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Oh, du friedliche Weihnachtszeit

Gerade um Weihnachten zeigen sich mehr Männer gewalttätig gegenüber ihrer Partner*innen und Familien. Warum das so ist, was sich institutionell ändern muss und was jede*r einzelne tun kann, liest Du hier.

Das Foto zeigt eine Frau in einem weihnachtlich geschmückten Raum vor einem Weihnachtsbaum. Sie trägt einen Mund-Nase-Schutz und schaut aus dem Fenster.
Gerade um Weihnachten nehmen die Fälle von häuslicher Gewalt gegen Partner*innen zu - die meisten Frauen schweigen zu ihren Erfahrungen. Foto: IMAGO

Trigger-Warnung: In diesem Text geht es um Partnerschaftsgewalt gegen Frauen.

Socken voll mit Süßigkeiten, die Kerzen brennen heimelig: Ich liebe die Adventszeit und ihre Gemütlichkeit. Meine Mutter schickt meinen Geschwistern und mir immer noch Adventskalender und ich freue mich darauf, Weihnachten mit meiner Familie zu verbringen. Dann mal richtig zu Hause entspannen – lesen, quatschen und endloses Teetrinken. Am liebsten möchte ich auch genau so einen Text schreiben: einen Wohlfühl-Artikel. Doch was für mich eine der schönsten Zeiten im Jahr ist, ist für andere Frauen eine der gefährlichsten.

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“:
08000 116 016, hilfetelefon.de

Ratgeber: Wie man nicht zum Täter wird

Ein falsches Geschenk. Ein Schlag. Ungewohnter Alkoholgenuss. Ein Tritt. Ein Streit eskaliert. Er würgt sie. Für Frauen und Kinder, die häusliche Gewalt erleben, sind Feiertage kein Fest der Freude und Liebe, sondern besonders gefährlich. Gerade zu Weihnachten – einer Zeit, die mit emotionalen Erwartungen überfrachtet ist – steigt die Rate von Männern, die gegenüber ihren Partner*innen und Familien gewalttätig werden, stark an. Auch dieses Jahr gilt: Die Frage ist nicht, ob Gewalt in unserem Umfeld passiert, sondern ob wir sie bemerken.

Täter haben Strategien

Viele Frauen erzählen von einem ähnlichen Beginn der Beziehung. Der Mann überraschte mit lieben Geschenken, war extrem aufmerksam und zugewandt. Er lobte sie über den Klee und war völlig begeistert von ihr, trug seine Partnerin auf Händen. Viele beschreiben die erste Zeit als fast surreal, wie im siebten Himmel. Schon nach wenigen Monaten zogen sie zusammen. Doch dann setzten plötzlich einzelne Verunsicherungen ein. Nach einem Besuch bei Freunden wurde er ausfällig, sagte ihr, es wäre peinlich, wenn sie den Mund aufmachen würde. Wenn sie andere Kollegen oder Freunde traf, wurde er eifersüchtig. Er wollte immer wissen, was sie tat und wo sie ist. Bestimmte Freundinnen von ihr mochte er nicht und wollte, dass sie den Kontakt abbricht. 

Sie fügt sich, will keinen Streit. Außerdem ist doch mit ihrem Partner alles am Schönsten. Meistens. Sie wird zunehmend von ihrem sozialen Umfeld isoliert. Durch seine übermäßige Bestätigung zu Beginn ist seine Zuwendung zu einer wichtigen Quelle von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl geworden. Die Angriffe schmerzen dadurch umso mehr. Sie denkt, dass sie Fehler macht, hinterfragt die eigene Wahrnehmung und Urteile. Ihr Selbstwertgefühl ist am Boden. Und sie fragt sich: Wie konnte sie überhaupt in so eine Situation kommen? Sie gibt sich selbst die Schuld.

In einem Teil der Fälle bleibt es bei dieser psychischen Gewalt: Krasse Schwankungen zwischen Verehrung und Abwertung, die eine abhängige Beziehung begründen. In anderen Fällen folgt irgendwann auf die psychische Gewalt körperliche. Ein Streit, sie widerspricht. Der erste Schlag. Danach verspricht er, so etwas nie wieder zu tun. Doch zunehmend eskalieren die Angriffe. In ihrer Familie, die doch der sicherste Ort sein soll, schwebt die Frau in Lebensgefahr. Doch sie ist sozial isoliert, möglicherweise durch Kinder gebunden: Er hat bereits ein System von Macht und Kontrolle etabliert.

Während Gerichte bei Gewalt gegen Frauen* in Partnerschaften häufig von Taten im Affekt ausgehen, oder Frauen* sogar eine Mitschuld geben, ist inzwischen klar: Täter, die ihre Partner*innen, Kinder, Schwestern oder Mütter angreifen, haben Strategien. Erst nachdem sie ein Netz psychischer, finanzieller und sozialer Abhängigkeiten geschaffen haben, werden sie gewalttätig. Statistisch gesehen ist solche Gewalt des Partners oder Ex-Partners die größte Gefahr für Frauen in Deutschland.

Jede vierte Frau ist in ihrem Leben von häuslicher Gewalt betroffen

Zu viele Frauen in unserer Gesellschaft erleben diese Gewalt: Jede vierte Frau in Deutschland ist in ihrem Leben mindestens ein Mal von Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Partner betroffen. Frauen, die mit einer Behinderung leben, trifft körperliche Gewalt fast doppelt so oft.

Mindestens jede vierte Frau – das heißt statistisch auch jede vierte Frau in meinem Umfeld. Wissen tue ich nur bei wenigen von solchen Erlebnissen. Jede vierte Frau – das heißt auch, dass ich einige Täter in meinem Umfeld haben muss. Wissen tue ich es von keinem. Das liegt auch an dem Schweigen in der Gesellschaft. Frauen denken zu oft, es wäre ihre Schuld, dass sie Betroffene von Gewalt geworden sind. Viele schämen sich, in so eine entwürdigende Situation geraten zu sein. Oft hat Partnerschaftsgewalt das Stigma eines „Unterschichtsproblems“ oder mangelnder Emanzipation der Frau. Doch laut der letzten Erhebung in Deutschland im Jahr 2014 findet Gewalt gegen Frauen in allen Schichten statt: Täter und Betroffene können gut oder schlecht gebildet, wohlhabend oder arm sein.

Jeder vierte Manager und Arbeitgeber in Deutschland findet es laut einer Umfrage aus dem Jahr 2021 unter gewissen Umständen okay, Gewalt gegen die Partnerin einzusetzen. Als legitime Gründe für Gewalt wurden unzureichende Hausarbeit, Verweigerung von Sex, Flirts mit anderen oder Ungehorsam gesehen. In allen unseren Freundeskreisen passiert diese Gewalt. Auffallen tut sie meist erst, wenn die Verletzungen so brutal oder lebensbedrohlich werden, dass sie sich nicht mehr verstecken lassen. Gewalt in Partnerschaften ist nicht die Schuld der Frau. Vielmehr ist es ein gesellschaftliches Problem, dass Gewalt gegen Frauen viel zu oft als Normalität verharmlost und akzeptiert wird.

Weihnachten ist Familienzeit – auch nach der Trennung 

Der Weg aus einer gewalttätigen Beziehung ist lang und schwierig. Meistens dauert es viele Jahre, bis die betroffene Frau es schafft, sich zu lösen und einen endgültigen Schritt aus der Beziehung zu gehen. Die Gründe sind vielfältig: Die Frauen geben sich eine Mitschuld, der Partner droht mit Gewalt oder Suizid, die Frauen haben Angst vor der Reaktion des Umfelds, oder der Partner droht der Frau, ihr die Kinder wegzunehmen. Das ist keine leere Drohung. Denn hier werden deutsche Jugendämter und Familiengerichte (ungewollt) zu Komplizen gewalttätiger Väter: Es herrscht die Auffassung vor, dass die Kinder auch ihren gewalttätigen Vater sehen (wollen) müssen – und dass dieser ein Recht auf Umgang hat. Gewaltverfahren gegen die Mutter werden grundsätzlich getrennt von Sorgerechtsverfahren verhandelt. Gewalt gegen die Mutter miterlebt zu haben, gilt dabei nicht als Gewalt gegen die Kinder – schließlich war ja nur die Mutter körperlich betroffen. Er könne ja dennoch ein guter Vater sein. Wurden Verfahren wegen früheren Anzeigen der Mutter gegen den Vater eingestellt oder gegen sie geurteilt, dann gelten diese im Sorgerechtsverfahren schnell als Argument für die Bindungsintoleranz der Mutter. Hat sie während der Trennung keinen ständigen Kontakt zwischen Vater und Kindern zugelassen, dann kann ihr auch das negativ ausgelegt werden.

Wie wichtig es ist, dass Betroffene nicht nur für ihre Erfahrungen mit Gewalt und Diskriminierung den notwendigen Raum bekommen, sondern auch für Lösungsansätze, schreibt Sibel Schick hier:

Wollen Frauen das Sorgerecht für ihre Kinder bei einer Trennung nicht gefährden, dann dürfen sie den Kontakt zum Vater nicht einschränken – und das bedeutet auch für die Frau fortwährende Begegnungen mit dem Täter. Kontakt in einer Zeit, in der das Gewaltpotenzial besonders hoch ist: Die Frau hat sich mit der Trennung dem Besitzanspruch des Täters widersetzt. Mütter berichten von anhaltender Gewalt, Vergewaltigungen, Stalking und Kontrollversuchen bei Kinderübergaben. Nach der Trennung ist auch die Gefahr, Opfer eines Femizids zu werden, besonders hoch. Bei geteiltem Sorgerecht müssen zudem alle Entscheidungen von den Elternteilen gemeinsam getroffen werden – eine weitere Möglichkeit, die Mutter unter Druck zu setzen und zu kontrollieren. 

Hier zeigt sich auch ein nach wie vor falsches Verständnis von Gewalt gegen Frauen: Häufig wird sie als Tat aus dem Affekt gesehen. Tatsächlich aber zeigt sich, dass die Täter systematisch vorgehen und versuchen, ein System der Dominanz-, Kontroll- und Machtausübung über die Frau aufrechtzuerhalten.

Gewalt von Männern muss zum Männerthema werden

Das Problem ist groß und für viele Frauen* in Deutschland gerade jetzt akut. Doch politischer Einsatz? Fehlanzeige. Seit 2014 wollten sich unionsgeführte Regierungen und SPD-Familienministerinnen noch nicht einmal um Geld für eine neue statistische Untersuchung des Hell- und Dunkelfelds kümmern. Lisa Paus, die aktuelle Bundesfamilienministerin, lässt nun gemeinsam mit der Innenministerin Nancy Faeser fast zehn Jahre nach der letzten Studie eine neue Erhebung zur Partnerschaftsgewalt gegen Frauen konzipieren

Doch auch die Anläufe der „Fortschrittsregierung“ lassen einiges zu wünschen übrig. Denn Deutschland hat die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen zwar ratifiziert, aber bisher kaum umgesetzt. Im Juli 2022 rügte der Europarat Deutschland dafür, dass es fünf Jahre nach Ratifizierung weder einen nationalen Aktionsplan gibt, noch eine Koordinierungsstelle für die Umsetzung der Konvention. Es mangelt an Notunterkünften für betroffene Frauen, Sorgerechtsverfahren berücksichtigen Gewalterfahrungen nicht ausreichend und Tötungsdelikte werden nicht richtig untersucht. Auf drei Seiten werden nur in der Zusammenfassung des Berichts die Mängel beim Schutz von Frauen aufgelistet. Das alles zeigt: Fortschritt und Koalition hin oder her – häusliche Gewalt gilt noch immer als Kavaliersdelikt im Patriarchat.

Vieles muss sich langfristig ändern. Täterstrategien müssen besser analysiert und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Im Sorgerecht müssen der Schutz und die körperliche Unversehrtheit von Frauen und Kindern endlich Priorität vor dem Recht des Vaters auf Kontakt haben. Doch auch wir können über die Feiertage einiges tun: Sich umsehen im Weihnachtsgottesdienst oder beim großen Familienessen. Geht es allen gut? Gibt es Anzeichen für Einschüchterung und gewalttätiges Verhalten? Beobachtet ihr Gewalt auf der Straße oder im Haus: Sprecht die Frau an und bietet ihr Hilfe an. Wir können Räume schaffen, in denen sich Menschen anvertrauen können und Kontakt zu Frauen* halten, die über die Feiertage besonders isoliert sind.

Ich fühle mich schon gar nicht mehr so weihnachtlich. Aber meine Mutter sammelt zum Nikolaus immer unsere Wunschzettel ein. Am liebsten würde ich draufschreiben, dass ich keine Angst mehr davor haben will, dass meine Schwester, ich oder eine meiner Freundinnen mal in einer gewalttätigen Beziehung landet. Aber da bitte ich schon wieder die Falsche – eine Frau. Dieses Jahr ist es Zeit, mir etwas von den Männern in meinem Umfeld zu wünschen: Dass sie mit ihren Freunden über Gewalt gegen Frauen* sprechen und die Männergewalt zu einem Männerthema machen. Von meiner Mutter wünsche ich mir dann wohl doch eher den dicken Wintermantel.

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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