Europa Lobbyismus
Warum nachhaltige Investments bald auch Waffen beinhalten könnten
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Nachfrage nach Rüstungsgütern enorm. Die Waffenlobby möchte deshalb Investitionen in Rüstung als nachhaltig deklarieren. Mit weitreichenden Folgen.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine herrscht Goldgräberstimmung in der europäischen Rüstungsindustrie. Die Nachfrage nach Rüstungsgütern ist enorm. Die EU-Kommission macht Sicherheit und Verteidigung zu einer Top-Priorität und hat für die Interessen der europäischen Rüstungslobby stets ein offenes Ohr. Ein Ergebnis: Die neue EU-Kommission möchte private Investitionen in Rüstungsgüter als nachhaltig einstufen.
Dies liegt auch an einer großangelegten Lobbykampagne der Rüstungsindustrie, wie LobbyControl und taz aufgedeckt haben: Investitionen in „Verteidigung, Resilienz und Sicherheit“ sollen als nachhaltig gewertet werden, da sie nach Auffassung der Rüstungsindustrie Frieden sichern und so erst Nachhaltigkeit ermöglichen würden.
Diese Argumentation hat Eingang in mindestens zwei der wichtigsten Strategiedokumente der EU-Kommission gefunden, mit teilweise wortgleichen Formulierungen in Stellungnahmen eines Rüstungslobbyverbandes.
Die EU als Verbraucherschützer auf den Finanzmärkten?
Eine Klassifizierung von Rüstungsgütern als nachhaltig hätte weitreichende Folgen für Anleger:innen. Aktien der Hersteller von Panzern, Raketen oder gar Nuklearwaffen könnten sich zukünftig in „nachhaltigen“ Aktienpaketen und Fonds verstecken, ohne dass Anleger:innen sich dessen bewusst sind.
Um Verbraucher:innen den Zugang zu Informationen über nachhaltige Finanzprodukte zu ermöglichen und Greenwashing zu verhindern, legt die EU Transparenzpflichten und Kriterien fest. Diese muss eine Anlage erfüllen, um sich „nachhaltig“ nennen zu dürfen.
Imke Dierßen ist politische Geschäftsführerin bei LobbyControl. Im Campact-Blog schreibt sie über Lobbyismus und politische Machtungleichgewichte.
Damit nimmt die EU eine wichtige Rolle im Verbraucher- und Umweltschutz ein. Jedoch wurden diese Kriterien in der Vergangenheit bereits von der EU-Kommission deutlich aufgeweicht. Sie stufte 2022 Atomstrom und Erdgas auf Drängen von Deutschland und Frankreich als „nachhaltig“ ein – aus Sicht der Umweltorganisation WWF ist das „strukturelles Greenwashing“.
Rüstung, Tabak, Alkohol oder Glücksspiel gelten jedoch bis heute als nicht nachhaltig. Das ist der Rüstungsindustrie schon lange ein Dorn im Auge, da so das viele Geld in nachhaltigen Fonds für sie nicht verfügbar ist. Deshalb setzt sie sich dafür ein, dass die Kriterien in ihrem Sinne geändert werden.
Die Lobbymacht der Rüstungsindustrie
Die Lobbymacht des Rüstungssektors ist in Brüssel beträchtlich. Eine Auswertung des EU-Transparenzregisters mit lobbyfacts.eu ergibt ein jährliches Lobby-Budget von ca. 11 bis 15 Millionen Euro, das sich über Unternehmen und Verbände erstreckt. Seit der EU-Wahl 2019 traf sich die EU-Kommission insgesamt 356 mal mit Vertreter:innen der Rüstungsindustrie. Bei sieben Treffen der EU-Kommission mit Vertreter:innen der Konzerne Leonardo, Airbus, Patria Oyi, Rolls Royce und der Lobbygruppe ASD ging es explizit um die EU-Taxonomie, nachhaltige Investitionen oder die „Defence Industry Policy“.
Die Lobbyist:innen scheinen dabei erfolgreich gewesen zu sein. Laut der „Europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich“ (EDIS), die von der EU-Kommission im März vorgestellt wurde, sorge die Verteidigungsindustrie angesichts ihres Beitrags zu Resilienz, Sicherheit und Frieden für mehr Nachhaltigkeit. Dem vorangegangen war eine Konsultation, in der die EU-Kommission nach eigener Aussagen über 180 Beiträge aus dem Finanzsektor, der Verteidigungsindustrie, den Mitgliedstaaten und Thinktanks erhalten hat, darunter auch zur Frage der Finanzierung und Nachhaltigkeit von Verteidigungsgütern.
Privilegierter Zugang der Rüstungslobby
Unklar bleibt allerdings, wer genau konsultiert und ob Ausgewogenheit sichergestellt wurde, also ob beispielsweise Umwelt- oder Verbraucherschutzverbände befragt wurden. Und bereits vor der offiziellen Konsultation haben im Frühjahr 2023 sechs Treffen zwischen Vertreter:innen der Rüstungsindustrie und der EU-Kommission stattgefunden – ein privilegierter Zugang, den andere nicht haben.
Auch im sogenannten Draghi-Report, der maßgeblich Vorschläge für die Prioritäten der neuen EU-Kommission macht, finden sich Forderungen der Rüstungsindustrie. Dort heißt es, die EU-Kommission müsse „den Zugang der europäischen Rüstungsindustrie zu Finanzierung verbessern“. Auch bei der Vorbereitung des Draghi-Reports lässt sich der einseitige Einfluss der Rüstungslobby beziffern. Denn auch Mario Draghi scheint sich nicht gerade ausgewogen informiert zu haben: Unter den 236 Beitragenden waren 157 Unternehmen (65 Prozent), aber nur 12 NGOs, Gewerkschaften oder Verbraucherschutzorganisationen. Im starken Kontrast dazu entfallen allein sechs Beiträge auf Vertreter:innen der Rüstungslobby.
Warum wir der Rüstungslobby nicht das Feld überlassen sollten
Es mag richtig sein, dass angesichts der Bedrohungslage durch den russischen Angriff auf die Ukraine eine Neubewertung der Rüstungsindustrie stattfindet. Allerdings sollte nicht durch einseitige Lobbyeinflüsse geprägt sein, wie Nachhaltigkeit definiert wird. Anleger:innen, die nachhaltig investieren möchten, wollen im Normalfall nicht in Rüstung investieren. Die EU sollte sicherstellen, dass sie nicht getäuscht werden.
Ob Rüstungsgüter tatsächlich Sicherheit und Frieden schaffen und deshalb zu Nachhaltigkeit beitragen, ist eine komplexe Diskussion, die einer breiten Diskussion mit Beteiligung von Industrie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bedarf. Hierzu allein die Rüstungsindustrie anzuhören, ist völlig unzureichend.