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Ein großes Geschenk zur Wahl – für die AfD

Sehenden Auges ins Messer der AfD: Nach zwei gescheiterten Wahlgängen erlaubten CDU und SPD der rechtsextremen AfD gestern Abend, den dritten Wahlgang für eine große Propaganda-Show zu nutzen. Lies hier unsere Analyse.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und seine Vorgängerin Franziska Giffey SPD kommen zur Ernennungszeremonie des neuen Senats im Roten Rathaus in Berlin am 27. April 2023.
Auf dem Weg zur Ernennungszeremonie: der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und seine Vorgängerin Franziska Giffey (SPD). Foto: IMAGO / Emmanuele Contini

Was ist passiert?

Zwei Wahlgänge zum Regierenden Bürgermeister lagen bereits hinter den Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus. Bei beiden war Kai Wegner (CDU) durchgefallen, obwohl CDU und SPD, die in Zukunft Berlin in einer schwarz-roten Koalition regieren wollen, über eine Mehrheit von sechs Stimmen verfügen. 

Abweichler*innen im ersten Wahlgang waren zu erwarten gewesen: Nur eine knappe Mehrheit der Berliner SPD-Mitglieder hatte für diese Koalition gestimmt und auch einige Abgeordnete hatten vorher klargemacht, dass sie nicht viel davon hielten. Auch in der CDU-Fraktion mag es die eine oder den anderen gegeben haben, die oder der Wegner im ersten Wahlgang einen Denkzettel verpassen wollte. Als Wegner in der zweiten Runde erneut die Mehrheit verfehlte, konnte von einem reinen Denkzettel jedoch nicht mehr die Rede sein. In dieser kritischen Situation beantragten Grüne und Linke eine Vertagung der dritten Abstimmung.

Ein Albtraum

Die AfD will mit ihrer Stiftung Millionen Euro Steuergelder abgreifen, um die rechte Bewegung zu stärken. Wir fordern: Kein Geld für eine Stiftung, die die Demokratie untergräbt.

Den Antrag lehnten die Fraktionen von Schwarz-Rot ab – wohl wissend, dass sie der AfD damit eine Traum-Chance bescherten. Zum Albtraum entwickelte sich der Rest des Abends: Wegner wurde mit exakt 86 Stimmen gewählt, also genau mit der Zahl an Stimmen, über die CDU und SPD verfügen. Noch bevor das Ergebnis bekannt war, verteilte die AfD-Fraktion jedoch Handzettel auf der Tribüne und eine Pressemitteilung, in der sie verkündete, für Wegner gestimmt und ihm damit zum Erfolg verholfen zu haben. Der CDU-Politiker nahm die Wahl trotzdem an.

Wegners geheime Mehrheit

Die Wahl des Regierenden Bürgermeisters ist geheim – niemand wird je wissen, ob und wenn ja, wie viele AfD-Abgeordnete den Regierungschef mitgewählt haben. Unwahrscheinlich ist, dass er die im dritten Wahlgang nötige relative Mehrheit ohne Stimmen der AfD verpasst hätte. Dann hätten in dieser Runde weniger Abgeordnete von CDU und SPD für ihn gestimmt als in der zweiten.

Riss in der Brandmauer 

Ganz klar ist jedoch, dass die Brandmauer zwischen den demokratischen Parteien und der rechtsextremen AfD einen weiteren Riss bekommen hat. Zwar unterscheidet sich die Situation grundlegend von der in Thüringen 2020, als Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Kemmerich hatte nur dank der AfD eine Mehrheit – für Wegner haben vermutlich auch Abgeordnete der AfD gestimmt, eine relative Mehrheit hatte er aber höchstwahrscheinlich auch ohne diese. Aber allein die Möglichkeit, dass Wegner am Ende doch keine eigene Mehrheit gehabt haben könnte, dass die AfD das Zünglein an der Waage gewesen sein könnte – allein diese Möglichkeit ist brandgefährlich. 

2024: Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen

Alle Blog-Beiträge zur AfD und zu Rechtsextremismus liest Du hier:

Im kommenden Jahr stehen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen Landtagswahlen an. Insbesondere in Thüringen droht die Gefahr, dass sich die dortige CDU angesichts komplizierter Mehrheitsverhältnisse auf eine Zusammenarbeit mit der AfD einlässt – sei es eine Koalition, sei es eine ausgesprochene oder eine stille Tolerierung. Mit dem gestrigen Hinwegsehen über die möglichen Stimmen der AfD ist das Tabu, dass ein solches Zusammengehen bislang verhindert hat (siehe Kemmerichs Rücktritt) in fataler Weise aufgeweicht worden.

Unstrategisch und unklug

Verantwortung tragen dafür Kai Wegner und Franziska Giffey. Sie haben zugelassen, dass die AfD auf großer Bühne Zweifel an der Wahl säen konnte. Unstrategisch und unklug haben sie der AfD einen unnötigen kommunikativen Erfolg beschert. Ganz nebenbei haben sie die eigene Regierung gleich zu Beginn massiv geschwächt. Sie haben sich entschieden, die möglichen rechtsextremen Stimmen für Wegner wegzureden – und damit einer weiteren Normalisierung der AfD und einer möglichen Annäherung seitens der etablierten Parteien den Weg bereitet. Auch haben sie der AfD erlaubt, die konkrete Abstimmung und das parlamentarische System insgesamt verächtlich zu machen.

Die Taktik der AfD

Ebenso offensichtlich wie das Versagen von Giffey und Wegner ist die Taktik der AfD, die aus drei Elementen besteht: Aufmerksamkeit erheischen, Annäherung an die Etablierten vorantreiben, demokratische Prozesse lächerlich machen und dadurch schwächen. Bei der Bürgermeisterwahl in Berlin ist diese Taktik voll aufgegangen. 

Ob im Parlament, auf der Straße oder im Internet: Rechtsextremismus ist gefährlich. Campact setzt sich entschlossen dagegen ein – mit Appellen, Demos und Aktionen.

Weder der Propaganda der AfD noch dem Spin von Schwarz-Rot auf den Leim gehen

Aus Sicht einer progressiven Zivilgesellschaft ist es dringend geboten, jetzt weder der AfD-Propaganda aufzusitzen noch den Ausreden von CDU und SPD. Nein, der AfD ist es höchstwahrscheinlich nicht gelungen, die entscheidenden Stimmen zur Wahl des Berliner Regierungschefs zu liefern. Nein, sie haben kein Thüringen 2.0 geschaffen. Und doch waren Wegners Entscheidung, die Wahl anzunehmen, und Giffeys Entscheidung, das mitzutragen, ein Tabubruch. CDU und SPD haben gestern einen gravierenden Fehler gemacht und der Demokratie schweren Schaden zugefügt – das lässt sich auch mit noch so vielen Beschwörungen der eigenen Mehrheit nicht ungeschehen machen.

Wir als Bürgerbewegung und alle demokratischen Akteur*innen sind aufgerufen, wachsam auf das Regierungsgeschehen in Berlin zu blicken: Kein Projekt darf mit den Stimmen der AfD verabschiedet werden. 

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Autor*innen

Dr. Felix Kolb ist Politikwissenschaftler. Er promovierte zwischen 2002 und 2005 an der FU Berlin über die politischen Auswirkungen sozialer Bewegungen. Seine Dissertation erschien im Campus-Verlag. Nach dem Studium war er Pressesprecher von Attac. Zusammen mit Christoph Bautz stieß er die Bewegungsstiftung an und initiierte mit ihm und Günter Metzges Campact. Er ist seit April 2008 Geschäftsführender Vorstand. Auf Twitter findet man ihn unter @felixkolb Alle Beiträge

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