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Kein Spektakel im Spektakel

In Halle führt ein Theater-Kollektiv ein Stück über den "König von Deutschland" auf. Der bekannte Reichsbewegte Peter Fitzek kam persönlich zur Vorpremiere. Hoffte ein BILD-Reporter auf einen Skandal?

Peter Fitzek, "König von Neudeutschland", am 14. Januar 2016 vor dem ehemaligen Krankenhaus in Wittenberg.
Peter Fitzek, "König von Neudeutschland", am 14. Januar 2016 vor dem ehemaligen Krankenhaus in Wittenberg. Foto: IMAGO / Robert Michael

Ein Theater ist ein Theater. Das Spiel auf der Bühne kann aber neue Räume schaffen. Für Performance, Provokation und Prävention. Nichts muss sein, nichts muss sich ausschließen. In Halle an der Saale konnten die Gäste der Premiere von „König von Deutschland“ auf eine „interaktiven Reise ins Reichsbürger-Land“ gehen. Von den vermeintlichen Ausrufen von Reich und König über Verehrung und Abkehr bis zu Steuererleichterungsangeboten und Staatszwangsauflösung. Ohne „Visum“ ist die Eintrittskarte in die Volksbühne am Kaulenberg aber nichts wert. Ein Gast musste diese „Staatsregel“ erleben: Peter Fitzek, der selbsternannte „oberste Souverän“ des realen Fantasiestaates.

Im Herbst 2012 rief der Reichsbürger Peter Fitzek in Lutherstadt Wittenberg das „Königreich Deutschland“ und sich selbst zu dessen König aus. Mehrere Hundert folgten ihm. 2017 wurde sein Fantasiestaat „geräumt“. Seitdem laufen Rechtsstreite gegen Fitzek in unterschiedlichen Verfahren.

Zur Vorpremiere am 23. März war „Peter I“ mit seiner Frau an der Volksbühne erschienen. Die ersten Szenen, nämlich den „Einlass ins Königreich nur mit bezahlter Karte und erhaltenem Visum“ als auch die Reichsgründungs- und Krönungszeremonie, hatten die Performer*innen bereits gespielt. Zur Verlesung der vermeintlichen Verfassung und der eigenen Nationalhymne konnte Fitzek im Innenhof des Theaters dazu kommen – zu spät, um ein Visum zu erhalten.

Schauspiel im Schauspiel

Dass noch Gäste kommen würden, hatte während der laufenden Aufführung ein Reporter der BILD das Theater-Kollektiv wissen lassen. Dem Reporter schien es wichtig zu sein, dass ein sich verspätender Gast am Schauspiel über das 2012 in der Lutherstadt Wittenberg gegründete „Königreich Deutschland“ teilnehmen könnte. Ein Schauspiel im Schauspiel schien geplant zu sein. Sollte eine gewünschte Schlagzeile generiert werden? Eine Inszenierung gegen die Inszenierung? Im Innenhof stimmte Fitzek leise in die Nationalhymne mit ein. Den Text kannte er. Die Passage „Über Länder, Grenzen, Zonen, hallt ein Ruf, ein Wille nur,
Überall, wo Deutsche wohnen, zu den Sternen dringt der Schwur: Niemals werden wir uns beugen, nie Gewalt für Recht anseh´n.
Deutschland, Deutschland über alles, und das Reich wird neu ersteh´n!“ stammt aus dem „Königreich“.

Keine Überraschung, denn das Stück entwickelten Regisseur Fabian Rosonsky, Dramaturgin Lene Gaiser und Bühnen- und Kostümbildnerin Sarah Methner mit den drei Perfomer*innen ausschließlich mit Originalmaterial. Selbstdarstellungen, Projektbeschreibungen sowie Videobotschaften aus dem „Königreich“. Auch eine Stellungnahme von Fitzek an einen ehemaligen Unterstützer, der sein Geld wieder haben will, wird aufgegriffen. Sie spiegelt nicht nur die radikale Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates wider, sondern auch die immanenten Codes der antisemitischen Ressentiments.

Fitzek, der selbsternannte König

Vor Jahren stuften Verfassungsschutzstrukturen Fitzek als Reichsbewegten ein. In dieser heterogenen Bewegung von rund 23.000 Reichsbewegten dürfte „Peter I“ eine der bekanntesten Person sein. 2017 löste die Polizei das „Königreich“ in Wittenberg auf. Das Reich besteht allerdings an einem anderen Ort in der Lutherstadt und mit einer weiteren Dependance in der Bundesrepublik fort.

Die schon stattgefunden Angriffe aus der Reichsbewegten-Bewegung berücksichtige das Theater-Kollektiv. Diskutierte einen Umgang, lotete Sicherheitsmaßnahmen und Einschreitungsgrenzen aus. Bereits am 19. November 2016 hatte im fränkischen Georgensmünd ein Reichbewegter einen Polizeibeamten erschossen. Am 7. Dezember 2022 flog ein Netzwerk von Reichsbewegten und Querdenkenden auf, die an einem „Tag X“ einen Sturm auf den Bundestag und Anschlägen im Bundesgebiet geplant hatten. Im baden-württembergischen Reutlingen schoss ein Verdächtiger des Netzwerks am 23. März auf Polizeikräfte.

BILD-Reporter hatte wohl das Ticket gekauft

Im Team legten sie fest, „eine Diskussionsoffenheit anzubieten, so lange das Stück ungestört aufgeführt werden kann“. „Wir haben aber nicht erwartet, dass ein Reporter der BILD-Zeitung Herrn Fitzek gezielt einladen und persönlich ins Theater führen würde“, erklärt das Kollektiv. Schon während der ersten Szene machte der Reporter trotz eindeutiger Hinweise auf das bestehende Foto- und Videoverbot zunächst mehrfach Aufnahmen und verließ anschließend den Saal. Den Grund beobachtete jemand aus dem Kollektiv: Draußen vor dem Theater empfing er Fitzek und dessen Begleitung direkt an dessen Autotür; man begrüßte sich freundlich.

Den Innenhof konnte Fitzek so betreten. Auf Verlangen zeigte er eine Eintrittskarte vor. Im Nachgang konnte das Theater-Team feststellen, dass nach „jetzigen Erkenntnisstand offenbar von dem Reporter der Bild-Zeitung“ die Karten für Fitzek und Begleitung gestellt wurden. Ihm fehlte allerdings ein „Visum“, das er, der Grundidee des Stückes folgend, gebraucht hätte, um teilnehmen zu können. Da ein späterer Einlass aus dramaturgischen Gründen nicht mehr möglich ist, wurde er gebeten, die Veranstaltung zu verlassen. Verwundert, jedoch ohne das Stück zu stören, verließen Fitzek und Frau das Theater. Das vielleicht erhoffte Spektakel einer Störung blieb aus.

„Wir sind erschüttert, über dieses Vorgehen des BILD-Reporters“, erklärte das Kollektiv und empfindet dies auch „als Eingriff in die Kunstfreiheit, da die Anwesenheit Herrn Fitzeks geeignet gewesen wäre, eine neutrale Betrachtung des Theaterabends für alle Zuschauer*innen zu verhindern.“


Transparenzhinweis: Andreas Speit hat das Kollektiv bei der Erarbeitung des Stückes begleitet.

Die nächsten Aufführungstermine von „König von Deutschland“ des Theaterensembles Polyformers sind am 14. April 2023 und 15. April 2023, jeweils um 19.30 Uhr.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Alle Beiträge

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