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Eine Oma, ihre Enkelin und ein Hoffnungsschimmer
Sie saßen fest am Berliner Flughafen BER, dann drohte ihnen die Abschiebung: Eine 70-Jährige Kurdin und ihre Enkelin sollten zurück in den Iran. Ihr Asylantrag sei unbegründet, so die Behörden. Verhindert wurde die erzwungene Ausreise in letzter Minute von Menschenrechts-Aktivist*innen.
Die beiden Frauen haben furchtbare Tage der Angst hinter sich, sind aber vorerst in Sicherheit. Die Menschenrechts-Aktivist*innen, denen dies zu verdanken ist, sind nun vermutlich ziemlich erschöpft. Am vergangenen Donnerstag und Freitag sind sie zum Berliner Flughafen BER gefahren, um eine zweimal versuchte Abschiebung zu verhindern. Eine 70-jährige Großmutter und ihre 17-jährige Enkelin, kurdische Frauen aus dem Iran, sollten in die Türkei geflogen worden. Dann hätte ihnen eine Kettenabschiebung zurück in den Iran gedroht, aus dem sie geflohen waren. Und dort vielleicht: Inhaftierung, Folter, sexualisierte Gewalt, Hinrichtung.
Die Rechte von Frauen werden im Iran bekanntlich systematisch verletzt, die von Minderheiten wie Kurd*innen ebenfalls. Wer gegen die Regierung protestiert, muss sowieso mit dem Schlimmsten rechnen. Auch wer einmal im „westlichen Ausland“ Schutz gesucht hat, ist den iranischen Behörden schon allein deshalb verdächtig. Für die Großmutter und ihre Enkelin trifft das alles zugleich zu. Erstens: Sie sind kurdische Frauen. Zweitens: Die 17-Jährige soll im Iran an den Protesten der „Frau – Leben – Freiheit“-Bewegung an ihrer Schule teilgenommen haben. Drittens: Sie hatten deshalb in Deutschland Schutz gesucht.
Und dieses Deutschland hätte sie im Stich gelassen, hätte es nicht einige Menschenrechtsaktivist*innen gegeben, die mehrmals zum Flughafen fuhren, in den sozialen Medien mobilisierten und damit schlussendlich erfolgreich waren: Die Abschiebung wurde gestoppt. Die Frauen, die zuvor nach einem „Flughafenverfahren“ – einem Asyl-Eilverfahren mit vermindertem Rechtsschutz, eines Rechtsstaates unwürdig – erklärt bekommen hatten, ihr Asylantrag sei „offensichtlich unbegründet“, bekommen nun ein reguläres Asylverfahren.
Abschiebung auch in unsichere Herkunftsländer
Die Großmutter und ihre Enkelin sind kein Einzelfall. Wie Schutzsuchende in Deutschland im Stich gelassen werden, zeigt sich nicht nur an den europäischen Außengrenzen, sondern eben auch an den deutschen Flughäfen. Obwohl sich die Menschenrechtslage im Iran nicht verbessert hat, lies die Konferenz der Innenminister*innen zum Jahreswechsel einen bis dahin geltenden Abschiebungsstopp in den Iran einfach auslaufen. Seitdem wird vermehrt in das Land abgeschoben, in dem im letzten Jahr mindestens 853 Menschen hingerichtet wurden.
Bundeskanzler Olaf Scholz wirbt währenddessen öffentlich für Abschiebungen nach Afghanistan. Er wäre offenbar bereit, diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufzunehmen, um Menschen abschieben zu können, denen dann eine öffentliche Auspeitschung droht. Die Taliban freut’s, sie zeigen sich gesprächsbereit – na klar: ein solcher Vorschlag ist ihre große Chance auf internationale politische Anerkennung. Währenddessen ziehen deutsche Behörden Zusagen zur Aufnahme gefährdeter Afghanen und Afghaninnen zurück, die seit Monaten oder Jahren in Pakistan auf die Ausreise warten, die ihnen aus Deutschland versprochen wurde. Jetzt sollen viele innerhalb von 7 Tagen nach Afghanistan zurückkehren.
Nur die Spitze des Eisbergs
Ist denn niemand in Deutschland wirklich sicher? Vielleicht ja wenigstens die Jesid*innen? „Der Deutsche Bundestag wird sich mit Nachdruck zum Schutz êzîdischen Lebens in Deutschland und ihrer Menschenrechte weltweit einsetzen“, versprach ihnen schließlich 2023 der Bundestag. „Die Diaspora ist Teil unserer Gesellschaft mit all ihren Erfahrungen und Erinnerungen.“ Klingt gut? Trotzdem haben laut Pro Asyl einzelne Bundesländer damit begonnen, jesidische Männer, Frauen und Kinder in den Irak abzuschieben. Dort harren 200.000 Jesidin*innen noch immer in Flüchtlingslagern aus, leben in extremer Armut, ohne Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung.
Mit dieser düsteren Entwicklung dürfen wir nun weder die Geflüchteten, noch die Aktivist*innen und Menschenrechtsorganisationen allein lassen. Der Fall der Großmutter und ihrer Enkelin ist eine Erinnerung daran, was das Engagement einzelner Menschen bewirken kann. Doch auch die können nicht jedes Mal spontan zum Flughafen sprinten. Und leider ist eines sicher: Der Fall ist nur die Spitze des Eisbergs. Viele andere Geschichten schaffen es nicht in die Öffentlichkeit.
Für Großmütter und Enkelinnen, für Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern, für Jesid*innen, Afghan*innen, Iraner*innen und viele andere, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung suchen, braucht es unser aller Engagement. Die Geschichte vom Flughafen BER kann dafür als Startschuss dienen. Und es braucht einen vermehrten Druck auf die Innenminister*innen der Bundesländer, endlich überfällige Abschiebungsstopps zu beschließen.