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Ein Wels, ein Biss, ein Schuss – tot. Ende Juni entspann sich die Geschichte um den „Wels vom Brombachsee“. Der See in Mittelfranken in der Nähe von Nürnberg ist gerade an heißen Tagen ein beliebtes Badeziel – wenn da denn die Seebewohner nicht wären. Ein 90 Kilogramm schwerer Fisch soll fünf Badegäste gebissen haben, als er mutmaßlich seinen Laich verteidigen wollte. Der über zwei Meter lange Waller, so werden Welse dort regional genannt, fügte den Schwimmenden an einem Freitagnachmittag im Juni Bisswunden zu, teilte die lokale Polizei mit. Helfer des Roten Kreuzes versorgten die Wunden. Ein Polizeibeamter streckte derweil den Fisch mit seiner Dienstwaffe nieder: zum Schutz der Badegäste. Letztendlich getötet wurde der Fisch dann von Anglern, die den verletzten Wels aus dem Wasser zogen.

Auch jetzt, Wochen später, ist der Wels vom Brombachsee noch immer Gesprächsthema. Das ist bemerkenswert, denn während der Fisch in Form von Meme-Bildchen und gehässigen oder belustigten Nachrichten weiter durchs Netz schwimmt, ist eine andere Nachricht völlig untergegangen. Nur einen Tag später erstach eine 19-Jährige einen 15-Jährigen in der Nähe des selben Sees. Laut Augenzeugen habe sie ihn rassistisch beleidigt und dann erstochen.

Was der Wels mit Rechtsextremismus zu tun hat

Während die Medien breit über die Polizeiermittlungen zum erschossenen Wels berichten oder darüber, was Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vom Wels hält, gibt es zu der Messerattacke kaum Nachrichten. Die übliche Agenturmeldung wurde nahezu identisch von verschiedenen News-Portalen übernommen, eine große Debatte blieb aber aus.

Währenddessen entdecken Rechte den Wels für sich – und deuten seinen Tod zu einem heroischen Ereignis um. Rechte Accounts auf der Plattform X (ehemals Twitter) machen mit Memes zum Wels auf sich aufmerksam. „Wels Lives Matter“, „Wels Angels“ oder „Kein Wels ist illegal“ steht auf den Bildmontagen, die sich über antirassistische Bewegungen lustig machen sollen. Der rechte Account „Junges FreiheitsBündnis“ schrieb auf X über den Wels: „Für die rechte Bewegung mehr geleistet als wir alle zusammen. Möge er seinen Frieden finden.“ Der Wels ist zu einem rechten Code und Erkennungszeichen der Szene geworden.

Aber warum kümmern sich Rechte plötzlich um den Wels?

Vor dem Wels kamen das Eichhörnchen und ein Gorilla

Der Diskurs um den Wels vom Brombachsee folgt hier einem Trend, der bereits seit Jahren online zu beobachten ist: Rechte übernehmen ein populäres Thema und pushen es unter ihrem Narrativ hoch. Das wiederum gibt dem Thema insgesamt einen Aufschwung und etablierte Medien berichten über den Hype. So gewinnt das Thema weiter an Popularität – und die verächtlichen oder rechten Memes bleiben weiter im Umlauf.

Der erste medial populäre Fall so einer Umdeutung von Rechts passierte 2016. Im Mai des Jahres wurde der 17 Jahre alte und 180 Kilo schwere Gorilla Harambe von einem Notfall-Team des Zoos in Ohio (USA) erschossen. Harambe hatte sich einen kleinen Jungen, der ins Gehege gestürzt war, geschnappt. Der Zoo rechtfertigte den tödlichen Schuss damit, dass das Leben des Kindes in Gefahr und eine Betäubung unkalkulierbar gewesen sei. Der Tod von Harambe führte im Netz weltweit zu einem massiven Aufschrei. Auch hier war die Entwicklung zu beobachten, der jetzt der Wels unterliegt: Aus der Nachricht wird eine öffentliche Diskussion, aus der Diskussion entstehen Memes, aus den Memes entstehen noch mehr Memes, welche die Botschaft allerdings umdrehen.

Deswegen finden sich jetzt Fotomontagen im Internet, die Harambe zusammen mit dem Wels beim Aufstieg in den Himmel zeigen. Auch an dieser Himmelspforte zu sehen: das Eichhörnchen Peanut.

Die US-Republikaner hatten das Eichhörnchen und dessen „Mitbewohner“ Fred den Waschbären im Wahlkampf instrumentalisiert. Der Internet-Star Peanut war das Gesicht einer Tierauffangstation, in der Wildtiere privat gehalten wurden – vermutlich illegal. Das Eichhörnchen wurde von Behörden eingeschläfert, weil es einen Mitarbeiter gebissen hatte. J.D. Vance, zu dem Zeitpunkt Trumps designierter US-Vize, sagte über die damalige US-Regierung: „Sie interessieren sich nicht für Migranten an der Grenze, aber gönnen uns nicht mal die Haustiere“. Verantwortlich für die Tötung des Tieres war aber nicht die US-Regierung, sondern das Amt für Umweltschutz. Dennoch riefen sowohl der Halter von Peanut, als auch Tech-Milliardär Musk öffentlich auf: „Vote for Peanut!“

Auch Sellner mag den Wels

Wie das Eichhörnchen Peanut hat auch der Wels prominente Verteidiger. Martin Sellner, eine zentrale Figur der europäischen rechtsextremen Szene und Anführer der sogenannten „Identitären Bewegung“ in Österreich, trägt auf seinem X-Account diverse Wels-Memes zusammen.

Am 2. Juli postete er: „Dem Wels seinen Teich. Dem Volk sein Land. Dem Autor seine Lesung.“ Kurz zuvor hatte die Stadt Chemnitz ein Auftritts- und Versammlungsverbot gegen ihn verhängt, nachdem bekannt wurde, dass Sellner bei einer für den 4. Juli geplanten öffentlichen Fraktionssitzung als Redner zum Thema „Remigration“ auftreten sollte. Er sprach dann trotzdem im Rathaus – aus einem hinteren Fenster hinaus.

Hörnchen und Co. werden als Freiheitskämpfer stilisiert

Peanut, Harambe und der Wels haben also eins gemeinsam: Ihre meist tragischen Tode werden von Rechten für eine Anti-Staats-Agenda missbraucht. Ganz gemäß der Erzählung: Statt sich mit diesem „läppischen“ Thema zu befassen, sollte die Politik die „richtigen“ Themen angehen. Diese „richtigen“ Themen sind dabei meist Asyl, Migration, der „Große Austausch“ oder eine vermeintliche Meinungsunterdrückung. Das zeigt, worum es den Rechten in erster Linie geht: nicht um Tierschutz, ein Statement zu Polizeigewalt oder einen gesellschaftlichen Kommentar – sondern um Hass, Hetze und Stimmungsmache auf dem Rücken von Tieren.

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