AfD Rechtsextremismus
Gansel, Heise, Höcke: „Alles für Deutschland“
Sie war zentrale Parole und Erkennungszeichen des Nationalsozialismus. Dann wurde die verbotene SA-Losung „Alles für Deutschland" von Neonazis und NPD-Funktionären weiterverwendet – und von Björn Höcke.
Höcke steht vor Gericht, weil er mehrfach öffentlich die verbotene SA-Parole „Alles für Deutschland“ verwendet hat. „Alles für Deutschland“ ist nicht nur eine zentrale Parole des Nationalsozialismus, die in SA-Dolchen eingraviert war, meterhoch überdimensioniert die faschistische Bühnengestaltung dominierte oder als letzte Worte von NS-Funktionären kitschig-heroisch überliefert wurde.
Zentrale Parole und Erkennungszeichen des Nationalsozialismus
Der fanatische Totalitarismus des „Nichts für uns – alles für Deutschland!“ wurde in unverbesserlicher Kontinuität auch von Neonazis und NPD-Funktionären weiterverwendet. Und die Worte wurden nicht nur heimlich-verschämt eingeflochten, sondern als Bekenntnis und Auftrag, eben als Parole, unter wichtige Erklärungen gesetzt.
Zu nennen sind hier eine Erklärung von 2001 von Jürgen Gansel als Bundesgeschäftsführer des NPD-Studentenverbandes „Nationaldemokratischer Hochschulbund“ und von Thorsten Heise und weiteren Neonazi-Kameraden zum Eintritt in die NPD im Jahr 2004.
Beide Erklärungen hängen miteinander zusammen. Jürgen Gansel zog 2004 für die NPD in den sächsischen Landtag ein und blieb dort bis 2014, also für zwei Legislaturperioden. Zugleich wurde er mit einem Schulungstext für die NPD und mit dem Manifest der sogenannten „Dresdner Schule“ zum „intellektuellen“ Vordenker der NPD. Thorsten Heise trat als Vertreter des außerparlamentarischen Neonazi-„Widerstands“ der „freien Kameradschaften“ noch vor der Landtagswahl 2004 in die NPD ein, um den Wahlkampf der NPD aktiv und sichtbar zu unterstützen und um eine „Volksfront von rechts“ aufzubauen.
Gansel als NPD-Vordenker und zehnjähriger NPD-Landtagsabgeordneter und Heise als „Brückenkopf“ von der NPD zum außerparlamentarischen Neonazi-„Widerstand“ verbindet nicht nur das öffentliche Bekenntnis zum SA-Auftrag „Alles für Deutschland“. Beide haben auch mit Björn Höcke zu tun. Bei Thorsten Heise ist dies explizit belegt und von Heise bestätigt, bei Jürgen Gansel liegt eine persönliche Bekanntschaft mit Höcke nahe. Die SA-Fackel „Alles für Deutschland“ scheint von der NPD an die AfD weitergegeben worden zu sein.
In den folgenden beiden Abschnitten werde ich auf die Beziehungen von Höcke zu Gansel und zu Heise eingehen.
Jürgen Gansel und Björn Höcke
Jürgen Gansel und Björn Höcke haben eine lange gemeinsame Geschichte. Sie sind ungefähr derselbe Jahrgang, traten beide kurz der Jungen Union bei und hatten beide einen starken Bezug zu Ostpreußen.
Höckes Eltern und Großeltern waren derart verbunden mit der Landsmannschaft Ostpreußen, dass in Todesanzeigen kein christliches Kreuz sondern die Elchschaufel, das Wappen der Landsmannschaft, zu sehen ist. Höcke schwärmte von den alten Geschichten seines Opas, vertrat die Position, dass Eltern in ihren Kindern weiterleben und wiedergeboren werden und bezeichnete das Preußentum als „überzeitlich“. Höcke studierte von 1993 bis 1998 Geschichte in Gießen und in Marburg. 1998 und 2001 folgten 1. und 2. Staatsexamen, seit 1999 war er als Lehrer tätig.
Auch Jürgen Gansel war mit Ostpreußen verbunden. Nach dem Abitur 1994 studierte er bis 1999 Geschichte an den Hochschulen in Gießen und Marburg. Gansel wurde zudem sehr schnell Funktionär der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) in Hessen, von 1995 bis 1997. Bei diesen lebensgeschichtlichen und ideologischen Überschneidungen sollte es verwundern, wenn Höcke und Gansel sich nicht kennen würden. Zumal es auch später noch zu Überschneidungen kommen sollte.
Nach dem Studium schienen sich die Wege von Gansel und Höcke zunächst zu trennen. Höcke wurde anscheinend braver Oberstudienrat, Gansel hingegen ein Vordenker und Provokateur der NPD.
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„Die befreiende nationale Tat. Alles für Deutschland“
Gansel war in der rechtsextremen Burschenschaftsszene aktiv. 1998 trat Gansel in die NPD ein, 2001 wurde er hauptberuflicher Chefredakteur der „Deutschen Stimme“ und war parallel Vorstandsmitglied und Bundesgeschäftsführer des „Nationaldemokratischen Hochschulbundes“ (NHB). In dieser Doppelfunktion schrieb er 2001 in der „Deutschen Stimme“:
„Entsprechend unserem Leitspruch, ‚Denken – Handeln – Siegen‘ wird der neue Vorstand den Kampf um die medial vernebelten Köpfe unserer Landsleute mit aller Entschiedenheit aufnehmen. Dem nationalen Geist wird dann eines nicht allzu fernen Tages wie selbstverständlich die befreiende nationale Tat folgen. ALLES FÜR DEUTSCHLAND!“
Obwohl sich die Wege nun getrennt hatten, gab es weitere Parallelen von Gansel und Höcke. Kaum war Gansel 2004 als NPDler in den sächsischen Landtag gewählt, provozierte er 2005 im Dresdner Parlament: „Der Bomben-Holocaust von Dresden steht ursächlich weder im Zusammenhang mit dem 1. September 1939 noch mit dem 30. Januar 1933 […] Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaftigkeit aufgenommen“.
So etwas kann sich ein verbeamteter Geschichtslehrer nicht leisten, aber 2006 ging Höcke mit einem Leserbrief so weit, wie er maximal konnte, ohne sofort seinen Job zu verlieren: Höcke verzichtete zwar auf die Shoa relativierende Rede vom „Bomben-Holocaust“, aber er behauptete: „In der Weltgeschichte sind niemals zuvor und niemals danach in so kurzer Zeit so viele Menschen vom Leben zum Tode befördert worden wie im ehemaligen Elbflorenz. […] Es ging darum, bis zum Kriegsende eine möglichst große Anzahl deutscher Menschen (gleich welchen Alters und Geschlechts) zu töten.“ Höcke erhielt eine Rüge und kündigte auf einer Veranstaltung gegenüber dem Herausgeber der Jungen Freiheit, Dieter Stein, an, künftig nur noch unter Pseudonym zu publizieren. Natürlich machte Höcke auch nicht bekannt, dass er 2010 aktiv skandierend an der Dresdner Neonazi-Demonstration gegen den „Bombenholocaust“ teilgenommen hatte. Diese Demo wurde von der JLO organisiert, in der Gansel zu dem Zeitpunkt noch immer Mitglied war.
Von Gansels „Dresdner Schule“ zu Höckes „Dresdner Rede“
Dennoch schrieb Höcke 2008 unter Klarnamen einen Leserbrief in der Jungen Freiheit zum Thema „Dritter Weg“. Auch hier zeigt sich eine Parallele zu seinem ehemaligen Kommilitonen Jürgen Gansel. Gansel hatte 2005 ein Manifest mit dem Titel „Wesen und Wollen der ‚Dresdner Schule‘“ verfasst, in dem er von einem „Dritten Weg“, einer „grundlegende Wirtschaftserneuerung“, sprach. Höcke forderte entsprechend, dass die Junge Freiheit in die Diskussion um „Dritte Wege“ einsteigen müsse.
Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien.
Formulierungen aus dem Manifest zur „Dresdner Schule“ sollten sich später beim AfD-Politiker Björn Höcke wiederfinden. Deutschland sei seit 1945 „neurotisiert“ und zwar durch die „Umerziehung“, es gehe um nichts anderes als um das „Sein und Nichtsein“ der Deutschen.
Noch deutlicher wird es dann am 17. Januar 2017. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob die NPD verboten wird. Vorsorglich fährt Höcke am selben Tag nach Dresden und präsentiert die AfD als „neue Heimatpartei“ mit der berüchtigt gewordenen „Dresdner Rede“ zum „Denkmal der Schande“. Hier spricht er von der Notwendigkeit einer „Fundamentalopposition“ gegen die „One-World-Idologie“, von der auch in Gansels Manifest die Rede ist. Höcke behauptet, die Bombardierung Dresdens habe der Auslöschung der „kollektiven Identität“ der Deutschen gedient, der dann ab 1945 die „Umerziehung“ gefolgt sei; auch dies eine Kernformulierung aus Gansels Dresden-Manifest. Es brauche eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, denn: „Wir müssen wieder wir selbst werden.“
An diesen Satz musste ich denken, als Björn Höcke auf X (ehemals Twitter) Elon Musk erklärte, warum die Parole „Alles für Deutschland“ in Deutschland verboten sei. Die Verbote „zielen darauf ab, Deutschland daran zu hindern, sich selbst wiederzufinden“.
Soweit die Verbindung von Höcke und Gansel.
„Wir sind wieder da! Alles für Deutschland!“
Wenn wir uns mit Thorsten Heise befassen, müssen wir zunächst über die Freiheitliche Arbeiterpartei Deutschlands – die FAP – sprechen, denn dort begann Heise seine Neonazi-Karriere. Die FAP wurde in den 1980er Jahren von der verbotenen Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivsten unter Michael Kühnen unterwandert. Kühnen traf sich im Juli 1990 mit dem Gründer der US-amerikanischen NSDAP/AO Gerry Lauck und gab mit diesem eine gemeinsame Erklärung heraus. Darin wurde dieses Treffen als Ermutigung des „nationalsozialistischen Untergrundes“ gefeiert, es wurde gefordert, dass das NS-Verbot aufgehoben werden solle und endete mit den Parolen: „Wir sind wieder da! Alles für Deutschland!“ Klarer kann man die SA-Parole nicht mit der Neonazi-Bewegung verbinden. Dieser Gruppierung trat Thorsten Heise bei und wurde ein führender Funktionär der FAP, bis diese 1995 u.a. auf Grundlage des Paragraphen 86a verboten wurde.
Danach war Heise jahrelang in den neonazistischen sogenannten „Freien Kameradschaften“ aktiv und sammelte ein Dutzend Vorstrafen. Im Jahr 2004 schließlich unterstützte er mit anderen Vertretern aus der Neonazi-Szene mit seinem Beitritt die NPD. Wieder geschah dies mit der Parole „Alles für Deutschland!“. Nach dem Wahlerfolg der NPD fand in Berlin-Lichtenberg eine Spontandemonstration unter dem Motto „Alles für Deutschland, bei jeder Wahl national!“ statt.
Heise und Höcke: „Alles für Deutschland“-Brückenköpfe
Keine vier Jahre später half Thorsten Heise Björn Höcke beim Umzug in Eichsfeld. Es liegen eidesstattliche Erklärungen von Personen vor, die dies bezeugen. Heise soll sich häufiger bei Höcke aufgehalten haben. Sie hatten zur gleichen Zeit Kinder auf derselben Schule und gaben zu, sich auch entsprechend getroffen und die Hand gegeben zu haben.
Die Beziehung zwischen Björn Höcke als Autor hinter den Landolf-Ladig-Texten und Thorsten Heise als Herausgeber der Landolf-Ladig-Artikel wurde bisher nicht zugegeben. Solange Höcke seine Autorenschaft geheim hält, könnte Heise ihn mit der Offenlegung erpressen – wobei ich bezweifle, dass Heise Höcke in irgendeine Richtung erpressen müsste, da sie ideologisch nicht weit auseinander stehen: Beide sehen in ihren Parteien nur die parlamentarische Vertretung der Bewegung, beide haben in ihren Parteien einen völkischen Flügel errichtet. Als mit dem Aufkommen der AfD bei vielen NPD-Funktionären Unruhe wegen der Konkurrenz aufkam, zeigte sich Heise erstaunlich entspannt.
Halten wir also fest: „Alles für Deutschland!“ war nicht nur eine zentrale Parole und Erkennungszeichen des Nationalsozialismus. Neonazis von der FAP bis zur NPD stellten sich mit der Parole „Alles für Deutschland“ selber in eine bewegungspolitische Kontinuität mit dem Nationalsozialismus, vor allem dann, wenn es in ihren Augen um wichtige historische Schritte ging. Mit der Übernahme der AfD durch Höckes Flügel wird nun auch dieser Vollzug mit der Parole „Alles für Deutschland“ unterschrieben, damit Deutschland wieder zu sich zurück finde.