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Das „Team Freiheit“ von Frauke Petry hat sich, wie angekündigt, als sogenannte „Honoratiorenpartei“ gegründet – eine Anti-Parteien-Partei. Ich hatte bereits hier im Campact-Blog zwei Artikel zu dieser Partei bzw. zu dem mit ihr verbundenen Verein „Free Speech Aid“ von Joana Cotar (wie Frauke Petry und Marcus Pretzell ebenfalls Ex-AfD) verfasst.

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Die Honoratiorenpartei

Zur aktuellen Gründung der Partei nun ein wenig mehr Inhalte: Interessanterweise bezeichnet sich die Partei selbst als „Honoratiorenpartei“. Der Soziologe Max Weber definierte Honoratioren als Personen, die „abkömmlich“ genug sind, um ohne Geld und mit viel Zeit Machtpositionen einzunehmen und zugleich über Ansehen verfügen. Heute würde man in diesem Zusammenhang von „symbolischem Kapital“ sprechen.

Betrachten wir die großen Probleme unserer Zeit:

  • die wachsende Vermögensungleichheit, verbunden mit immer gefährlicher werdendem Überreichtum
  • die eskalierende Klimakatastrophe
  • die zunehmende Faschisierung in Russland, den USA und auch Europa
  • sowie die Gefahr, dass all dies in einen neuen Weltkrieg münden könnte.

In diesem Kontext erscheint diese Anti-Parteien-Partei nicht als Lösung, sondern als Teil des Problems. Meiner Meinung nach hat dieses „Team Freiheit“ pro-faschistische Auswirkungen.

Und ich hoffe, dass Marcus Pretzell mir nicht erneut mit einer Anzeige droht. Vor zwei Jahren warf ich ihm und Frauke Petry eine Mitverantwortung für das Erstarken des Höcke-Flügels in der AfD vor. Pretzell verwies damals auf einen erfolgreichen Prozess gegen die Journalistin Melanie Amann, die behauptet hatte, Petry sei ein Bündnis mit Höcke eingegangen. Dennoch bleibt für mich klar: Petry und Pretzell trugen dazu bei, dass Höcke in der Partei erstarken konnte.

2015 hatte der Parteivorstand unter Bernd Lucke Höcke alle Ämter entzogen. Nach Luckes Austritt und dem Weggang Tausender Mitglieder setzte Frauke Petry Höcke jedoch wieder als Landeschef der AfD Thüringen ins Amt. 2017 fehlte ihr dann die Mehrheit, um ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn durchzusetzen.

Definition von Meinungsfreiheit ist widersprüchlich

Die Meinungsfreiheit, die das „Team Freiheit“ propagiert, ist widersprüchlich – und hängt stark davon ab, wie man die Begriffe „Meinung“ und „Freiheit“ definiert. Punkt I des Programmes der Anti-Partei-Partei fordert: „Meinungsfreiheit! Jeder Mensch darf seine Meinung frei äußern – ohne Einschränkungen, ohne Angst.“ Doch Punkt II verlangt, Politiker haftbar zu machen, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig handeln. Diese Forderung nach Haftung könnte jedoch leicht zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen.

Politiker brauchen eine wirksame Aufsicht. Daher trennen wir Parteimitgliedschaft und Mandat. Die deutschen Wahlgesetze werden wir diesbezüglich ändern. Wir machen Politiker haftbar für von ihnen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden.

Punkt II aus dem Programm „Team Freiheit“

Meiner Meinung nach sollten Politiker*innen Ausführende sein, die verschiedene Expert*innengremien hinter sich haben. Diese Gremien entwickeln Positionen, Strategien und Handlungsmaßnahmen, die an die Parteienbasis rückgebunden sind. Diese Basis sollte die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen einbeziehen.

Hier gibt es ein sehr großes Problem. Denn die Interessen der Ärmeren werden sehr viel seltener berücksichtigt als die Interessen der Reichen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Universität Osnabrück im Auftrag der Bundesregierung: „Was Bürger_innen mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollen, hatte in den Jahren von 1998 bis 2013 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden.“ (S. 42)

Eigentlich müsste die Politik dieses Defizit beheben und die Interessen der Ärmeren stärken. Das „Team Freiheit“ will jedoch das Gegenteil: Abgehobene Menschen, die mit Ärmeren nicht viel zu tun haben, sollen ihre Privatinteressen durchsetzen und dabei so viel Vermögen besitzen, dass sie auch mögliche Strafen finanziell verkraften können.

Neoliberaler als die FPD

Die weiteren Programmpunkte des Teams Freiheit sind neoliberaler als die von der FDP: Die Staatsquote soll auf 25 Prozent sinken, NGOs sollen keine öffentlichen Gelder mehr erhalten, staatliche Aufgaben sollen auf innere und äußere Sicherheit reduziert werden, der Sozialstaat soll auf ein Minimum geschrumpft und die Rente bis auf die Grundsicherung privatisiert werden. Geflüchtete sollen nur noch Sachleistungen erhalten, und „Technologieoffenheit“ – insbesondere für Atomkraft – soll den Klimaschutz ersetzen. Zudem sollen Kryptowährungen dem Euro gleichgestellt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr finanziert und eine sogenannte „digitale Freiheit“ „geschützt“ werden.

Gerade die letzten drei Punkte kommen dem Bruder von Joana Cotar gelegen: Alexander Tamas hat vor wenigen Monaten sein 15 Milliarden schweres Unternehmen „Vy Capital“ zu einem Familienunternehmen gemacht. Tamas war Geschäftsführer von VK, dem „russischen Facebook“. Vy Capital hat gemeinsam mit Elon Musk X gekauft und ist an der KI Grok beteiligt. Zudem gehörte Vy Capital zu den Investoren von Celebras, die neue Supercomputer für KI-Trainings auf den Markt bringen.

Tamas sitzt zusammen mit Pawel Durov im Beirat der Organisation für Digitalwirtschaft von Dubai. Durov hat VK gegründet und später Telegram. Telegram hat seit ein paar Monaten auch Grok installiert. Noch wichtiger ist, dass Telegram über eine Währung namens TonCoin verfügt, von der sich versprochen wird, dass die eine Milliarde Telegram-Nutzer*innen diese demnächst nutzen werden. Und hinter TonCoin steckt wiederum unter anderem Alexander Tamas als Investor.

Faschismus durch KI

Während Social-Media-Plattformen noch vor wenigen Jahren als Gefahr für die Demokratie galten, wird nun zusätzlich vor einem neuen Faschismus durch Künstliche Intelligenz (KI) gewarnt. Rainer Mühlhoff beschreibt in seinem Buch „Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus“ sehr deutlich, dass die Nicht-Regulierung der KIs zum Faschismus führen würde.

Doch nicht allein KI ist ein Risiko. Am überzeugendsten ist für mich die These, dass Sozialabbau rechtsextreme Einstellungen stärkt und der Überreichtum zur Etablierung faschistischer Parteien beiträgt. Auch die „fossile Männlichkeit“ könnte in einem „Klimafaschismus“ münden.

„Team Freiheit“ treibt Faschisierung voran

Das Programm des Teams Freiheit scheint eine Faschisierung beschleunigen zu wollen: die Zerstörung des Sozialstaats, das Verbot staatlicher finanzieller Unterstützung antifaschistischer und demokratiefördernder Organisationen, die Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Verhinderung demokratischer Regulierung von Social Media und KI sowie die restlose Abschaffung des Klimaschutzes.

Hinzu kommen Gespräche mit fragwürdigen Personen wie Alexander von Bismarck, der kürzlich ein Grußwort zur Etablierung des eurasischen Faschistenverbandes namens „ISG Paladins“ hielt. Es scheint wenig Berührungsängste mit solchen Menschen zu geben. Thomas Kemmerich, neuer Vorsitzender von „Team Freiheit“, ließ sich einst von Björn Höcke zum Ministerpräsidenten Thüringens wählen.

Wer also einen modernen Faschismus möglichst schnell etablieren will, sollte bei den kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht die AfD, sondern das „Team Freiheit“ wählen – damit geht es meiner Meinung nach schneller.

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell recherchiert Kemper zu „Libertarismus“, totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten und schreibt an einem Buch zur Vorherrschaft des Adels im Antifeminismus („Die Aristokratie des Antifeminismus“). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen. Alle Beiträge

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