Feminismus
Island: Die Regierung der Töchter
In Island haben Frauen Spitzenpositionen in Politik und Kirche übernommen. Das ist kein Zufall. Warum Island Gleichberechtigung lebt und wie sich das positiv auf die ganze Gesellschaft auswirkt.

Frauenpower aus dem Norden: Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen, Islands Premierministerin Kristrún Frostadóttir und die ehemalige Ministerpräsidentin Schwedens Magdalena Andersson (v.l.n.r.) bei einer Pressekonferenz. Foto: IMAGO / NTB
Island ist mit seinen 370.000 Einwohner*innen ein kleines Land – und doch ist es anderen Ländern in Sachen Gleichstellung deutlich voraus: Seit 2024 sind Frauen in den Parlamenten und wichtigen Ämtern so stark vertreten wie nie zuvor. Alle Spitzenpositionen sind von Frauen besetzt. Die 56-jährige Halla Tómasdóttir ist seit August 2024 neue Präsidentin der Republik im Nordatlantik, wenig später übernahm Geudrún Karls Helgudóttir (55) das Amt als Bischöfin der evangelisch-lutherischen Volkskirche.
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Dóttirs an der Macht
In den insgesamt elf Ministerien haben in sieben davon Frauen das Sagen. Auch die Premierministerin, die Außenministerin, die Bürgermeisterin der Hauptstadt Reykjavik und die Polizeipräsidentin sind „dóttirs“.
Das „dóttir“ (Tochter) in ihren Nachnamen hilft in Island dabei, Menschen auch ohne Vornamen einem Geschlecht zuzuordnen. Die Endung „-son“ (Sohn) steht für Männer; für alles dazwischen fehlt ein Zusatz.
Die Spitzen von CDU und CSU
Dass so viele Frauen in Spitzenpositionen sind, ist in Deutschland gerade undenkbar. Nach der Bundestagswahl sinkt der Frauenanteil im neuen Bundestag auf weniger als ein Drittel. Gerade das starke Abschneiden von CDU und AfD zieht den Anteil massiv runter – nur 22,6 Prozent der CDUler*innen sind Frauen; bei der AfD sind es noch weniger.
Wie sehr Männer dort am liebsten unter sich sind, zeigte ein Foto von Markus Söder bei Instagram: Der CSU-Chef postete dort ein Bild von sich und fünf anderen Männern – dazu die Bildbeschreibung: „Wir sind bereit für einen Politikwechsel in Deutschland.“
Nicht nur in der Politik mangelt es an Frauen in Führungspositionen. Damit bleiben nicht nur die Frauen selbst auf der Strecke, sondern alle Themen, die eher Frauen betreffen: Bei den Themen Familienpolitik, feministischer Außenpolitik oder feministischer Stadtplanung steht Deutschland bislang nicht sonderlich gut da.
Gleichberechtigung ist in Island schon lange Thema
Natürlich sind die vielen Frauen in der Regierung auch in Island nicht über Nacht aus dem Vulkan gesprudelt. Islands Weg zur Gleichstellung begann bereits früh.
- 1975 legten Frauen beim Frauenstreik, „Kvennafrídagurinn“, geschlossen ihre Arbeit nieder – sowohl im Büro als auch zu Hause.
- 1980 wählten die Isländer*innen mit Vigdís Finnbogadóttir die weltweit erste demokratisch gewählte Präsidentin. Sie regierte das Land 16 Jahre lang und wurde zu einem Symbol für weibliche Führungsstärke.
- 2009 übernahm Jóhanna Sigurðardóttir als erste offen homosexuelle Regierungschefin Islands Premierministeramt. Während andere Länder noch darüber streiten, wer welche Toilette benutzen darf, hatte Island schon eine lesbische Premierministerin.
Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Islands Erfolgsgeheimnis? Island hat schon lange verstanden, wie wichtig eine fortschrittliche Familienpolitik ist. Die großzügige Elternzeit für beide Elternteile sorgt dafür, dass mehr Frauen ihre Karriere besser verfolgen können – und zwar ohne zwischen Familie und Beruf wählen zu müssen.
Fast 90 Prozent der Frauen zwischen 20 und 64 Jahren sind in Island erwerbstätig. Laut einer Studie des britischen Rechtsdienstberatungsleister Claims liegt Island damit auf Platz 1, Deutschland schafft es nur auf Platz 15. Grund dafür sei die Familienpolitik der jeweiligen Länder.
Gleichberechtigung macht glücklich
Und die Gleichberechtigung zahlt sich aus. Island belegt beim „Global Gender Gap Report“ den ersten Platz – und das bereits seit über einem Jahrzehnt. Gegen den Gender Pay Gap haben Frauen in Island schon vor 50 Jahren landesweit protestiert. Rund 100.000 Menschen kamen zu einer Neuauflage im Jahr 2023 – also mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Das Land hat als erstes weltweit 2017 ein Gesetz eingeführt, das Unternehmen verpflichtet, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit nachzuweisen.
Auch den Weltfriedens-Index führt Island an. Beim World Happiness Report liegt der nordische Inselstaat auf Platz 3.
Deutschland schneidet hier deutlich schlechter ab. Beim Weltfriedens-Index lag Deutschland im Jahr 2024 auf Platz 20. Beim „Global Gender Gap Report“ auf Platz 7 und beim World Happiness Report auf Platz 24.
Frauentrio steht für Rechtsruck
Doch nicht alles ist nur golden. Nach den vorgezogenen Neuwahlen in Island weicht das Land zwar immer weiter vom Patriarchat ab. Männer dominieren jedoch weiterhin zentrale Bereiche des Wirtschafts- und Finanzwesens – dabei waren es eben auch Männer, die 2008 dem Land den Bankenkollaps beschert haben, wie die Frankfurter Rundschau betont.
Und auch in Island zeigt sich ein Rechtsruck. Nach der Niederlage von Ex-Premierministerin Katrín Jakobsdóttirs sind die Links-Grünen mit 2,3 Prozent aus dem Parlament geflogen, „die Linke als Flügel wurde ausradiert“. Mit 20,8 Prozent wurde die rechts ausgerichtete Sozialdemokratie Wahlsiegerin – sie tat sich mit der Liberalen Reformpartei und der Volkspartei zusammen.
Und doch macht das Frauentrio – aus Regierungschefin Kristrún Frostadóttir, der Leiterin des Sozial- und Wohnungsressorts Inga Sæland (Volkspartei) und Außenministerin Thorgerdur Gunnarsdóttir (Reformpartei) – in einer Welt voller Trumps, Orbáns und Merz’ Hoffnung.
Denn während hierzulande noch diskutiert wird, ob Frauen überhaupt Führungspositionen übernehmen sollten, zeigen die Isländerinnen, dass es geht.