Feminismus Ostdeutschland
Warum wir mehr Frauen in der Politik brauchen
Seit über 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Doch noch immer bestimmen vor allem Männer die Politik. Warum wir dringend mehr Frauen in der Politik brauchen.
Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sind vorbei, doch der Schock sitzt weiter tief. Doch wer sitzt nun eigentlich in den Landtagen? In Thüringen hat sich die Zusammensetzung des Landtags nach den Wahlen deutlich verändert – besonders auffällig ist der Rückgang des Anteils von Frauen in der Politik.
Wer sitzt im Landtag?
Im Vergleich zu 2019 sitzen heute deutlich weniger Frauen im Landtag, vor allem bei CDU und AfD. Waren es damals noch 31 Frauen, sind es jetzt von den 88 Abgeordneten nur noch 27, das sind knapp 30 Prozent. Von den 23 Sitzen der CDU sind nur acht von Frauen besetzt. Im Landtag von Sachsen liegt der Frauenanteil bei 27,5 Prozent.
Je rechter, desto weniger Frauen
Zwischen den Parteien gibt es große Unterschiede: Bei den Grünen in Sachsen sind Frauen mit 57,14 Prozent in der Mehrheit. Beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der CDU sind Frauen mit 33,33 Prozent bzw. 29,27 Prozent in der Minderheit. Bei der AfD beträgt der Frauenanteil nur 10 Prozent.
Frauenanteil im Deutschen Bundestag
Im Vergleich dazu ist der Frauenanteil im Deutschen Bundestag mit 34,8 Prozent etwas höher – eine Verbesserung gegenüber der vorherigen Legislaturperiode, aber immer noch niedriger als zwischen 2013 und 2017. Auffällig ist jedoch: In der Kommunalpolitik sieht es deutlich düsterer aus. Bundesweit liegt der Frauenanteil unter den Landrät*innen bei nur 11 Prozent, unter den Bürgermeister*innen sogar bei erschreckenden 9 Prozent. Das bedeutet: Rund 90 Prozent der Bürgermeister in Deutschland sind Männer. 2020 gab es sogar mehr Männer in Bürgermeister-Posten, die Thomas heißen, als Bürgermeisterinnen insgesamt. Eine traurige Bilanz.
Seit über 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen und gewählt werden. Doch in der Realität wird Politik immer noch überwiegend von Männern gestaltet – besonders auf dem Land. Das hat Folgen. Denn obwohl Frauen über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, bleiben ihre Perspektiven und Kompetenzen in der Politik stark unterrepräsentiert.
Frauen kämpfen für Frauen
Warum es dringend mehr Frauen in den Landtagen braucht, zeigt auch ein Blick in die Forschung: Je mehr Frauen in Parlamenten vertreten sind, desto häufiger finden für Frauen zentrale Themen – beispielsweise Care-Arbeit – ihren Weg in die politischen Debatten. Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit. Viele positive Reformen wurden nur erreicht, weil Frauen parteiübergreifend zusammengearbeitet haben. Beispiele hierfür sind:
- Die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (1992)
- Die Abschaffung der Straffreiheit von Vergewaltigung in der Ehe (1997)
- Die Einführung des Prinzips „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht (2016)
Auch im Grundgesetz finden sich Errungenschaften, die maßgeblich Frauen zu verdanken sind. Der Artikel „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ wurde nur dank des Engagements von Frauen, allen voran der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert, einer der vier „Mütter des Grundgesetzes“, verankert.
Eine Vielfältige Demokratie braucht gelebte Vielfalt
Trotz dieses wichtigen Grundsatzes – Männer und Frauen sind gleichberechtigt – spiegelt sich diese Gleichstellung in der Verteilung der politischen Mandate kaum wider. Für eine lebendige und vielfältige Demokratie ist es entscheidend, dass Frauen gleichberechtigt an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben können. Dazu braucht es jedoch die richtigen Rahmenbedingungen.
Im Thüringer Landtag beispielsweise haben Abgeordnete nicht einmal Anspruch auf Mutterschutz und Elternzeit. Und wer fehlt, weil er*sie zu Hause kranke Kinder betreut, fehlt unentschuldigt. Erst seit 2020 – zwei Jahre nach dem „#babygate“, bei dem die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) 2018 mit ihrem Baby von Landtagspräsident Christian Carius des Plenarsaals verwiesen wurde – dürfen Abgeordnete Kinder unter einem Jahr mit zu den Landtagssitzungen nehmen; vorausgesetzt sie stören nicht.
Auch in der Kommunalpolitik müssen die Rahmenbedingungen familienfreundlicher gestaltet werden. Wie das gelingen kann? Laut der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e.V. wären Maßnahmen wie kürzere und frühere Sitzungen, die Möglichkeit zur digitalen Teilnahme, die Begrenzung von Redezeiten und eine organisierte Kinderbetreuung hilfreiche Schritte – von denen nicht nur Frauen, sondern alle Personen mit Pflege- oder Familienverpflichtungen gleichermaßen profitieren würden.
Parität als notwendiger Schritt für Gleichberechtigung
Ein weiterer notwendiger Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung in der Politik ist die Einführung verbindlicher Paritätsregelungen. Parität bedeutet, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen in Parlamenten vertreten sind. Länder wie Frankreich haben bereits Gesetze eingeführt, die sicherstellen, dass Wahlvorschläge paritätisch besetzt werden. Auch in Deutschland fordern immer mehr Initiativen eine gesetzliche Verankerung der Parität, um die strukturellen Barrieren, die Frauen am Zugang zu politischen Ämtern hindern, zu überwinden.
Solche Regelungen könnten ein entscheidender Hebel sein, um den Frauenanteil in den Parlamenten langfristig zu erhöhen und sicherzustellen, dass die Perspektiven von Frauen in der politischen Gestaltung gleichberechtigt berücksichtigt werden. Denn echte Demokratie lebt von gleichberechtigter Teilhabe – und diese kann nur durch eine geschlechtergerechte Repräsentation erreicht werden.