LGBTQIA* Rechtsextremismus
Brauner Nachwuchs
In Deutschland wächst eine neue Generation Neonazis heran. Auffällig: Viele Jugendliche haben sich den Rechtsextremen während der Anti-CSD-Proteste angeschlossen – und dafür über die sozialen Medien zusammengefunden.
27 queerfeindliche Demos und Störaktionen alleine zwischen Juni und September: Auf diese Zahl kommen Jessa Mellea und Joe Düker vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Die beiden Forschenden haben die Ereignisse dieses Sommers untersucht – und dabei eine erschreckende Erkenntnis gemacht. Anscheinend haben die rechtsextremen Demos während der CSD-Saison auffällig viele Jugendliche motiviert, sich der Neonazi-Szene anzuschließen. Wie es dazu kam, erklärt Joe Düker im Interview.
Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) ist eine gemeinnützige Organisation und beschäftigt sich mit Themen wie Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Die vollständige Studie „Eine neue Generation von Neonazis“ von Jessa Mellea und Joe Düker gibt es hier.
Queerfeindliche Angriffe und Störaktionen rund um CSDs hat es in den letzten Jahren immer wieder gegeben. Was war 2024 anders?
Im Jahr 2024 gab es deutlich mehr rechtsextreme Anti-CSD-Demonstrationen als in den Jahren zuvor. Zudem war die Zahl der rechtsextremen Teilnehmenden teilweise sehr groß – in Bautzen nahmen rund 700 Rechtsextreme teil und in Leipzig, Magdeburg und Zwickau waren es jeweils um die 400. Gegen den CSD in Berlin plante eine Gruppe junger Rechtsextremer sogar einen Angriff, der dadurch verhindert wurde, dass die Polizei die Jugendlichen festnahm.
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Was sind das für Menschen, die gegen CSDs auf die Straße gehen?
Dazu gehörten dieses Jahr sowohl Mitglieder etablierter rechtsextremer Organisationen (zum Beispiel von „Junge Nationalisten“, die Jugendorganisation der rechtsextremen Partei „Die Heimat“), aber auch neuere rechtsextreme Jugendgruppen, von denen sich einige erst im Laufe des Jahres aufstellten. Diese neueren Gruppierungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Organisationsstruktur und Anbindung eher lose zu sein scheint, sie teils sehr junge Mitglieder haben und die Vernetzung und Mobilisierung größtenteils online in den sozialen Medien stattfindet.
Wer gehört dieser neuen Generation an Neonazis an? Von welchen Dimensionen sprechen wir hier?
Da es sich nicht um rigide Organisationen handelt, ist eine genaue Bestimmung der Mitglieder schwierig. Schaut man sich stellvertretend dafür allerdings die Social-Media-Profile der Gruppierungen an, haben viele von ihnen um die 3.000 Abonnent*innen auf verschiedenen Plattformen wie Instagram, Telegram oder X. Auch auf TikTok haben einige rechtsextreme Jugendgruppen mehrere hundert Follower*innen. Sicherlich sind nicht alle Abonnent*innen dieser Profile rechtsextrem, aber es zeigt die erhöhte Reichweite von und das Interesse an diesen Gruppierungen.
Gerade online verwenden Rechte gerne Codes und Geheimzeichen, um miteinander zu kommunizieren. Lies hier mehr dazu:
Was macht den Neonazi-Nachwuchs aus und wie unterscheidet er sich von anderen rechtsextremen Gruppierungen?
Wie schon erwähnt handelt es sich um neue Gruppierungen, von denen nur ein Teil Verbindungen zu etablierten rechtsextremen Strukturen hat – wie zum Beispiel die rechtsextreme Jugendgruppierung „Elbland Revolte“ zu „Junge Nationalisten“. Ihre Rhetorik ist teilweise aggressiv und gewaltvoll. Kommunikation, Anwerbung und Mobilisierung scheinen hauptsächlich online stattzufinden. Hierbei setzen diese Gruppierungen weniger auf den Messengerdienst Telegram – anders als viele rechtsextreme Gruppen bisher, die Telegram wegen vermeintlich sicherer Kommunikation wählten.
Die neue Generation junger Neonazis nutzt größere soziale Medien wie Instagram oder TikTok, wahrscheinlich auch weil sich dort viele Gleichaltrige aufhalten, die sie mit ihren Inhalten erreichen wollen. Dies lässt auch ein Gefühl von Selbstsicherheit der Gruppenmitglieder vermuten. Teilweise wird die Verbindung zu den rechtsextremen Gruppierungen nicht versteckt, sondern in Profilbeschreibungen oder Profilbildern offen zur Schau gestellt.
Warum eignet sich der Hass auf queere Menschen so gut, Jugendliche zu mobilisieren?
LGBTQI+-Feindlichkeit ist fester Bestandteil der rechtsextremen Szene. Rechtsextreme Jugendliche, die im Sommer gegen CSD-Veranstaltungen mobilisiert haben, sahen sich womöglich durch den Anstieg an LGBTQI+-Feindlichkeit in der Gesellschaft bestätigt. Laut Meinungsumfragen aus Sachsen, dem Bundesland mit den größten Anti-CSD-Demonstrationen, ist die Anzahl derer, die gleichgeschlechtliche Beziehungen für unnatürlich halten, im letzten Jahr gestiegen. Außerdem verweisen LGBTQI+-Verbände und Regierungsvertreter*innen auf einen Anstieg von Hassverbrechen gegen LGBTQI+-Personen.
Was passiert nun – verändern die neu dazu Gestoßenen die Neonazi-Szene? Welche Gefahr geht von ihnen aus?
Im Sommer mussten die friedlichen CSD-Veranstaltungen mit erheblichen Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden. CSD-Veranstalter*innen ergriffen Vorsichtsmaßnahmen, teilweise mussten Teile der Veranstaltungen aufgrund des Gefahrenpotentials abgesagt werden. Die rechtsextremen Protestmitglieder versuchten die CSD-Teilnehmenden zu schikanieren und anzupöbeln, es kam zu versuchter und tatsächlicher Gewalt. Das Gefahrenpotenzial ist also real.
Es wird sich zeigen, wie sich die neuen rechtsextremen Jugendgruppen etablieren werden. Der Sommer hat gezeigt, dass sie zu verschiedenen (Anti-CSD-)Protesten mobilisieren und Zuwachs verzeichnen konnten. Jetzt, da die CSD-Veranstaltungen für dieses Jahr vorbei sind, widmet sich die rechtsextreme Szene wieder anderen Themen. Ende Oktober mobilisierten rechtsextreme Jugendgruppen wie „Deutsche Jugend Voran“ oder „Jung & Stark“, die im Sommer gegen CSD-Veranstaltungen mobilisiert hatten, gegen eine Demonstration aus dem linken Spektrum in Berlin. Derzeit gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die rechtsextremen Jugendgruppen zukünftig nicht mehr zu Protesten mobilisieren werden.
Was kann die Politik machen? An welcher Stelle sind Unternehmen wie Meta oder TikTok gefragt?
Die Sicherheit von CSD-Teilnehmenden muss sichergestellt werden. Dazu gehören Sicherheitsmaßnahmen vor Ort, aber auch Schulungen von Sicherheitsbehörden und Kommunen, die ihre Handlungsfähigkeit stärken und für den Umgang mit Betroffenen von Queerfeindlichkeit sensibilisieren können. Betroffenenberatungsstellen sollten außerdem weiter ausgebaut und unterstützt werden.
Bemühungen der Plattformen, Kommunikations- und Rekrutierungsaktivitäten der rechtsextremen Gruppen zu behindern, würden dazu beitragen, dass die Mobilisierung zu solchen rechtsextremen Zusammenkünften erschwert wird. Eine Einschränkung der Reichweite der rechtsextremen Jugendgruppen kann außerdem verhindern, dass junge Menschen mit potenziell radikalisierenden Inhalten in Kontakt geraten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Anmerkung der Redaktion: Der Autor und der interviewte Experte sind nicht miteinander verwandt. Dass beide den gleichen Nachnamen tragen, ist Zufall.