Demokratie Medien
Diese Petition ist ein lauter Warnruf: „Schule ohne Rassismus – Demokratie für alle Kinder!“ heißt der Aufruf, den die Chemnitzer Aktivistin Jennifer Follmann vor ein paar Tagen gestartet hat. Rassismus, Diskriminierung und demokratiefeindliche Einstellungen nähmen zu, Kinder und Jugendliche seien besonders betroffen, auch im schulischen Umfeld. „Auch durch Lehrkräfte“, heißt es weiter.
Ziele der Petition: verpflichtende Fortbildungen für Lehrer*innen, und unabhängige Beschwerde- und Beratungsstellen für Schüler*innen. Mit Präventionskonzepten soll verbindlich geregelt werden, wie Diskriminierung verhindert, erkannt und geahndet wird. „Machen Sie Demokratiebildung sowie Antidiskriminierung zu einem verpflichtenden Bestandteil des deutschen Schulsystems“, appelliert Follmann an die Kultusministerkonferenz. Eine Unterzeichnerin der Petition aus Grüna bei Chemnitz kommentiert: „Ich arbeite an einer Schule und spüre zunehmend die Ohnmacht der Pädagogen.“
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Das ist kein ostdeutsches Problem allein. Die „Frankfurter Rundschau“ berichtete eben erst am Beispiel der Wöhlerschule in Frankfurt am Main über die Arbeit des „Netzwerks für Demokratie und Courage“. In der „Nahaufnahme“ der Zeitung wird eine Schülerin zitiert, die in der Schule als Schwarze „oft gemobbt“ werde. Schon in der Grundschule hätten andere Kinder ihr rassistische Wörter nachgerufen oder ihr gesagt, „dass ich mich duschen soll, damit ich heller werde“. Ein Mitschüler berichtet, er habe mal miterlebt, wie einem Jungen gesagt wurde, er solle Hunde essen, weil er doch „Asiate“ sei.
Brandbrief aus dem Erzgebirge
Und wer sich widersetzt, hat es alles andere als einfach. Im Frühjahr 2025 berichtete der Berliner „Tagesspiegel“ über anonyme Schilderungen eines Lehrers und eines Schülers aus zwei sächsischen Schulen. Über rechte Umtriebe, über „extrem rechte Klassenzimmer“, über Rassismus, Antisemitismus, Homophobie. Ein Junge sei regelmäßig von seinen Mitschüler*innen als „Jude“ bezeichnet worden. Der aufrüttelnde Text trug die Überschrift „Brandbrief aus dem Erzgebirge: Hitler, Hakenkreuze und Rassismus alltäglich“. Der Text trug die Überschrift, er trägt sie nicht mehr.
Denn wenige Tage nach der Veröffentlichung nahm die Redaktion den zuvor im Netz häufig geteilten Beitrag offline, auf Bitten des anonym zitierten Lehrers. Trotz massiver Verfremdung seiner Person befürchtete er, erkannt zu werden. „Er hatte schlichtweg große Panik“, heißt es aus der Redaktion: „Deswegen blieb uns nichts anderes übrig. Sehr bitter, aber die Sicherheit von ihm geht natürlich vor.“
„Neonazis als Popkultur“
Vor ein paar Wochen ist die erste Sachsen-Ausgabe des „Katapult“-Magazins erschienen. Im Vorwort schreibt die Redakteurin Katrin Tominski über ihr Problem-Bundesland, es sei heute gefährlicher als in den Baseballschlägerjahren: „Der Rechtsextremismus zieht nicht mehr grölend durch die Nacht, er breitet sich aus, am hellichten Tag zwischen Eigenheim und Gartenparty – und effekthaschend in den (un-)sozialen Medien.“
In gleich vier Beiträgen berichtet „Katapult Sachsen“ darüber, wie schwierig das demokratische Miteinander im Freistaat geworden ist, über „Neonazis als Popkultur“ an Sachsens Schulen, Hakenkreuze, Mobbing und Hitlergrüße: „Viele Lehrkräfte sind eingeschüchtert und haben Angst, sich öffentlich zu äußern.“
Eine Analyse trägt den Titel: „Wenn die Brandmauer fällt“. Es geht darum, dass die AfD in vielen sächsischen Kommunen längst mitentscheide. „Besonders im Visier sind soziokulturelle Zentren, die sich für Demokratie, Vielfalt und Teilhabe einsetzen.“ In Wurzen in Nordsachsen stoppte der Stadtrat auf AfD-Initiative die Finanzierung des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK).
Angriffe, Sachbeschädigung, Drohungen
Wurzen ist eine von vielen Städten in Sachsen, in der die rechtsextreme Szene fest verankert ist. Dagegen halten Ehrenamtliche des Vereins NDK dort Vorträge an Schulen, etwa zu den Themen Diskriminierung, Rassismus und Demokratiebildung. Zu jenen Themen also, um die es auch in der eingangs erwähnten Petition von Jennifer Follmann geht.
Die Reaktionen vor Ort in Wurzen auf dieses Engagement fasst „Katapult“ so zusammen: „Der Verein wird immer wieder Ziel von Angriffen, Sachbeschädigungen, Drohungen per Mail, Anfeindungen auf Social Media, Bedrohungen einzelner Personen bis hin zu Sabotage von Fahrzeugen.“ Vereinsmanagerin Melanie Haller sagt dem Magazin, wiederholt werde das Narrativ verbreitet, das Netzwerk in Wurzen sei ein „linksextremes Jugendzentrum“.
Für eine engagierte Zivilgesellschaft sind solche Vorwürfe verletzend. Doch sie sind Folge einer Stimmungsmache im ganzen Land. Im Juli beschrieb Patrick Gensing auf „Belltower News“ – einem Portal der Amadeu-Antonio-Stiftung – wie das rechtsradikale Krawallmedium „Nius“ Stimmung gegen Nichtregierungsorganisationen schürt.
Wenn Cicero von Nius abschreibt
In seiner September-Ausgabe spann Cicero die Nius-Geschichte dann weiter. Das Magazin titelte: „Die NGO-Republik“. Fabulierte über den „Wildwuchs staatlich alimentierter Nichtregierungsorganisationen“ und behauptete deren „politische Einseitigkeit“. Die Autoren des Magazins, das den Rechtsruck der Republik beständig befördert, schrieben: „Inzwischen stellt sich die Frage, ob die selbsternannten Demokratieretter nicht selbst eine Gefahr für die Demokratie sind.“
Leser zeigten sich in Post an Cicero begeistert. „Hervorragende Dokumentation, die alle Befürchtungen über die linksgrün geprägten Vorfeldorganisationen bestätigt“, schrieb einer. Ein anderer: „Sehr verdienstvoll ist die kritische Beleuchtung der NGOs unter dem Gesichtspunkt der Vergeudung von Steuergeldern.“
Verfassungsschutz auf „Demokratie leben!“ angesetzt
Die Agitation von Nius und Cicero ist die eine Seite. Doch sie findet längst Gehör bei der Bundesregierung. Ein Beispiel: Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) schrieb, wie Netzpolitik.org Anfang September herausfand, vor ein paar Wochen an die Abgeordneten der Unionsfraktion des Bundestages, dass über das staatliche Programm Demokratie leben! geförderte NGOs einer „breit angelegten Verfassungsschutzprüfung“ unterzogen würden. An dem Programm werde sich „Grundlegendes ändern“.
Der Soziologie-Professor Matthias Quent kommentierte den Ruf Priens nach dem Geheimdienst so: „Es darf nicht sein, dass der Eindruck entsteht, dass die Regierung dem Druck von Rechtsextremen nachgibt, die seit Jahren Kampagnen gegen Projekte machen, die ja eben verhindern sollen, dass Menschen in den Rechtsextremismus abdriften.“ Nur leider ist das nicht bloß ein Eindruck, sondern traurige Realität geworden.
Es ist wie verhext: Wer sich für die Demokratie einsetzt, wer gegen Neonazis kämpft, wird drangsaliert. Es ist also gar nicht mehr so viel anders als in den USA, wo Präsident Donald Trump „die“ Antifa als „terroristische Organisation“ einstuft. Viktor Orbán folgte Donald Trump in Ungarn. Und Deutschland?
Eine Viertelmillion für Republik 21, Gegner der Brandmauer
In Deutschland schanzte in der vergangenen Woche der Haushaltsausschuss des Bundestages mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD dem Verein Republik 21, einer rechtskonservativen „Denkfabrik“, 250.000 Euro als „institutionelle Förderung“ zu, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete. Der Verein wurde unter anderem gegründet vom Mainzer Historiker Andreas Rödder, der sich seit Jahren für den Abriss der Brandmauer gegen die AfD einsetzt. Nachdem die CDU-Spitze ihn deshalb rügte, gab Rödder den Vorsitz der CDU-Grundwertekommission ab.
Eine andere Mitgründerin von Republik 21, die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), tickt ganz ähnlich. Sie bekam Ende 2024 die Frage gestellt: „Ist die AfD ein Partner für die CDU, um bei zentralen Themen eine politische Wende zu vollziehen?“ Ihre Antwort: „Brandmauern schließen Menschen aus – und ich will keine Menschen ausschließen. […] Die antifaschistische Pose bringt uns nicht weiter.“ Wo Kristina Schröder das sagte? Im Interview mit Ralf Schuler – von Nius. So viel zur „links-grünen Meinungsmacht“. Ironie off.