Agrar Ostdeutschland Protest
Erfolgreich protestieren auf dem Lande: 3 Beispiele, die Mut machen
Die Landwirtschaft steckt in einer schwierigen Zeit – darauf haben nicht zuletzt die Bauernproteste Anfang des Jahres aufmerksam gemacht. Aber es gibt auch Lichtblicke. Anne Neuber von der AbL Mitteldeutschland stellt drei erfolgreiche Proteste vor, die motivieren.
Jeden Tag werden 56 Hektar Agrarland in Verkehrs- und Siedlungsfläche umgewandelt. Sieben Landwirtschaftsbetriebe geben täglich auf. Die Bodenpreise steigen. Die Politik vermag es nicht, Investoren daran zu hindern, Agrarbetriebe und deren Land aufzukaufen. Ein konsequenter Weg Richtung Klimaschutz, Klimaanpassung, Tierwohl und den langfristigen Erhalt der Bodenfruchtbarkeit ist noch nicht in Sicht. Von fairen Preisen für die Erzeugung von Lebensmitteln brauchen wir gar nicht zu sprechen.
Im September finden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen statt. Zu erwartende hohe Stimmenanteile für die AfD und im besten Fall chaotische Koalitionsbildungen sind ein zusätzlicher Grund, um in die Zukunft der ländlichen Räume eher besorgt zu schauen. Mut machende und erfolgreiche Proteste aus dem ländlichen Raum werden in solchen Überblicksdarstellungen nicht immer erwähnt – deswegen stelle ich hier jetzt drei davon vor.
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1. Mit ungehorsamen Gemüse gegen ein Logistikzentrum in Neu-Eichenberg
80 Hektar hochwertiges Agrarland sollten im nordhessischen Neu-Eichenberg einem Logistikzentrum mit mehreren Lagerhallen weichen. Ein interessierter Investor war bereits gefunden und ein Bebauungsplan genehmigt, als sich 2018 die „Bürgerinitiative (BI) für ein lebenswertes Neu-Eichenberg“ gründete. Lärmbelastung, millionenschwere Kosten für Planung und Erschließung der Flächen durch die Gemeinde, Verlust wertvoller Ackerflächen – diese Argumente stellte die BI den Versprechungen der Politik gegenüber. Auf Ortsfesten, Gemeinderatsversammlungen und in den Medien. Aus dem Bündnis heraus gründete sich 2021 ein Verein, der sich zur Wahl für den Gemeinderat stellte und sofort 36 Prozent der Stimmen bekam.
Die „Aktionsgruppe Acker bleibt“ wählte 2019 eine andere Strategie. Sie baute auf dem für das Logistikzentrum bestimmten Agrarland Zelte auf und pflanzte „ungehorsames Gemüse“ an: eine freundliche und sehr produktive Ackerbesetzung. Bildungs- und Kulturveranstaltungen holten die Öffentlichkeit auf den Acker und das Thema in die Medien. Vor allem die Bedeutung von fruchtbaren Äckern wurden herausgestellt. Die BI startete dazu die Online-Petition „Beton kann man nicht essen“.
Der vielgestaltige Protest und das Zusammenwirken von Besetzung und bürgerschaftlichem Engagement hatten Erfolg. Die landwirtschaftliche Nutzung der Flächen bleibt erhalten. 2020 gab die BI an, dass die Ackerbesetzung dem Widerstand „die nötige Schärfe und Sichtbarkeit“ gebe. „Wir wüssten nicht, wo wir heute stünden ohne die Ackerbesetzung.“
2. Die Lindhorst-Gruppe will Bäume für einen Solarpark fällen und wird gestoppt
Die Lindhorst-Gruppe, eine Unternehmensgruppe aus Niedersachsen, besitzt im Osten Brandenburgs viele Flächen – darunter die in DDR-Zeiten durch das Militär genutzte Konversionsfläche in Hohensaaten, auf der heute ein 30 Jahre alter Mischwald steht. Dieser Wald sollte auf 370 Hektar gerodet werden, damit die Lindhorst-Gruppe an der Stelle eine 250-Hektar-Photovoltaik-Anlage mit dazugehöriger Infrastruktur errichten kann.
Die „Bürgerinitiative Pro Wald Hohensaaten“ nahm ihre Arbeit auf, als der Stadtrat Bad Freienwalde im Dezember 2021 der Aufstellung eines Bebauungsplans zustimmte. In den kommenden zweieinhalb Jahren gingen die 40 Mitglieder der Bürgerinitiative in jede Einwohnerfragestunde, schrieben Leserbriefe, verteilten Flyer auf allen Weihnachtsmärkten und Feuerwehrfesten, luden zu einem Frauen-Frühstück, beauftragten ein Artenschutz-Gutachten, vernetzten sich mit Wissenschaftler:innen der Hochschule Eberswalde und bundesweit bekannten Wald-Größen wie Peter Wohlleben, veranstalteten mit der Kirche Hohensaaten den Aktionsnachmittag „Unser Tag für den Wald“ und sorgten dafür, dass die öffentliche Debatte nie abriss. Eine Hintergrundrecherche von Correctiv und RBB brachte das Thema in die bundesweite Presse.
Der Bürgerinitiative ist es innerhalb von drei Jahren gelungen, die Stimmung gegenüber dem Projekt um 180 Grad zu drehen: 2024 zog die Lindhorst-Gruppe ihre Pläne zurück, der Stadtrat nahm die Aufstellung des Bebauungsplans zurück. Einige Abgeordnete entschuldigten sich öffentlich für den Beschluss von 2021. Zum Erfolg gehört auch, dass der Protest der Bürgerinitiative nie von Rechtsextremen unterwandert wurde, obwohl sich bereits 2021 die AfD gegen die Pläne der Lindhorst-Gruppe positioniert hatte.
3. Protest gegen 400 Hektar Industrie-Gebiet auf Ackerland in Wiedemar bei Leipzig
Im Süden von Leipzig steht der große Showdown noch bevor. Aber es sieht gut aus für die Bürgerinitiative „Kein Industriegebiet“ in Wiedemar. Eine informelle Bürgerbefragung unter den Einwohner:innen hat ergeben, dass 89 Prozent gegen das geplante Industriegebiet sind. Der Gemeinderat hat für den 1. September 2024, zeitgleich mit der sächsischen Landtagswahl, einen offiziellen Bürgerentscheid angesetzt.
Um 400 Hektar bestes Ackerland geht es. Das Land soll als Industrievorsorgegebiet ausgewiesen werden. Der Freistaat Sachsen möchte sich mit dieser Fläche um Ansiedlungen der Chip- und Halbleiterindustrie bewerben. Die Landwirt:innen vor Ort unterstützen das Engagement der Bürgerinitiative. Bisher hat kein Betrieb sein Land an die für die Erschließung zuständige Landerwerb IVG Wiedemar GmbH verkauft, obwohl sicher überdurchschnittliche Landpreise geboten werden. Mit Treckern unterstützen Landwirt:innen den Protest.
Mit Fahrrad- und Auto-Korsos ziehenden die Einwohner:innen durch die Orte rund um das Ackerland. Beim letzten Auto-Korso waren über 100 Fahrzeuge und Trecker dabei. Ein Vorgeschmack dafür, was ein erhöhtes Verkehrsaufkommen in den Gemeinden für Auswirkungen hätte. Ende August werden sie noch mal demonstrieren in Wiedemar. Die Hoffnung besteht, dass neben dem Ergebnis der sächsischen Landtagswahlen in Wiedemar am 1. September die Entscheidung getroffen wird, 400 Hektar fruchtbaren Ackerboden zu erhalten.