Menschenrechte
Für diese Menschen tickt die Uhr
Die Bundesregierung bricht ihr Versprechen und lässt Ortskräfte in Afghanistan im Stich. Die schwarz-rote Koalition beendet das entsprechende Aufnahmeprogramm und schiebt wieder nach Afghanistan ab. Was das für die Menschen bedeutet, die Deutschland damals unterstützt haben.

Demonstrierende bei einer Kundgebung vom Flüchtlingsrat Berlin, Pro Asyl, Medico Mondiale und anderen NGOs ein Jahr nach der Übernahme der Taliban in Afghanistan. Unter dem Motto "Don't Forget Afghanistan" (Vergesst Afghanistan Nicht) demonstrieren sie vor dem Außenministerium in Berlin für die Aufnahme von Ortskräften, das sichere Bleiberecht aller bedrohter Afghan*innen, und Evakuierung aller gefährdeten Personen und ihrer Familienmitglieder. Foto: IMAGO / IPON
Die Bilder aus dem Sommer 2021 habe ich noch vor Augen: Während die Taliban in Afghanistan immer weiter vorrücken, versuchen verzweifelte Menschen, auf den Flughafen in Kabul zu gelangen. Dort verlassen die letzten Flugzeuge das Land. Eltern drücken ausländischen Soldaten ihre Babys in den Arm, Menschen klammern sich an startende Flugzeuge.
Als Donald Trump während seiner ersten Amtszeit die US-Mission in Afghanistan beendet, übernehmen die Taliban das Land. Die Bundeswehr wird abgezogen. Zurück bleiben ihre lokalen Ortskräfte, etwa Dolmetscher oder Botschaftspersonal, lokale Medienschaffende und afghanische Frauenrechtlerinnen. Nur wenige dieser Menschen nehmen die abreisenden Truppen mit. Ein riesiger deutscher Airbus hebt sogar mit nur sieben Passagieren ab.
Aus Hilfeversprechen werden Abschiebungen
Damals ist die Stimmung in Deutschland eindeutig: „Komplett versagt“, titelt die ZEIT, „Ein Desaster in Akten“ die Süddeutsche Zeitung. In der konservativen Zeitschrift Cicero sagt die ebenso konservative Julia Klöckner, es komme jetzt darauf an, auch jene „rauszuholen“, die Deutschland vor Ort unterstützt hätten. Der damalige stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl wird darin zitiert: „Wir dürfen diese Menschen, die in Todesgefahr sind, jetzt nicht alleine lassen.“ Später wird sogar ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, um zu klären, was beim Abzug schiefgelaufen ist. Dass Deutschland die eigenen Ortskräfte und Verbündete im Stich gelassen hat, soll wiedergutgemacht werden: Die Bundesregierung schafft das „Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan“, um sie nach Deutschland zu holen. Weil die deutsche Botschaft in Kabul geschlossen ist, läuft das Verfahren über die Botschaft in Islamabad.
Auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, setzten sich damals dutzende Künstler*innen und Musiker*innen aus Deutschland für den Schutz ihrer afghanischen Kolleg*innen ein. Lies hier mehr dazu.
Fast Forward ins Heute: Sowohl die alte, als auch die neue Bundesregierung lassen sich von der AfD treiben, ziehen die Mauern um Deutschland und Europa immer höher und wollen sich mit immer herzloserem Kurs gegenüber Schutzsuchenden profilieren. Im Sommer 2024 wird sogar wieder nach Afghanistan abgeschoben. Und im neuen, schwarz-roten Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden freiwillige Bundesaufnahmeprogramme soweit wie möglich beenden (zum Beispiel Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen.“ Damit knickt die Bundesregierung auch gegenüber rechten Influencern auf Social Media ein, die dort jeden Einreiseflug mit Hassrede und Desinformation begleiten.
Ortskräfte harren in Pakistan aus
Doch in Pakistan warten noch rund 2600 Menschen, denen Deutschland bereits eine Aufnahmezusage erteilt hat. Verbindlich, betonte das Auswärtige Amt, jedenfalls bis zur Übernahme der neuen Regierung. Die Fälle sind einzeln geprüft, die Menschen haben auch eine Sicherheitsüberprüfung unter Beteiligung von Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz erhalten. Manchen wurde bereits ein konkretes Datum für einen Flug mitgeteilt – und der Flug dann wieder gestrichen.
Jetzt tickt die Uhr: Seit dem 1. April schiebt Pakistan die dort schutzsuchenden Afghan*innen ab. Zurück in das Land, wo sie Unterdrückung, Auspeitschungen oder der Tod erwarten. Außerdem droht gegenwärtig der Konflikt zwischen Pakistan und Indien zu eskalieren. Schlimmstenfalls könnten die zuständige deutsche Botschaft in Islamabad und der Luftraum geschlossen werden. Dann säßen die Afghan*innen endgültig in der Falle. Deshalb ist es verantwortungslos, wenn Kanzleramtsminister Thorsten Frei wie vor einigen Tagen sagt, es gebe „keinen Anspruch, die Aufnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt zu realisieren.“ Tatsächlich könnte es für die Betroffenen jeden Tag zu spät sein. Ohnehin sitzen sie seit Jahren auf gepackten Koffern.
Wer diese Menschen nach Afghanistan zurückschickt, könnte ihnen auch gleich eine Zielscheibe auf die Brust malen. Deutschland hat ihnen ein konkretes Versprechen gegeben; es hat ihnen die Aufnahme verbindlich zugesagt. Darauf haben sie sich verlassen, ihr Leben und das ihrer Familien darauf ausgerichtet. Die Bundesregierung darf keine Zeit verlieren und muss die Aufnahmen sofort fortsetzen. Die Bundesregierung kann sich gern einmal in der Kita meiner Kinder informieren: Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen.