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Das natürliche Ambiente strahlt eine idyllische Atmosphäre aus. An einem Tisch steht Tino Chrupalla. Das Wasser im Hafen von Görlitz spiegelt das Sonnenlicht. Weiße Boote schaukeln auf den leichten Wellen in der sächsischen Stadt. Den Wahlkreis des AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden und -Bundessprechers scheint das ZDF für das Interview ausgewählt zu haben. Sommer, Sonne – Sommerinterview. Eine Praxis, die der AfD auch die hohen Prognosen beschert haben dürfte. In der Woche des 12. August lag die AfD laut Forsa-Institut mit 26 Prozent 2 Prozent vor der CDU.

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Sommerinterview als Erfolg

Umfragen hin, Umfragen her. Sie sind dennoch Stimmungsbarometer. Keine Stimmung, die nicht mit durch die Medien inklusive Social Media gemacht wird. Die Interviews führen die öffentlich-rechtlichen Sender seit Jahren in der Ferienzeit mit entscheidenden Bundespolitiker*innen. Sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang werden diese Gespräche in verschiedenen TV- und Social-Media-Formaten auf- und nachbereitet. Wer zu diesem Termin geladen wird, dürfte in der Politik mehr als angekommen sein. Die Einladung impliziert schon den Erfolg. Diese mediale Bühne führt zur politischen Normalisierung. Wer dort in die Kamera lächelt und in die Mikrofone spricht, kann doch kein Hetzer und Hasser sein? Recht freundlich beantwortet Tino Chrupalla so auch am 10. August bemüht die Fragen des ZDF-Moderators Wulf Schmiese. Keine Frage: die gegenwärtigen Gespräche haben sich im Vergleich mit den früheren Gesprächen verbessert. Die Fragen sind besser vorbereitet, das Nachfassen besser eingeplant.

Eine Frage von Interviewer Wulf Schmiese passte aber irgendwie zum Ambiente: Was würde Chrupalla machen, wenn er Bundeskanzler wäre? Eine ganz normale Frage an den Vorsitzenden einer Partei mit hohen Umfragewerten – die allerdings ausblendet, dass diese Partei sich jenseits des demokratischen Wertekontexts bewegt. Bewusst und gezielt. Ihre Funktionsträger*innen wissen längst, wann sie wo wie was sagen oder beantworten. Rechtsextreme denken, was Rechtsextreme nun mal denken; sie sagen und handeln, wie sie denken. Im Postnationalsozialismus der Bundesrepublik wissen AfD-Politiker*innen, wann moderate Ansätze und wann provokante Aussagen geboten sind.

Zwischen Floskeln und Fake News

Im Interview changiert Chrupalla zwischen Floskeln und Fake News. Der AfD-Chef erklärt, dass die Meinungsfreiheit „absolut gefährdet“ sei, seine Partei „ohne persönliche Anfeindungen und persönliche Angriffe“ handeln würde und er nicht davon ausgehe, dass in den Verbänden „jemand rechtsextrem“ sei. „Wenn es diese Personen gibt, und da hat unsere Partei sich immer dagegen gewehrt“, betont er. Ganz als sei es nicht so, dass der Verfassungsschutz Brandenburg gerade erst den AfD-Landesverband als „gesichert rechtsextremistisch“ einstufte. Vor Monaten erklärte unlängst das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass die gesamte Partei als „gesichert rechtsextremistisch“ einzustufen sei – was Expert*innen der Politik- und den Sozialwissenschaften schon lange postulieren. Der Rechtsstreit läuft.

Empörung nur über Protest

Bereits im ARD-Sommerinterview konnte die AfD-Bundesfraktionsvorsitzende und Bundessprecherin Alice Weidel auf die Frage von Moderator Markus Preiß „Warum ist Ihnen Ehrlichkeit in der Politik so wichtig“ ganz gelassen antworten. „Richtig wichtig“, legte jene Vorsitzende nahe, die wie der Vorsitzende Tino Chrupalla Fake News als Diskursstrategie forciert.

Doch nicht das Interview löste Kritik aus, sondern der Protest. Am 20. Juli hatte das Künstler*innenkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ den Interviewplatz am Reichstag vom gegenüberliegenden Spreeufer beschallt, sodass Fragen und Antworten nicht immer genau zu hören waren. Der Vorwurf gegenüber der AfD, die Demokratie zu delegitimieren, würde auf die Demonstrierenden zurückfallen; das wusste nicht bloß die AfD zu betonen. Der Protest würde der demokratischen Kultur schaden.

Hass disqualifiziert für Diskurs

In der „Gesellschaft des Spektakels“ bestimmen Motive und Sounds den Diskurs, sagte 1967 der französische Künstler Guy Debord. Heute beschleunigen die sozialen Medien dies zusätzlich. Das Framing nach dem Protest konnte die AfD auch dank Kommentaren aus den renommierten Medien für sich gewinnen.

Ganz geräuschlos verlief das ZDF-Interview mit Tino Chrupalla. Keine Störung am Hafenrand. Kaum Kritik an der Normalisierung. Störungen zur Selbstreflexion sind jedoch nicht bloß bei den Öffentlich-Rechtlichen geboten. Ein „Weiter so“ in den Medien führt zu einem Weiter für die AfD.

„Nicht vergessen“, mahnt der französische Schriftsteller Hervé Le Tellier an: „Faschismus funktioniert schneller als jede Demokratie“. Der historische Bezug des französischen Literaten mag überzogen sein. Die Mahnung weniger. „Weil die Demokratie ein Gespräch unter zivilisierten Menschen ist, endet die Toleranz beim nicht Tolerablen. Wer immer den Hass auf andere sät, verdient nicht die Gastfreundschaft einer Diskussion. Wer auch immer die Ungleichheit der Menschen will, hat keinen Anspruch auf die Gleichheit im gegenseitigen Austausch“, schreibt Le Tellier 2025 in „Der Name an der Wand“. Und er zitiert den Widerstandskämpfer der Résistance, Jean-Pierre Vernant: Mit „Menschenfressern“ könne nicht „über Kochrezepte diskutiert“ werden. Heißt in diesem Fall: Hohe Umfragewerte sollten nicht automatisch zu einer Einladung auf die mediale Bühne führen.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über Rechtsextremismus und rechte Milieus. Alle Beiträge

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