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Sylt: Von Selbstbeschönigung und „den anderen“

Junge Männer und Frauen, schick gekleidet und mit Schampus in der Hand, grölen rechte Parolen auf Sylt. Reiche und Rechte: Zwei Dinge, die nicht zusammenpassen? Andreas Speit über die Selbstbeschönigung der Reichen – und der Mitte.

Blick auf die Szene-Bar Pony in Kampen auf Sylt. Aufnahme vom 24.07.2013.
Blick auf die Szene-Bar "Pony" in Kampen auf Sylt, in der das Party-Video aufgenommen wurde. Quelle: IMAGO / Eventpress

Die erste Entschuldigung folgte auf die ersten Kündigungen. Ein Video von einer Party in dem Nobelclub „Pony“ auf Sylt löste eine starke Reaktion aus: Gutsituierte Männer und Frauen, schick gekleidet und gut gebildet, singen ausgelassen zu dem Partyklassiker „L’amour toujours“: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Ein junger Mann mimt noch ein Adolf-Hitler-Bärtchen und zeigt den Deutschen Gruß. Die gesamte Republik, von Politik bis Medien, gibt sich entsetzt – und verwundert. Ein Entsetzen, eine Verwunderung, die viel über die Entsetzten und Verwunderten verraten könnte?

Rechts sind immer die anderen

In der starken Resonanz schwingt doch ein nachhaltiges Narrativ der gesellschaftlichen Mitte mit: Sie sei frei von rechten Ressentiments. Dieser Extremismus der Mitte wird stets und ständig nicht nur ausgeblendet, er wird gar angezweifelt. Hier gilt: Je besser situiert und gebildet jemand ist, desto weniger Ressentiments seien vorhanden. Fein, für die feine Gesellschaft. Bei Champagner, in exquisiten Modemarken, fänden solche Äußerungen gegen Menschen mit migrantischen oder jüdischen Hintergrund nicht statt. Queere Menschen würden auch nicht angefeindet. Solche extremen Einstellungen und radikalen Äußerungen kämen doch aus ganz anderen Kreisen. Mit denen, das ist auch gewiss, würde nicht verkehrt. Die Rassist*innen und Rechtsextremist*innen sind immer die anderen. Sie sehen ja auch so aus. Das Klischee des Rechtsextremen mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel wird erneut zum Alibi. Diese Exklusivität der Ressentiments gehört zur Selbstverortung und -vergewisserung der gesellschaftlichen Mitte – aber auch derer mit hohen Einkommen.

Mit WhatsApp gegen die AfD

Nazi-Sprüche im Familienchat: Die Hassparolen der AfD erreichen immer mehr Menschen in unserem direkten Umfeld. Jetzt vor der EU-Wahl drehen die Rechtsextremen noch einmal richtig auf. Wir helfen Dir, dagegenzuhalten. Per WhatsApp liefern wir Dir schlagfertige Argumente gegen die AfD-Hetze direkt auf Dein Handy – zum Teilen und Weiterleiten.

Fällt jemand mal aus dem Rahmen oder vergreift sich im Ton, ist jedoch sofort klar: Das war doch nur Spaß. Und bekanntlich lieferte der Schlagersänger Roberto Blanco den Soundtrack für solche Partylaunen mit „Ein bisschen Spaß muss sein“. Wieso aber zum Spaß in bester Laune menschenverachtende Songs und/oder Parolen angestimmt werden, bleibt unbeantwortet. Die Antwort dürfte nicht gefallen. Sich selbst diese Frage zu stellen, wäre nicht minder unangenehm.

In der Mitte sinkt die Empathie

Immer mehr Studien haben in den vergangenen Jahren den anhaltenden Anstieg von rechtsextremen Einstellungen erfasst. In der aktuellen „Mitte-Studie“ stellte das Forschungsteam fest, dass 34 Prozent der Befragten „meinen, Geflüchtete kämen nur nach Deutschland, um das Sozialsystem auszunutzen“ und 16,5 Prozent unterstellen „jüdischen Menschen, heute ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen zu wollen“. 35 Prozent denken zudem, dass Langzeitarbeitslose „sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“ würden.

Der Blick auf die, die unter einem stehen, scheint immer verächtlicher zu werden. In Zeiten des Neoliberalismus sinkt die Empathie. Die Studien zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ um das Team von Wilhelm Heitmeyer warnte früh, dass die bürgerliche Mitte auf vermeintliche „etablierten Rechte“ nicht nur pochen würde, sondern sie zudem durchsetzen will. Eine „rohe Bürgerlichkeit“, die auch in der höheren Schichten virulent ist. Im feinen Sommerlook wird da eben mal in einem teuren Club in exquisiter Lage die Entkultivierung des Bürgerlichen forciert.

Pop-Hit als rechter Code

Der Kassenerfolg „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino zählt schon länger als rechter Partykracher. In einzelnen Bundesländern wurde der Song in Diskotheken und Volksfesten bereits gespielt, begleitet von dem Text übergrölenden Parolen. Ganz im Sound von Sylt. Die Methode nutzten in etwas anderer Form vor Jahren die rechtsextreme Musikformation „Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten“. Sie vertonten bekannte Schlager und erfolgreiche Deutsche-Welle-Hits mit den gängigen Szenefeindnarrativen.

Nicht nur Songs sind von rechter Aneignung betroffen, sondern auch Emojis. Welches Codes und Phrasen Rechte nutzen, liest Du in diesem Beitrag:

Die gegenwärtige Diskussion sollte die anhaltende Selbstbeschönigung vielleicht mal hinterfragen. Sie könnte eventuell zudem daran erinnern, dass rechte Einstellungen verstärkt werden, wenn in Politik und Medien Flucht und Einwanderung als das zentrale Problem unreflektiert ausgemacht wird. Ein Spiegel-Cover mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem Zitat: „Wir müssen endlich in großen Stil abschieben“ wirkt.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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