im nun verhandelten Kompromiss soll bis 2029 in mehreren Stufen die Regelarbeitszeit von aktuell 38 Stunden auf 35 Stunden abgebaut werden – und das bei vollem Lohnausgleich. Doch das Modell gilt nicht kollektiv – die Reduzierung ist optional. Wer möchte, kann bei saftigen Lohnzuschlägen bis zu 40 Stunden in der Woche arbeiten.  

Warum der Arbeitskampf der Gewerkschaften wichtig und notwendig ist, schreibt auch Matthias Flieder in seinem Beitrag:

Die harte Auseinandersetzung war gerechtfertigt: Denn Bahnfahrer:innen arbeiten im Schichtbetrieb. Schichtarbeit, das belegen viele Studien, ist zum einen ungesund und zum anderen besonders anstrengend. Ein unregelmäßiger Schlafrhythmus mindert die Schlaf- und Erholungsqualität. Zudem zeigen Studien, dass Schichtarbeitende eher zu Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen neigen sowie Einbußen in der Denk- und Gedächtnisleistung festgestellt werden können. Bei so anstrengender Arbeit ist eine Verkürzung der Arbeitszeit per se geboten. Doch es gibt auch feministische Freude über den Erfolg.

Die 40-Stunden-Woche steht der Gleichberechtigung im Weg

Eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich kann die Weichen in Richtung Gleichberechtigung stellen. Die Autorin Teresa Bücker identifiziert Zeit als einen wichtigen Faktor dafür, dass wir in vielen relevanten Fragen der Gleichberechtigung gesellschaftlich stecken zu bleiben scheinen. 

Wie Männer* und Frauen* ihre Zeit verbringen, ist höchst ungleich verteilt: Während etwa 87 Prozent der erwerbstätigen Männer einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, arbeitet knapp die Hälfte der Frauen in Teilzeit. In der nicht erwerbstätigen Zeit kümmern sie sich häufig um Pflege- und Sorgearbeiten: „Frauen verwenden durchschnittlich täglich 43,8 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Umgerechnet sind das 77 Minuten Unterschied pro Tag“, schreibt das Bundesfamilienministerium auf seiner Homepage. Mit dieser ungleichen Verteilung von Lebenszeit gehen ein geringerer Verdienst für Frauen, ein höheres Risiko für Altersarmut, weniger Zeit für Bewegung, aber auch unterschiedlicher mental load und gesundheitliche Belastungen einher.

Dem Ziel, diese verschiedenen Tätigkeiten gerechter zu verteilen, stehen jedoch Arbeitsmarktstrukturen im Weg. Um mehr Zeit mit Kindern und älteren Menschen zu verbringen, müssten Männer weniger Stunden erwerbsarbeiten. Weniger zu arbeiten bedeutet aktuell jedoch immer eine individuelle Reduzierung, die finanzielle Konsequenzen – weniger Lohn – nach sich zieht und häufig Karrierechancen mindert. Kaum ein Mann oder ein Paar entscheidet sich unter diesen Bedingungen für eine Arbeitszeitreduzierung des Mannes. 

Das Problem der ungleichen Verteilung von Zeit lässt sich also kaum individuell lösen. Wir müssen stattdessen die Arbeitszeitstrukturen ändern: Teresa Bücker zeigt sich im taz-Interview überzeugt, „dass wir ohne ein Ende der 40-Stunden-Woche Gleichberechtigung für alle Frauen niemals erreichen.“

Eine neue „Kurze Vollzeit“

Unter dem Stichwort „Kurze Vollzeit“ diskutieren Gewerkschaften deshalb auch eine Abkehr von der „Normalarbeitszeit“ von 38 bis 40 Stunden pro Woche. „30 bis 32 Stunden pro Woche sollten ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern“, meint GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow. Würde eine solchermaßen verkürzte Vollzeit für alle eingeführt, würde das vielen Problemen Abhilfe schaffen: Männer könnten weniger erwerbsarbeiten und mehr Zeit mit Familie und Sorge-Tätigkeiten verbringen, Frauen könnten mehr erwerbsarbeiten und finanziell unabhängiger sein. Gerechnet auf die Stunden wären die Arbeitnehmenden produktiver im Job und insgesamt gesünder. Klar, die 35-Stunden-Woche der GDL ist davon noch entfernt – aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

Doch einen Wermutstropfen gibt es im Kompromiss zwischen Bahn und GDL: Weniger Stunden zu arbeiten ist kein Automatismus, sondern ein Wahlmodell. Das klingt für die einzelnen Mitarbeitenden gut, kann aber in der Zukunft ein Problem sein. Denn einerseits ist eine Grundlage für gemeinsame Arbeitskämpfe ein kollektives Erleben der Arbeitswelt. Der aktuelle Kompromiss aber individualisiert die Situation der Beschäftigten, statt sie zu kollektivieren. Zweitens besteht die Gefahr, dass einige der Mechanismen wie bessere Karrierechancen bei höherer Arbeitszeit auch weiterhin greifen und die Reduktion der Arbeitszeit erschweren.

Danke, #hdGDL

Die Beharrungskräfte der langen Vollzeit sind stark. Schon als die Arbeiter:innen in der Metall- und Elektroindustrie 1983 für eine 35-Stunden-Woche kämpften, nannte der Kanzler Helmut Kohl den Arbeitskampf „absurd, dumm und töricht“. Damals gewann die IG Metall den Arbeitskampf trotzdem – und ist damit eine Vorreiterin für die Arbeitszeitverkürzung. Seitdem rückten weitere Arbeitszeitverkürzungen jedoch in weite Ferne. Und genau das ist der Grund dafür, dass ich mich so über den Kompromiss der Bahn und GDL freue: Zum ersten Mal seit den 1990er Jahren hat eine große Gewerkschaft eine signifikante Arbeitszeitverkürzung erkämpft – und dieser Erfolg kann nun ausstrahlen in andere Branchen. Danke, #hdGDL!

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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