Feminismus Gesundheit
Am 15. Januar 2025 erhält Dr. Joachim Volz, Professor für Gynäkologie, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin, ein Schreiben seines Arbeitgebers. Der Chefarzt des „Zentrums für Frauenheilkunde“ des Evangelischen Krankenhauses in Lippstadt wird darin dazu angehalten, ab Februar 2025 keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchzuführen. Weder in der Klinik in Lippstadt, noch in seiner privaten Praxis im etwa 50 Kilometer entfernten Bielefeld. Sollte er es doch tun, droht ihm die Kündigung. Volz ist entsetzt – und geht in die Offensive. Jetzt klagt er öffentlichkeitswirksam gegen das Klinikum.

Verbot geht auf Fusion zurück
Warum darf der Chefarzt plötzlich nicht mehr diesen wichtigen gesundheitlichen Eingriff durchführen? Der Hintergrund: Nach einem Cyber-Angriff auf das katholische Dreifaltigkeits-Hospital in Lippstadt steht die Klinik mit einer massiven finanziellen Lücke da. Nur eine Fusion mit dem Evangelischen Klinikum Lippstadt (EVK) – dem Krankenhaus, in dem Volz arbeitet – kann das Hospital retten.
Diese Fusion zum Kliniken-Verbund „Klinikum Lippstadt – Christliches Krankenhaus“ handeln die beteiligten Kliniken aus Lippstadt und dem angrenzenden Erwitte im Laufe des Jahres 2024 aus. Eine Bedingung des katholischen Hospitals, die aber erst später bekannt wird: Ab dem 1. Februar 2025 dürfen keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchgeführt werden, außer bei akuter Lebensgefahr der Mutter.
Sowohl der Chefarzt des EVK Joachim Volz, als auch seine Belegschaft der gynäkologischen Abteilung wollen diese neue „Betriebsanweisung“ nicht hinnehmen. Sie verfassen einen offenen Brief. Darin fordern sie die Klinikleitung zum Überdenken des Standpunktes auf. Sie schreiben unter anderem:
[…] es [ist] aus unserer ärztlichen Sicht inakzeptabel, dass Schwangerschaftsabbrüche bei medizinischen Indikationen (schwere Missbildungen, Nichtlebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes) aufgrund religiös motivierter Vorgaben der katholischen Kirche nur noch bei akuter Lebensgefahr der Mutter vorgenommen werden dürfen. Diese Ausschließlichkeit und Härte des katholischen Standpunktes empfinden wir als unbarmherzig. Das gilt im übrigen auch für Schwangerschaftsabbrüche bei kriminologischer Indikation, zum Beispiel nach einer Vergewaltigung.
Offener Brief von 60 Ärzt*innen aus Lippstadt
Und weiter: „Jede Frau hat Anspruch auf eine fachgerechte Behandlung bei einer medizinischen Indikation. Dieser Anspruch darf bei Trennung von Staat und Kirche nicht durch die katholische Kirche ausgehebelt werden; er unterliegt den gesetzlich vorgegebenen Kriterien, zumal die Krankenhausfinanzierung zum allergrößten Teil aus öffentlichen Geldern kommt.“
Arzt Volz: Gegen die Arbeitsanweisung, für das Recht am eigenen Körper
Die gerichtliche Auseinandersetzung befasst sich in erster Linie mit dem konfessionellen Arbeitsrecht und der Tatsache, ob es rechtens ist, dass Mitarbeitenden neue konfessionelle Richtlinien „übergestülpt“ werden dürfen, ob eine Arbeitsanweisung sich auf eine Nebentätigkeit erstrecken darf (Volz’ eigene Praxis in Bielefeld) und ob so eine konfessionelle Anweisung überhaupt mit geltendem Arbeitsrecht vereinbar ist. Für Chefarzt Volz geht es allerdings um viel mehr:
Es geht um fundamentale Rechte, um Selbstbestimmung. Und ja – auch um ärztliche Freiheit.
Dr. Joachim Volz in einem Interview mit der Apotheken Umschau
Schwangerschaftsabbrüche sind nach Paragraf 218 noch immer eine Straftat
Dass ein im Zweifel lebensrettender medizinischer Eingriff überhaupt Teil einer Debatte sein kann, liegt einem uralten Gesetzestext zugrunde: dem Paragrafen 218. Er legt im Strafgesetzbuch fest, dass Schwangerschaftsabbrüche eine Straftat sind.
Petition: Weg mit Paragraf 218!
Das „Bündnis für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“ setzt sich mit einer Petition auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, für eine Abschaffung des Paragrafen 218 ein. Schließ Dich tausenden Unterzeichnenden an:
Im Falle von Volz geht es primär um Abbrüche aus medizinischen Gründen, teilweise erst spät in der Schwangerschaft – welche das Kirchenarbeitsrecht unterbindet. Sie sind in Paragraf 218a, Absatz 2 geregelt: Ein Abbruch aus medizinischer Indikation ist demnach zulässig, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter ernsthaft gefährdet. Das gilt auch, wenn das Kind genetische oder körperliche Schäden hat und absehbar ist, dass das Kind schwere Behinderungen hat, die Mutter im Verlauf der Schwangerschaft körperlich gefährden kann (z.B. durch Blutvergiftung) oder tot geboren wird. Der Abbruch ist dann legal und nicht nur straffrei, wie bei der Beratungsregelung.
Schwangerschaftsabbruch in Lippstadt schon vorher schwierig
Der neue Klinikumsträger untersagt nun diese Ausnahme, ebenso wie die der Straffreiheit nach Paragraf 218a, Absatz 3, die einen Schwangerschaftsabbruch nach einer rechtswidrigen Tat, zum Beispiel einer Vergewaltigung, erlaubt. Nur wenn die Mutter in einer akuten lebensbedrohlichen Situation ist, darf der Abbruch durchgeführt werden.
Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Schwangerschaftswoche sind in 218a, Absatz 1 geregelt – die Ärzt*innen am Klinikum haben diese in Vergangenheit jedoch ohnehin nicht vorgenommen. Wer in Lippstadt bzw. im Kreis Soest eine Schwangerschaft innerhalb der ersten 12 Wochen beenden will, muss dafür schon immer nach Dortmund, Gütersloh oder Bielefeld fahren.
Der lange Weg des Paragrafen 218
Seinen Ursprung hat der Paragraf sowohl bei den Nazis als auch in der Weimarer Republik. Dem Paragrafen angegliedert war ursprünglich noch das sogenannte „Werbungsverbot“ in Paragraf 219a. Er regelte, dass Ärzt*innen, die solche Abbrüche vornehmen, darüber nicht öffentlich informieren dürfen. Die Ampel-Regierung beschloss im Juni 2022 die Streichung des Paragrafen – nach jahrelangem Druck der Zivilgesellschaft und durch Ärzt*innen. Ein Teil von Deutschland war da rechtlich schon mal weiter. Die DDR war weltweit der erste Staat, in dem Schwangerschaftsabbrüche legal waren.
Im Dezember 2024 gab es eine Chance, auch den Paragrafen 218 streichen zu lassen. Der Bundestag diskutierte erneut über eine Abschaffung des Paragrafen, es gab sogar einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf dafür. Tausende gingen auf die Straße, um diese Initiative zu unterstützen. Auch vor der Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages zu dem Thema im Februar 2025, kurz vor der Bundestagswahl, gab es große Demos.

Mehr Bilder findest Du auf dem flickr-Account von Campact.
Nach der Sitzung des Ausschusses gab es dann schnell die Gewissheit: Der Bundestag stimmt vor der Wahl nicht mehr über das Vorhaben ab. Ein Rückschlag für die Bewegung, die sich für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eingesetzt hat.
Der Protest für legale Schwangerschaftsabbrüche geht weiter
Das „Bündnis für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“ besteht aus dutzenden Organisationen und Einzelpersonen, die sich mit einer Petition auf WeAct für eine Abschaffung des Paragrafen 218 einsetzen. Die Abschaffung des Paragrafen 219a konnten sie bereits erfolgreich mit Protesten und öffentlichkeitswirksamen Aktionen anschieben. Schließ auch Du Dich dem Protest an und unterzeichne die Petition auf WeAct: