Digitalisierung Klimakrise AfD Rechtsextremismus Appell CDU Handel Menschenrechte Demokratie Montagslächeln


Mittlerweile wurde zahlreich belegt, dass hinter der Hetze gegen die Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin ein Netzwerk aus Rechtsextremen, christlichen Fundamentalisten und Abtreibungsgegner steht. 

Schauen wir bei dieser Kampagne der Anti-Abtreibungslobby gegen Frauke Brosius-Gersdorf genauer hin, so sehen wir als Akteurinnen:

  • die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL)
  • die Initiative „Demo für alle“ (DfA)
  • und die AfD.

Die CDL wurde von einer „von Galen“ gegründet, die standesgemäß einen „von Westphalen“ ehelichte. Die DfA gründete ihre Großnichte, eine „von Lüninck“, die einen „von Beverfoerde“ heiratete. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende war eine „von Oldenburg“, bevor sie einen „von Storch“ heiratete.

Heiraten wie der Adel früher

Uns mag diese Heiratspolitik antiquiert erscheinen, sie setzt sich aber fort. Und deren Protagonist*innen sind mit ihrer Geschlechterpolitik erfolgreich. In diesem Artikel werde ich daher exemplarisch zeigen, dass die antifeministische bzw. „familistische“ (Gisela Notz) Ideologie dieser aristokratischen Lobby nicht nur über Familien vererbt, sondern noch immer in der Heiratspolitik praktiziert wird – und dass sie mit Narrativen aus der Nazizeit verbunden ist.

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Aktuell recherchiert er unter anderem zum „Libertarismus“ und totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen.

Der antifeministische Adel

Der Familismus dieses Adelsnetzwerks beschränkt sich nicht nur auf Heiratspolitik. Die Söhne und Töchter werden politisch entsprechend in Stellung gebracht: Die parallel zur CDL gegründete „Stiftung Ja zum Leben“ wird aktuell von der Tochter „von Westphalen“ zusammen mit ihrem Ehemann „von Hohenberg“ geführt. Ein Sohn der DfA-Aktivistin „von Beverfoerde“ hat jüngst eine bei den „Märschen für das Leben“ aktive Habsburgerin geheiratet. Insgesamt versammeln sich deutlich über einhundert untereinander verheiratete bzw. verwandte Adelige als tonangebende Funktionär*innen im familistischen Antifeminismus zu den Themen Homosexualität und Abtreibung im deutschsprachigen Raum. Und zur Durchsetzung ihrer Agenda werden einflussreiche Posten angestrebt, gerade auch im juristischen Feld.

Nach Neil Datta vom „European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights“ geht auch die Handreichung der Geheimorganisation „Agenda Europe“ mit dem Titel „Restoring the Natural Order“ auf einen Adeligen zurück: Jakob Cornides von Krempach. In diesem Strategiepapier hieß es 2014 „Bring the Right People into the Right Positions“. Es war dort explizit von der Besetzung der nationalen obersten Gerichte die Rede. Neben der Sprachpolitik (Homosexualität zum Beispiel sollte konsequent als „Sodomie“ bezeichnet werden), war dies die Kernforderung.

Was heißt hier „Sippenhaft“?

In diesem Artikel geht es um Sitte und Sippe. Tauchen wir in die finsterste Zeit hinab. Letzte Woche verwies ich in den sozialen Medien auf die Nazi-Familie väterlicherseits von Beatrix von Storch und auf deren Zusammenarbeit mit Heinrich Himmler, der die NS-„Reichszentrale gegen Homosexualität und Abtreibung“ gegründet hatte. Die Antwort darauf war ein Shitstorm mit über 800 Beiträgen, die mir „Sippenhaft“ vorwarfen.

Hierzu eine Vorbemerkung: Wir haben noch immer „Sippenhaft“. Denn noch immer haften Kinder für ihre Eltern, vor allem in den wichtigen Bereichen der Bildungs- und Vermögenspolitik. Immer wieder stellen Bildungsstudien wie IGLU fest, dass Arbeiter*innenkinder bei gleichen Leistungen sehr viel seltener Gymnasialempfehlungen erhalten. Kinder aus gut situierten Elternhäusern bekommen diese Empfehlung drei mal so häufig, bei gleichen Leistungen wohlgemerkt – Kinder haften für ihre Eltern. Und die von Akademikerkindern besetzten Redaktionen dethematisieren diesen Skandal systematisch.

Oder ein anderes Beispiel für Sippenhaft: Jährlich bleibt in Deutschland ein Vermögen von 300 bis 400 Milliarden Euro „übrig“. Es gehört streng genommen niemanden mehr, weil die Eigentümer*innen dieser Vermögen verstorben sind. Von diesem Geld sehen Arbeiter*innenkinder nichts, denn es geht durch Erbschaft an die Kinder der Verstorbenen in der reicheren Hälfte der Bevölkerung. Kinder haften für ihre Eltern.

Aber DAS ist doch keine Sippenhaft! Keine „Sippenhaft“ in dem Sinne, dass Kinder aufgrund eines Vergehens ihrer Eltern verhaftet werden, das stimmt. Aber ich will ja auch nicht, dass Beatrix von Storch ins Gefängnis kommt wegen ihrer Vorfahren. Es geht hier um Sippenhaftung. Und während ich gegen den Klassismus in der Bildungs- und Vermögenspolitik und für „Eine Schule für alle“ und ein soziales „Erbe für alle“ kämpfe, kämpft Beatrix von Storch für die Wiederherstellung des Abstammungsrechts.

Ungleichheit als Prinzip des „Lebens“

Lassen wir Beatrix und Sven von Storch selber zu Wort kommen – durch ihr Faltblatt „Selbstverständlich Familie“ vom Oktober 2016. Der aristokratische Standesdünkel wird in dem familistischen Positionspapier kaum verdeckt.

Die Familie leide heute unter der „Abwertung der Blutsverwandtschaft“ und „dem Entwerten und Verwischen persönlicher Abstammungslinien (Genealogie)“. Weiter heißt es: „Intakte Familien haben langfristige Interessen, die über mehrere Generationen reichen […] Die Ehe soll möglichst nicht geschieden werden und die Blutsverwandtschaft kann es nicht. Die Familie besteht auch im Falle schwerster Konflikte fort; sogar über den Tod hinaus (Erbrecht).“ Und sie bestehe auch in der „Identität“ der Kinder fort: „Wir alle sind von sichtbaren und unsichtbaren Erbteilen geprägt. Sie sind die Grundlage unserer Identität – auch dann, wenn wir sie ignorieren oder uns von ihnen ‚emanzipieren‘.“

Beim letzten Punkt könnte man sogar zustimmen, wenn hier „Erbteile“ im Sinne von sozialem Habitus gemeint ist und nicht im Sinne einer biologistischen „Vererbung von Intelligenz“. Während jedoch Soziologen wie Pierre Bourdieu diese habituellen Unterschiede kritisch sehen, feiern die von Storchs sie: „Am gefährlichsten für die Familie ist die Forderung nach allgegenwärtiger Gleichheit. Denn das Prinzip des Lebens ist nicht die Gleichheit, sondern die Ungleichheit.“ „Lebensschutz“ hieße bei den aristokratischen Lobbyist*innen des Antifeminismus vor allem „Ungleichheitsschutz“.

Warum Beatrix von Storchs Verwandtschaft ständisch heiratet

Diese Einstellung erklärt, warum Beatrix von Storch und alle ihre Cousinen und Cousins ständisch heiraten. Ihr Cousin Paul Wladimir heiratete eine „Löwenstein-Wertheim-Rosenberg“. Ihre Cousine Eilika einen „Habsburger“. Die Verlobung ihrer Cousine Tatjana wurde vom Vater des Verlobten aufgelöst, weil die potentielle Thronfolge Frankreichs durch die Heirat mit einer Evangelischen gefährdet werde. Und ihr Cousin Karl Emich „von Leiningen“ hat durch eine standesgemäße Heirat und Konvertierung zur Russisch-Orthodoxen Kirche ein Anrecht auf den stillgelegten Thron des Zaren. Zumindest, wenn es nach dem russischen Oligarchen und Vorsitzenden der russischem Monarchistenpartei Anton Bakow geht.

Die Storchs schreiben in ihrem Faltblatt: „Die Gegner der Familien haben oft schlechte Erfahrungen in der Familie gemacht. Wer etwa eine schwere Kindheit hatte, neigt vielleicht verständlicherweise dazu, auf eine eigene Familiengründung zu verzichten.“

Storchs Nazi-Großtanten

Schauen wir uns die glücklichen Familien von Beatrix von Storchs Vorfahren an. Bekannt ist vielleicht, dass ihre Mutter die Tochter vom NS-Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk war. Sie heiratete 1970 Huno Herzog von Oldenburg. Ein Mann, der ebenfalls keine so schlechten Erfahrungen mit Familie gemacht hatte, dass er auf eigene Familiengründung verzichtet hätte.

Sein Vater und alle seine Onkel und Tanten waren frühzeitige Nazis oder zumindest mit solchen verheiratet. Beatrix von Storchs Großtante Sophie Charlotte heiratete Harald von Hedemann – ein Beteiligter am Novemberpogrom in Oldenburg und ein „Busenfreund“ Hitlers. Sie lud letzteren zum Tee nach Rastede ein. Ihre Großtante Ingeborg Alix ist kurz nach Sophie Charlotte im Oktober 1930 in die NSDAP eingetreten, sie war mit Himmler befreundet und galt als zweitwichtigste SS-Funktionärin.

Beatrix von Storchs Opa Nikolaus war SA-Standartenführer und hatte sechs Söhne. Auch Nikolaus ließ sich anscheinend das Thema Familie nicht durch seine schwere Kindheit verleiden: Seine Mutter hatte sich von seinem Vater trennen wollen. Der psychiatrisierte sie daraufhin und sie durfte ihre Kinder nicht mehr sehen. Eine Scheidung kam selbstverständlich nicht in Frage. Wie sagt die Nachfahrin Beatrix von Storch: „Eine Ehe sollte möglichst nicht geschieden werden.“

Erbprinz Waldeck und Himmlers Kampf gegen Homosexualität

Eine weitere Großtante von Beatrix von Storchs, Altburg, heiratete den Nazi-Prinzen Josias von Waldeck-Pyrmont. Der hatte es seinerzeit noch einfacher als eine promovierte Juristin heutzutage, oberster Richter zu werden. Hitler hob Waldeck Ende 1934 in den zweiten Senat des Volksgerichtshofes, nachdem er in Stadelheim die Erschießung von SA-Chef Röhm organisiert hatte. Es ist zu bezweifeln, dass sein Jura-Studium Anfang der 1920er in München ihn dafür qualifizierte, zumal er nebenher auch Landwirtschaft studierte und vielleicht aus diesem Studium bereits Heinrich Himmler kannte.

Beide waren 1923 in der NSDAP in München aktiv. 1930 war Waldeck bereits Himmlers Adjutant und neben Friedrich August zu Schaumberg-Lippe, dem Schwager von Ingeborg Alix von Oldenburg und Adjutant von Goebbels, der wichtigste frühe Vertreter des Adels im Nationalsozialismus. Die Heirat zwischen Waldeck und Altburg von Oldenburg war eine Überkreuzheirat, denn Altburgs Bruder Nikolaus von Oldenburg hatte zuvor die Schwester von Josias von Waldeck geehelicht. Entsprechend war Josias oft in Lensahn/Ostholstein, einem Familiensitz der Oldenburger, zu Besuch und brachte auch seinen Bekannten Heinrich Himmler mit:

Himmler kannten wir ja schon, seit Josias ihn, Jahre vor der Machtergreifung, als er noch ein kleiner unbedeutender Diplomlandwirt war, nach Lensahn mitbrachte. Zwar gehörte er zu den aktiven Nationalsozialisten, aber sein Name war einer von vielen. – Himmler war stets freundlich zu uns. Auch später als mächtiger Mann […]

Ingeborg Alix, zweitwichtigste SS-Funktionärin

Himmler wurde 1936 Pate von seinem Duz-Freund Waldeck. Diese Freundschaft war nicht ganz selbstlos, sondern verbunden mit der Habgier nach dem „Lebensraum“ im Osten. Denn von Beatrix von Storch wissen wir ja: „Leben bedeutet Ungleichheit“. Und wer verkörpert die Ungleichheit besser als der Hochadel bzw. der Nazi-Hochadel? Entsprechend richtete Großvater Nikolaus von Oldenburg 1941, noch vor dem Angriff auf die Sowjetunion, eine Bitte an Himmler:

Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich kurz wissen lassen würden, ob grundsätzlich die Möglichkeit des Ankaufs größerer Güter im Osten nach Kriegsende für mich gegeben sein wird.

Nikolaus von Oldenburg, Großvater von Beatrix von Storch, in einem Brief an Himmler

Es geht hier nicht um Sippenhaft oder Kontaktschuld. Sondern um das, was mit der Erschießung von Röhm durch Beatrix von Storchs Großonkel Prinz Waldeck zum Ausdruck kam: der familistische Antifeminismus, der mit der Ermordung des homosexuellen Röhm begann und in Himmlers „Reichszentrale zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung“ mündete. Neben den internen Machtkämpfen zwischen Reichswehr, SS und SA spielte auch die Biopolitik eine zunehmende Rolle, der „Vierte Kriegsschauplatz“ laut Himmler.

Gestapo-Chef Heinrich Himmler glaubte, dass schwule Männer die ‚deutsche Jugend‘ zur Homosexualität verführten und die öffentliche Verwaltung unterwanderten, indem sie das Leistungsprinzip durch ein ‚erotisches Prinzip‘ ersetzten. Beides führe unweigerlich zur ‚Zerstörung des Staates‘. Die SS-Zeitschrift ‚Das Schwarze Korps‘ beschrieb dies 1937 unter der Überschrift ‚Das sind Staatsfeinde‘ so: ‚Sie bilden einen Staat im Staate, eine geheime, den Interessen des Volkes zuwiderlaufende, also staatsfeindliche Organisation.‘

Der homosexuelle SA-Stabschef Ernst Röhm war in Himmlers Augen der Kronzeuge dieses Bedrohungsszenarios. Seine Ermordung im Sommer 1934 im Zuge des sogenannten ‚Röhm-Putsches‘ wurde nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit mit einer ‚aus einer bestimmten gemeinsamen Veranlagung heraus‘ entstandenen ‚Verschwörung‘ gerechtfertigt. Auch gegenüber Gestapo-Mitarbeitern erklärte Himmler, man sei nur ‚knapp der Gefahr entgangen, einen Staat von Urningen [Homosexuellen] zu bekommen‘.

Alexander Zinn (2021) zur Ermordung Röhms

Tradierter Antifeminismus

Die Schüsse, die bei der Exekution Röhms durch Storchs Großonkel Waldeck fielen, waren auch die Startschüsse für die Verfolgung von Homosexuellen. Ab 1934 nahm die Zahl der Inhaftierungen jährlich um mehrere Tausend Menschen zu. Mir geht es um die Narrative dieser Biopolitik – vom Rosa Winkel für Homosexuelle bis zum Kampf gegen Abtreibung. Das Narrativ der Homosexuellen-Verschwörung („Homolobby“) ist beim Ehepaar von Storch heute noch vorhanden. Wenn Beatrix von „rotversifft“ spricht, bedient sie die Seuchen-Metapher, die die Nazis mit „Kulturbolschewismus“ (heute „Kulturmarxismus“) und Homosexualität als „Seuche“ (Hitler) in Verbindung brachten.

Nach 1945 ging es weiter. Storchs Großtante Ingeborg Alix gründete 1949 in Oldenburg zusammen mit Adolf Friedrich Herzog von Mecklenburg-Schwerin (Wohnsitz Eutin) und Nazi-Pastor Eugen Bender (Ostholstein) das „Hilfswerk der Helfenden Hände“, mit dem NS-Funktionäre nach 1945 unterstützt wurden. Bender war nicht nur Mitglied der nazistischen „Deutschen Christen“ sondern kämpfte für die „Deutsche Kirche“. Die wollte das Alte Testament aus der Religion verbannen – weil es jüdisch sei. Die ostholsteinische Eutiner Landeskirche nahm viele belastete Nazi-Pastoren auf. Sie hatte sich als eine der wenigen Bezirke geweigert, dass „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ der EKD mitzutragen. Im Gegenteil, der Berliner Gründer der völkischen „Deutschen Christen“ wurde 1954 wohlwollend als Pastor der Landeskirche Eutin aufgenommen.

Auch Beatrix von Storch äußert sich immer wieder kritisch bis bis beleidigend gegen die EKD. Eutin war ein weiterer Familiensitz der Oldenburger, Beatrix und Sven von Storch hatten dort geheiratet. Aber gibt es hier wirklich eine durchgehende Linie?

Huno von Oldenburgs rechte Tagung in Petersburg

Hierzu müssen wir eine Tagung in Petersburg genauer betrachten. „Die christliche Welt im III. Jahrtausend“ war der Titel einer Tagung, zu der Beatrix Vater, Huno Herzog von Oldenburg, 2004 einlud. Er hatte eine Reihe von Antisemiten, Verschwörungsideologen und Reichsbürger im Schlepptau. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderem die einschlägig bekannten Rechten Eberhard und Immo Hamer, Gerhoch Reisegger, Reinhard Uhle-Wettler und der Reichsbürger Matthes Haug.

Himmler hatte 1937 die Bestimmung der SS als „Vierten Kriegsschauplatz“ folgendermaßen skizziert: „Innerdeutschland! Das ist die Basis, die wir gesund erhalten müssen, auf Biegen und Brechen gesund, weil sonst die drei anderen, die kämpfenden Teile Deutschlands, wieder den Dolchstoß bekämen.“ Während der Tagung in Petersburg (mit Beiträgen wie „Globalismus ist der Tod“) wurde mit Beiträgen wie von Huno von Oldenburg ebenfalls diese Gesundheitsmetapher bedient. In einer Zeit des allgemeinen moralischen Verfalls müssten sich alle geistig gesunden Kräfte vereinen, um die Welt vor dem endgültigen moralischen Verfall zu bewahren. Denn nicht nur würden die moralischen Prinzipien des Christentums fast allgemein abgelehnt werden, sondern es gäbe Versuche, das Christentum aus der Weltgeschichte zu löschen, so von Oldenburg. Im Anschluss initiierten er und seine Delegierten ein Abkommen zwischen Russland und Deutschland.

Es wird Huno von Oldenburg nicht entgangen sein, dass sein Tagungsteilnehmer Gerhoch Reisegger ein mit Neonazis zusammenarbeitender Antisemit ist. Die Fernsehsendung Panorama hatte damals einen Beitrag zu Reisegger gebracht. Und im Anschluss der Tagung fuhr er zur deutschen Neonazi-Gruppe „Kampfbund nationaler Sozialisten“ nach Moskau. Zudem wird er auch die Positionen des Reichsbürgers Matthes Haug gekannt haben. Haug hat später eng mit Heinrich XIII. Prinz Reuß zusammengearbeitet.

Und wieder „Prinz“ Reuß

Während Reuß in einem abgehörten Telefonat forderte, dass die Regierung einer nach dem anderen umgelegt werden müsse, sagte ein anderes Mitglied von Reuß „Patriotischer Union“ zu gleichgeschlechtlichen Paaren, dass „dieses Gesindel endlich vernichtet“ gehöre.

Heinrich XIII. Prinz Reuß ist ein Großcousin von Huno von Oldenburg. Seine Tochter Beatrix arbeitete bereits in den 1990er Jahren in den „Studenten für den Rechtsstaat“ zusammen mit Prinz Reuß Neffen Heinrich XX. Prinz Reuß daran, die nach 1945 enteigneten Großgrundbesitze des Adels zurück zu fordern.

Beatrix von Storch hat auch Kontakte zu Birgit Malsack-Winkemann aus ihrem Landesverband der AfD Berlin, denn sie zogen zusammen in den Bundestag ein. Malsack-Winkemann ist mit Reuß als mutmaßliches Mitglied der Patriotischen Union inhaftiert worden. Man kennt sich also.

Nicht die Kontakte an sich, sondern der Austausch ist relevant

Überraschend ist, dass Huno von Oldenburg in Deutschland bislang nicht mit politischen Positionierungen aufgefallen ist – obwohl er in Petersburg eine Tagung mit Antisemiten, Neuen Rechten und Reichsbürgern durchführte und dort mit verschwörungsmythologischen Thesen auffiel. Als Huno von Oldenburg wieder in Deutschland war, gründete er zusammen mit seiner Tochter Beatrix und ihrem späteren Ehemann Sven von Storch den Verein „Zivile Koalition“. Dessen Vermögen sollte bei der Auflösung an den Oldenburgisch-Russischen Förderverein gehen. Und selbst, als Beatrix von Storch schon lange für die AfD im Bundestag saß, sah man den betuchten Huno von Oldenburg noch im Publikum ihrer Vorträge und Podiumsdiskussionen sitzen.

Ich möchte noch einmal betonen, dass es hier weder um „Kontaktschuld“ noch um „Sippenhaft“ geht, wenn ich die engen Verbindungen der Vorfahren von Beatrix von Storch mit dem Gründer der „Reichszentrale zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung“, Heinrich Himmler hervorhebe. Ich möchte aufzeigen, dass es antifeministische Narrative zu Homosexualität und Abtreibung gibt, die sich in ihrer Familie fortsetzen. Diese Narrative sind sehr wahrscheinlich auch deshalb so konsistent in der Familie Oldenburg, weil man sich vor allem als Teil der Familientradition sieht. Sie werden ja beispielsweise auch von Beatrix von Storchs Cousin Paul von Oldenburg als europäischem Koordinator der Gesellschaften zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) vertreten.

In einer Rede in Madrid bediente er ebenfalls das Verschwörungsnarrativ einer „Homolobby“. Außerdem relativierte er die NS-Verbrechen seiner Vorfahren: Der von Himmler befürchtete „Staat der von Homosexuellen“ bzw. der „Gender-Staat“ …

„wird das totalitärste Regime aller Zeiten sein, schlimmer noch als die totalitären Regime, die wir im 20. Jahrhundert überwunden zu haben glaubten. […] Wir müssen diejenigen, die zögern, für uns gewinnen, indem wir ihnen die Reaktionen der pseudotoleranten, hasserfüllten, familienfeindlichen und lebensfeindlichen Lobbys zeigen. […] Lasst uns laufen, ja rennen zum Schlachtfeld! Es ist eine Schlacht zwischen Himmel und Hölle!

Paul Herzog von Oldenburg in einer Rede während des World Congress of Families in Madrid 2012; eigene Übersetzung aus dem Englischen

Tradierung des antifeministischen Familismus als Familientradition

Die Familie der Oldenburger ist extrem, aber sie ist nicht die einzige Adelsfamilie mit tradierten antifeministisch-familistischen Positionen. Auch dort, wo nicht eine so enge und frühzeitige Verbindung mit der NS-Bewegung stattfand, sondern vielleicht sogar eine Opposition bestand, tradieren sich in Adelsfamilien antifeministische Narrative und führen zu entsprechendem antifeministischem Engagement. Es würde komplett den Rahmen sprengen, die Ursachen hierfür zu erörtern, ich hoffe, ich konnte mit der Fallgeschichte der Familie Oldenburg ein Puzzleteil liefern.

Der Skandal um die gescheiterte Bundesverfassungsgerichts-Wahl zeigt, wie gefährlich die Vernetzung und Tradierung dieser antifeministischen Narrative im Adel ist. Ihre seit Jahrzehnten gepflegten Organisationen sind in der Lage, auch kurzfristig wirkmächtige Kampagnen zu starten – wie hier gegen Frauke Brosius-Gersdorf. Die von Unwahrheiten durchzogene Rede von Beatrix von Storch zeigt, wie gefährlich diese lang gepflegten Ansichten und „Traditionen“ für die Demokratie sind – und, dass diese Narrative nicht mit den Nazis untergegangen sind.

TEILEN

Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell recherchiert Kemper zu „Libertarismus“, totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten und schreibt an einem Buch zur Vorherrschaft des Adels im Antifeminismus („Die Aristokratie des Antifeminismus“). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen. Alle Beiträge

Auch interessant

AfD, Rechtsextremismus Friedrich Merz und andere Opas gegen links Demokratie, Rechtsextremismus Die Hufeisentheorie: Warum dieses politische Denkmodell mehr schadet als hilft Demokratie, Gemeinnützigkeit, Rechtsextremismus Die rechtsextreme Erzählung vom „Deep State“ AfD, Irankrieg, Rechtsextremismus, Trump AfD zum Israel-Iran-Konflikt: „Deutschland zuerst“ Feminismus, Rechtsextremismus #SkinnyTok: Warum Rechtsextreme wollen, dass Frauen dünn sind  Demokratie, Rechtsextremismus Die Verbindung von Petrys „Team Freiheit“ und Musks „American Party“ Europa, Rechtsextremismus Europa statt Trump AfD, Rechtsextremismus Bittere Niederlagen für Weidel AfD, CDU Jens Spahn – der konservative Wingman der AfD? Demokratie, Rechtsextremismus Warum wählen junge Menschen die AfD?