Transformationsverweigerung von VW spielt der AfD zu
Der Konzern VW strauchelt, weil er arrogant den Markt diktieren wollte und transformationsfaul war – nicht wegen einer vermeintlichen „grünen Planwirtschaft“. Die Krise spielt der AfD zu, die gleichzeitig den Arbeitenden in den Rücken fällt. Eine Analyse von Andreas Speit.
Einer der größten Autobauer in Deutschland verliert seine Erfolgsspur. Der Konzern ist in der Krise. Bei der letzten Betriebsversammlung bei Volkswagen (VW) sprach Konzernchef Oliver Blume von einem „Sanierungsfall“. Seit Wochen spricht die Konzernleitung über die Nichtübernahme von Leiharbeitenden, die Entlassung von Festangestellten und die Schließung von Werken. In Wolfsburg bangen ganze Familien, die alle bei VW arbeiten, um ihre Lebensperspektive. Die Stadt ist nicht der einzige Standort, wo Kündigungen und Schließungen das Leben belasten werden. Die AfD Niedersachen hinterfragt die VW-Pläne nicht. Der Landtagsabgeordnete Omid Najafi erklärt am 4. Dezember vielmehr, dass die „verfehlte Klimapolitik“ und das „nahezu planwirtschaftliche Versteifen auf Elektromobilität“ VW zum „Verhängnis“ wurden.
Willkommen im Campact-Blog
Schön, dass Du hier bist! Campact ist eine Kampagnen-Organisation, mit der über 3 Millionen Menschen entschlossen für progressive Politik eintreten und unsere Demokratie verteidigen. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.
Leugnung der Klimakrise im Rettergewand
Das Statement reiht sich in die Positionierungen gegen die Elektromobilität ein. In den vergangenen Jahren haben die verschiedensten Magazine und Zeitungen aus dem rechtsextremen Milieu stets den menschengemachten Klimawandel bestritten. Die Redaktionen von „Compact – Magazin für Souveränität“ und „Zuerst! Deutsches Nachrichtenmagazin“ warnten anhaltend vor dem Aus des Verbrennungsmotors. Sie beklagten eine Abkehr von der „deutschen Ingenieurskompetenz“ genau wie eine vermeintliche Ent-Industrialisierung des Landes.
Schon im Oktober erklärte Tino Chrupalla zur VW-Krise, dass „Politiker und kurzsichtige Wirtschaftsfunktionäre“ sich „voreilig und einseitig für die Elektromobilität entschieden“ hätten. „Diese Entscheidung entspricht nicht dem Wunsch der Verbraucher und dem Wohl der Arbeiter“, so der AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende. Und er betonte sogleich, dass „der Wirtschaftskrieg gegen den Osten“ zu den „hohen Energiepreisen“ führte und „dem Standort Deutschland“ schade. Die Verkürzung der Analysen auf vermeintlich einfache Lösungen ist offensichtlich. Sie verfängt dennoch. In ihr bietet Chrupalla doch auch eine Vergemeinschaftung an – die einfachen „Verbraucher und Arbeiter“ gegen die klimabesorgten „Politiker und Wirtschaftsfunktionäre“.
Die Ankündigungen aus den Leitungen von Thyssenkrupp und Bosch, ebenso Entlassungen zu planen, bestärken die Klage des Niederganges der deutschen Wirtschaft. Bei der AfD wird für diese Entwicklung nicht allein die geplatzte Ampelregierung von SPD, Bündnis 90/Die Grüne und FDP verantwortlich gemacht. Die Anfeindungen richten sich seit Jahren vor allem gegen die Grünen. In der Kritik hebt dieses Milieu gerne hervor, dass die Industrie- und Wirtschaftspolitik ideologiefrei zu unterstützen sei. Mit dieser Argumentation sprechen sie sich selbst davon frei, ideologisch getrieben zu sein. Eine Rhetorik jenseits der Realität von Markt, Technik und Wissenschaft, die Prozesse in der globalisierten Produktion nicht bedenkt. Dass die sozio-ökologische Transformationsverweigerung Menschen in die Flucht treibt oder in die Arbeitslosigkeit wird ebenfalls ausgeblendet. Der stets angeführte „gesunde Menschenverstand“ ist eine Chimäre, die die eigene Unvernunft kaschiert.
Arroganz und Transformationsfaulheit bei VW führten zur Krise
Die Krise bei VW kam „mit Ansage“, sagt Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Schon 2006 hätte China dem DAX-Konzern „klipp und klar“ gesagt, dass die Zukunft batterieelektrisch sei, erklärte Knie am 6. Dezember bei ntv. Dafür würde es „alles tun“. Der Konzern verkauft in China fast 60 Prozent seiner Fahrzeuge. Doch VW hätte gesagt: „Das wollen wir nicht. Wir fahren unseren eigenen Weg“.
Und Knie hebt noch deutlicher hervor: „VW hat die Arroganz besessen, den Chinesen zu erklären, wo die Welt langläuft: Kauft Dieselmotoren, die haben eine bessere Performance, sind effizienter und besser für die Umwelt“. Das würde sich jetzt bitterlich rächen. Die Ursache der Krise wäre ein „seit 15 oder 20 Jahren andauerndes Managementversagen“, betont Knie im Interview und hebt hervor, dass aus der IG Metall sehr früh gesagt wurde: „Wir müssen eine andere Art von Auto bauen.“
Von eigenen Fehlern, gar von Demut, ist von den Transformationsverweiger*innen der Konzernspitze wenig zu vernehmen. Mehr zu hören ist derweil von der gängigen Praxis, die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren. Denn Menschen in die Erwerbslosigkeit zu schicken, heißt, sie erst von den eigenen Rücklagen leben zu lassen, bis staatliche Hilfen beantragt werden können.
Nicht nur an Verbrennern hält die Autoindustrie fest – sie stellt sich gegen ein Tempolimit. Dabei gibt es viele gute Gründe für eine Geschwindigkeitsbegrenzung:
AfD fällt den Arbeitenden in den Rücken
Die AfD warnt jedoch prompt: „Bei allem Verständnis für die streikenden VW-Mitarbeiter, die um ihre Jobs und ihre Zukunft bangen: Mit dem massiven Streik schaufelt die IG Metall ihren Jobs das Grab.“ Als wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion schiebt Najafi nach, dass das „Topmanagement“ auf Boni verzichten sollte, um dann weiter nachzulegen, dass die „Gewerkschaft an einer möglichst erträglichen Lösung“ zu arbeiten hätte, „statt das Unternehmen mit unrealistischen Forderungen weiter in die Krise zu treiben“. Die AfD markiert die Gewerkschaften nicht bloß wegen ihrer antifaschistischen Geschichte und Gegenwart als die zentralen Feinde neben den Grünen. Sie stört eben auch grundsätzlich die gewerkschaftliche Interessenvertretung für die Arbeiter*innen und Angestellten.
Im Diskurs der Verschiebung der Verantwortlichkeit und Übernahme der Verluste warfen einzelne Medien allerdings auch ein, dass die Arbeitenden bei VW zu den am besten bezahlten und abgesicherten Angestellten in Deutschland gehören würden. Die darin liegende Botschaft: Kommende Lohnkürzungen wären nicht so gravierend. Den VWler*innen ginge es immer noch gut genug. Ein „Danke für Nichts“, das letztlich auch die Sozialpartner*innenschaft obsolet erscheinen lässt. Dass die IG Metall diese Absicherung mit ihren Mitgliedern erstritt, scheint nun gar unverschämt. In diesem letztlich gewerkschaftsfeindlichen Diskurs wird so ein soziale Neiddebatte vorangetrieben.
Seit Anfang Dezember warnen Medien auch vor einem „Schatten-Tarifvertrag“. Sollten Konzern und Gewerkschaft sich beim aktuellen Tarifstreit in den kommenden Wochen nicht einigen können, greift eine Tarifregelung von 1994. Das Handelsblatt rechnete am 2. Dezember ausführlich aus, dass die 120.000 Angestellten dann eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent erhalten würden, sowie 1,3 Monatsgehälter verteilt auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Bonusregelungen. Dass die Arbeitszeit dann erhöht würde, wird nur kurz erwähnt. Das Blatt warnt derweil: „Im schlimmsten Fall drohe VW eine erneute Gewinnwarnung.“ Eine Sorge, die nicht alle besorgt.
Im Bundestagswahlkampf dürfte die AfD in und um die VW-Werke gegen die Elektromobilität mobilisieren. Die Transformationsverweiger*innen werden verstärkt behaupten, dass die Umstellungen zu schlechteren Lebensbedingungen führen. Die Partei erreicht die Arbeitenden immer stärker: Bei den letzten Landtagswahlen stimmten in Sachsen 45 Prozent, in Thüringen 49 Prozent und in Brandenburg 46 Prozent der Arbeiter*innen für die AfD.