Organhandel und Kinderarbeit – AfD und Proprietarismus
Schulpflicht abschaffen, Kinderarbeit und Organhandel legalisieren? Über eine gefährliche Ideologie, die die AfD mit einem rechtspopulistischen Präsidentschaftkandidaten in Argentinien teilt.
Eigentlich wollte ich einen Artikel zum Spitzenkandidaten der Jungen Alternative (Jugendverband der AfD) für die Europa-Wahlen im nächsten Jahr schreiben. Es handelt sich um Tomasz Froelich, ehemaliger Assistent von Jörg Meuthen und aktueller Pressesprecher der AfD-Delegation der rechten „Identität und Demokratie“-Fraktion (ID) im Europaparlament. Er wurde einstimmig von der Jungen Alternative als Kandidat für die EU-Wahlen vorgeschlagen. Beim letzten Parteitag wurde er auf Platz 12 nominiert. Die AfD bräuchte ca. 12 Prozent, damit er ins Parlament einzieht – aktuell käme die AfD laut Meinungsforschungsinstitut INSA auf 23 Prozent.
Proprietarismus
Der Begriff Proprietarismus (abgeleitet von lateinisch „proprium“, zu deutsch: „das Eigene“, „das Persönliche“, „Eigentum“) bezeichnet eine Ideologie, die das Recht von Eigentümer*innen, ihre Produktionsmittel zu besitzen und möglichst uneingeschränkt zu nutzen, als wichtiger erachtet als alle anderen Rechte.
Der Proprietarismus strebt die Abschaffung des Allgemeinen Wahlrechts, also die Abschaffung der Demokratie an, da die Mehrheit nicht über das Eigentum bzw. Vermögen von Minderheiten bestimmen dürfe. Steuern seien gleichzusetzen mit Raub und der Sozialstaat, wenn nicht sogar alle Staaten, seien abzuschaffen.
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Begriffserklärung von Andreas Kemper aus der „Klassismus-Wiki“.
Eigentlich wollte ich ausführen, dass Tomasz Froelich 2015 ein Buch geschrieben hat, „Bildungsvielfalt statt Bildungseinfalt. Bessere Bildung für alle ohne den Staat“, in dem er die totale Privatisierung des Bildungswesens fordert. Konfrontiert mit dem Problem, dass rein profitorientierte Schulen ohne staatliche Aufsicht sich weigern könnten, bestimmte Schüler*innen überhaupt erst aufzunehmen, antwortete er, dass ja auch nicht alle zur Schule gehen müssten. Lesen und Schreiben könne man sich auch an der Playstation beibringen. Okay, Schreiben vielleicht nicht, verbesserte er sich schnell.
Ich belasse es jetzt einfach mal bei diesen Fakten und kommentiere es aus Platzgründen nicht.
Der AfD-Mann und die Kinderarbeit
Eigentlich wollte ich zudem ausführen, dass Froelich im Einklang mit der Abschaffung der Schulpflicht auch die Abschaffung des Verbots der Kinderarbeit fordert. Er argumentiert im Artikel ‚Kinderarbeit: Notwendiges Übel?‘, der nur angemeldeten Nutzer*innen seines Blogs Freitum zugänglich ist: „Es ist im Grunde genommen eine unverfrorene Frechheit, dass der Staat über das Leben von Kindern entscheidet, die er nicht gezeugt hat und die ihm nicht gehören. Trotzdem stößt die kollektivistische Idee, nach der der Staat die Kinder und Menschen nach eigenen Maßstäben erziehen und formen sollte, auf kaum Widerstand. Kaum jemand kommt auf die Idee, dass sich ein Mensch selbst gehört und dieser Selbstbesitz, dieses Eigentumsrecht an sich selber ein elementares Recht ist, auf das kein anderer Mensch, und schon gar nicht ein Staat, Zugriff haben sollte und dass daher jeder Mensch selbst darüber entscheiden sollte, ob und wie er arbeitet, selbst wenn er dabei noch ein Kind ist.“
Der Staat dürfe also die Kinder weder zur Schule zwingen noch dürfe er ihnen direkt oder indirekt über deren Eltern die Kinderarbeit verbieten. Entsprechend resümiert Froelich mit der Überschrift „Verbot der Kinderarbeit macht die Kinder unfrei“:
„Kinderarbeit ist nicht verwerflich, sondern in weniger entwickelten Gesellschaften gar notwendig. Notwendig für den Entwicklungsprozess, der, sobald er freimarktwirtschaftlich durchgeführt wird, in Wohlstand und einem Verschwinden der Kinderarbeit endet. Kinderarbeit per Zwang zu verbieten macht die Menschen unfreier, als Kinderarbeit ohne Zwang zu erlauben.“ Als ich letzte Woche bei Twitter auf seine nicht öffentlichen Äußerungen aufmerksam machte, bezichtigte Froelich mich der „Lüge“ und bezeichnete mich als „Demagogen“. Auch hier verzichte ich aus Platzgründen auf einen Kommentar.
Froelich erlangte über Meuthen Zugang zum EU-Parlament und startete dort das Videoformat „Blick auf Brüssel“. Der erste Beitrag war ein von ihm moderierter Austausch zwischen Meuthen und dem damaligen leitenden Geschäftsführer von Degussa Goldhandel, Markus Krall. Froelich bewarb dabei Kralls Buch „Die bürgerliche Revolution“, in dem Krall auf eine Revolution setzt, um das allgemeine Wahlrecht abzuschaffen: Menschen, die Geld erhalten, also Sozialhilfe-, Wohngeld-, Bafögbezieher*innen, Menschen, die in subventionierten Betrieben arbeiten, sie alle sollen nicht mehr wählen dürfen. Meuthen hat inzwischen die AfD verlassen, er startete seine Karriere gemeinsam mit Alice Weidel. Weidel trat damals der AfD bei, weil ihr längst verstorbener Doktorvater Peter Oberender so begeistert von dieser Partei gewesen sei. Oberender wollte den Gesundheitssektor privatisieren; bekannt wurde er für seine Forderung, den Organhandel zu erlauben.
Gefährlicher Proprietarismus von AfD bis Argentinien
Damit komme ich zum Grund, warum ich mich bei Froelich kurz halten wollte. In Argentinien ist jemand, der ebenfalls den Organhandel legalisieren will, aus den Vorwahlen zum Präsidentenamt als vorläufiger Sieger hervorgegangen. Javier Milei erhielt aus dem Stand 30% der Stimmen und ließ damit die liberal-konservative und die linksprogressive Partei weit hinter sich. Er wird in den Zeitungen als „Anarchokapitalist“ und „Libertärer“ bezeichnet; falsche Begriffe, weil Anarchismus und Libertarismus für Herrschaftsfreiheit stehen und ein Kapitalismus ohne Staat nicht herrschaftsfrei ist. Unternehmen haben bekanntlich strenge Hierarchien, Chefstrukturen und der „libertäre“ „Anarchokapitalist“ Milei lässt sich selber gerne „Der Boss“ nennen.
Milei argumentiert wie Froelich: Der Mensch besitzt sich selber, daher dürfe ihm weder Organ- noch Waffenhandel verboten werden, der Sozialstaat gehöre abgeschafft, denn schließlich seien Steuern Raub. Seine Vorbilder sind die Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises und vor allem Murray Rothbard, der in Alabama das erste Ludwig von Mises Institut gegründet hat. Das deutsche Ludwig von Mises Institut, welches dem aus Alabama nachempfunden ist, befindet sich in den Räumlichkeiten von Degussa Goldhandel.
Chefökonom von Degussa Goldhandel und Vorsitzender des Mises Instituts ist Thorsten Polleit. Polleit sitzt zudem in dem Gremium, welches den Roland-Baader-Preis verleiht. Als Erster erhielt 2012 Tomasz Froelich den Roland-Baader-Preis, als vorerst letzter 2020 Markus Krall. Auch dies kann ich nicht weiter kommentieren, da wir gehalten sind, unsere Campact-Beiträge nicht jedesmal ausufern zu lassen. Nur noch ein Schlusssatz: Wir sollten anfangen, den Proprietarismus („Anarchokapitalismus“/“Libertarismus“) als gefährliche, demokratie- und sozialfeindliche Bewegung ernst zu nehmen.