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Handeln, bevor der Schredder kommt

Anstatt die CumCum-Milliarden zurückzuholen und das größte Finanzverbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik lückenlos aufzuklären, stellten sich politische Entscheidungsträger:innen auf die Seite der Banken. Gegen Widerstände von Finanzwelt und Politik setzen sich Campact und Finanzwende weiter für die Rückholung der Steuergelder und eine umfassende Aufklärung ein. Doch die Zeit drängt.

Aktive der Bürgerbewegung Finanzwende bei einer Aktion am 24. September 2024 vor dem Bundestag in Berlin. Foto: IMAGO / Metodi Popow
Aktive der Bürgerbewegung Finanzwende bei einer Aktion am 24. September 2024 vor dem Bundestag in Berlin. Foto: IMAGO / Metodi Popow

150 Milliarden Euro – so hoch ist der geschätzte Steuerschaden durch CumCum und CumEx, davon 36 Milliarden allein in Deutschland. Wobei Steuerschaden viel zu harmlos klingt. Es ist Raub, der größte in der Geschichte des Landes. Wie viel sich der Fiskus davon zurückgeholt hat? Nicht einmal zwei Prozent! Zwar geht bei den CumEx-Geschäften die Aufklärung langsam voran, doch der weitaus größere Schaden entstand durch die CumCum-Betrügereien. In Deutschland liegt der Mindestschaden aus CumCum-Geschäften innerhalb von 20 Jahren bei 28,5 Milliarden Euro.

Geld, das uns gestohlen wurde. Was hätten wir damit alles machen können: Klimageld auszahlen, das 9-Euro-Ticket finanzieren, Kitas und Schulen sanieren oder die Bahn ausbauen. Nichts davon ist derzeit möglich. Und es wird noch schlimmer. Vor Kurzem legalisierte der Bundestag im Grunde das Schreddern von Beweisen.

Wie konnte der Steuerraub passieren?

Doch bevor wir uns den Beschluss des Bundestags ansehen, müssen wir den Steuerraub erst einmal verstehen. Denn im Kern ging es bei den CumCum-Geschäften darum, sich vom Fiskus eine Steuer zurückerstatten zu lassen, auf welche der oder die Eigentümer:in der Aktien grundsätzlich kein Anrecht hat. Die Bürgerbewegung Finanzwende hat die Konstellation schlüssig erklärt:

  1. Banken in Deutschland und andere sogenannte Steuerinländer haben Anspruch auf eine Rückerstattung der Kapitalertragsteuer. Ausländische Investoren, wie Staatsfonds oder ausländische Versicherer, die deutsche Aktien besitzen, haben diesen Anspruch nicht.
  2. Daher übertrugen ausländische Aktionäre ihre deutschen Aktien für den Zeitpunkt der Dividendenauszahlung an eine in Deutschland ansässige Bank.
  3. Kurz nach der Dividendenausschüttung gingen die Aktien zurück an die ursprünglichen Besitzer.
  4. Die daraus resultierende Steuerrückerstattung wurde zwischen den beteiligten Akteuren aufgeteilt.

Über Jahre konnten über diese Steuerrückerstattung Milliarden entwendet werden, wobei Politik und Banken beide ihre Rollen in dem Steuerraub hatten.

Politik und Banken spielten sich die Bälle zu

Die CumCum-Geschäfte waren mit weniger Aufwand verbunden als die CumEx-Geschäfte. Das macht sie zwar nicht weniger illegal, führte aber dazu, dass sich wesentlich mehr Banken an CumCum beteiligten. Besonders brisant: „Gemeinwohlorientierte“ Sparkassen machten bei dem Steuerbetrug genauso mit wie Volksbanken und die einst mit Steuergeldern gerettete Commerzbank.  „Alles, was gemacht werden konnte, wurde gemacht“, erklärte ein Kenner der Bankenszene gegenüber Finanzwende.

Und was hat die Politik getan? Spätestens seit 2016 sollten die Finanzverwaltungen der Länder mit Hochdruck daran arbeiten, die CumCum-Gelder zurückzufordern. Doch weder handelten die Finanzverwaltungen im Interesse der Allgemeinheit, noch nahmen die Staatsanwaltschaften weitreichende Ermittlungen auf. Die CumCum-Rückforderung und -Aufklärung wurden politisch verzögert – und ein Bundesland spielte hier eine entscheidende Rolle.

Hessens Landesregierung auf Vertuschungsmission

Was symptomatisch für das CumCum-Versagen aller politischen Ebenen steht? Das Bundesfinanzministerium (BMF) schickte am 11. November 2016 ein Schreiben an die Bundesländer, das den Großteil der CumCum-Geschäfte praktisch nachträglich legalisierte. Dieses wurde unter Druck von Landesregierungen verfasst, welche die involvierten Landesbanken vor hohen Rückzahlungen schützen wollten. Hauptakteur: Hessen. In dessen Zuständigkeit liegt der Bankenstandort Frankfurt am Main – und somit wohl auch ein Großteil des zurückzuholenden Geldes.

Einer konsequenten Vertuschungslogik folgend ordnete Hessens CDU-geführte Landesregierung unmittelbar nach Eingang des selbst initiierten BMF-Schreibens die Finanzverwaltungen an, CumCum-Prüfungen einzustellen.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die hessische Landesregierung, die wohl die meiste Verantwortung für die Aufklärung des größten Steuerraubs Deutschlands trägt, initiiert eine „skrupellose Kumpanei mit den Banken“, wie es der damalige NRW-Finanzminister Walter-Borjans (SPD) treffend zusammenfasste. 

Folge dieser Kumpanei? Bis Ende 2022 wurden bundesweit gerade mal 237 Millionen Euro zurückgeholt – also nicht einmal ein Prozent der 28,5 Milliarden. Und nun rennt uns die Zeit weg, diesen Raub aufzuklären.

Wie ein neues Gesetz den Raub legalisieren wird – und wie wir uns wehren

Diesen Monat haben Bundestag und Bundesrat ein Gesetz beschlossen, das die Vertuschung von Steuerraub begünstigt. Das „Bürokratieentlastungsgesetz IV“ erlaubt Banken, im Namen der „Entbürokratisierung“ Buchungsbelege schon nach acht statt zehn Jahren zu vernichten. Diese Belege sind oft die einzigen Beweise, um illegale Steuertricks aufzudecken und strafrechtlich zu verfolgen. Nun landen sie per Gesetz buchstäblich zwei Jahre früher im Schredder.

Finanzwende und Campact haben bis zuletzt versucht, das Gesetz zu verhindern. Doch obwohl es jetzt beschlossene Sache ist, haben wir noch eine Chance. Die verkürzte Frist gilt erst in einem Jahr. Genau das ist unser Hoffnungsschimmer. Ein kleines Zeitfenster für Ermittlungen und Aufklärung bei schwerer Steuerhinterziehung wie CumEx und CumCum bleibt also – und diese Chance werden wir nutzen. Die nächsten zwölf Monate sind daher entscheidend.

Dieses Jahr muss also genutzt werden, um die Ermittlungen zu beschleunigen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Und ja, auch wenn all das uns fassungslos macht: Wir bleiben dran – denn die Milliarden fehlen und gehören uns allen!


Auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, forderte Finanzwende Bundestag und Bundesrat auf, sich gegen den Gesetzesentwurf zu stellen. Über 300.000 Menschen schlossen sich der Petition an. Eine Aktion mit Aktiven von Finanzwende und WeAct am 16. Oktober in Hamburg verschaffte dem Thema noch mehr Aufmerksamkeit. Sieh Dir hier alle Bilder der Aktion an:

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Mehr Bilder findest Du auf dem flickr-Account von Campact.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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