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Ach, Joanne

Ich liebe die Harry-Potter-Bücher – und verzweifle wie so viele an den transfeindlichen Kommentaren von J.K. Rowling. Weihnachten hat mich erneut in ein Dilemma versetzt. Lässt sich die Autorin von ihren Werken trennen?

Screenshot vom Twitter/X-Account von J.K. Rowling, in dem sie die Aussage verneint, dass trans Frauen Frauen sind.
Auf ihrem X-Account (ehemals Twitter) wettert J.K. Rowling seit Jahren vehement gegen trans Frauen. Screenshot: Campact

Meine Söhne sind im Harry-Potter-Alter. Nach endlosen Stunden mit der spießigen Conny, der langweiligen Leo Lausemaus und dem nervigen Capt’n Sharky ist das Vorlesen endlich wieder spannend.

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Harry Potter: Vorlesen macht wieder Spaß… 

Die Bücher sind nicht nur unglaublich phantasievoll und vermitteln elementare Werte wie Freundschaft, Toleranz und Loyalität, sondern kritisieren zugleich auf kindgerechte Weise Rassismus und warnen vor autoritären Strukturen. 

Nur mit der oft betonten Diversität der Buchreihe ist es nicht so weit her – das Bodyshaming etwa rund um Dudley Dursley ist heftig, wie ich beim Vorlesen wieder gemerkt habe. Klar, es gibt starke weibliche Figuren, doch die männlichen Charaktere bilden die Mehrheit. Fast alle Personen sind weiß – bis auf Nebencharaktere wie Cho Chang oder die Patil-Schwestern. Schulleiter Albus Dumbledore ist schwul? In den Büchern gibt es dazu nichts; J.K. Rowling hat ihn erst nachträglich in einem Interview geoutet.

…wenn da nicht die Autorin wäre 

Und damit wären wir beim eigentlichen Problem: der Autorin. Ihre Phantasie, ihren Mut, sich mit Männern wie Donald Trump anzulegen, ihr politisches Engagement, ihren Witz und ihre Schlagfertigkeit – all das habe ich mal großartig gefunden.

Mittlerweile steht Rowling im Zentrum einer Debatte um die Rechte von trans Personen und gibt dabei keine gute Figur ab. Eingestiegen ins Thema ist sie rund um das Jahr 2018; was mit dem Liken eines transphobischen Tweets begann, entwickelte sich zu einem regelrechten Anti-Trans-Aktivismus. Wie es dazu kam, ist hier und hier gut zusammengefasst. 

Wie transfeindlich ist Rowling? 

Fakt ist, Rowling hat sich über die Jahre radikalisiert – und verrannt. Ihre hauptsächliche Argumentationslinie: Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Daran sei nichts zu ändern. Trans Frauen sind für sie keine Frauen, sondern eben trans Frauen. Auf dieser Unterscheidung beharrt sie vehement. Für sie bedroht Trans-Aktivismus die Rechte von Frauen.   

Ihre Positionen sind gar nicht so selten, sie werden von vielen Menschen geteilt. Auch wenn es weh tut, diese Meinung darf die Autorin haben – auch wenn sie andere vor den Kopf stößt und verletzt. Aber J.K. Rowling ist nicht irgendjemand: Sie ist nicht nur extrem reich, sondern hat auch eine enorme Reichweite. Alleine auf X folgen ihr mehr als 14 Millionen Menschen. Was sie sagt, bleibt nicht ungehört, sondern wird aufgegriffen und weiterverbreitet.

Und: Sie argumentiert nicht gerade subtil. Sie bezeichnet trans Frauen immer wieder als Männer und warnt davor, dass Umkleideräume, Frauenhäuser und Toiletten unsichere orte für cis-Frauen werden könnten. Die trans-Bewegung ist für sie frauenfeindlich, sie vergleicht sie mit den Todessern aus ihren Harry-Potter-Büchern oder nennt sie Gender-Taliban. Sie mischt sich in de Debatte um trans*-Athletinnen im Sport ein – die algerische Olympiagewinnerin Imane Khelif hat Rowling wegen „aggressiver Cyberbelästigung“ angezeigt –, kritisiert ein Gesetz gegen Hasskriminalität und äußert sich zu Hormontheraphien sowie (natürlich) zu De-Transitioning. 

Trans-Rechte versus Feminismus

Seit Jahren wird gerätselt, wie Rowling in diese Debatte hineingeraten ist – und warum sie so aggressiv auftritt. Sie hat berichtet, selbst sexuelle und häusliche Gewalt erfahren und überlebt zu haben. Das könnte ein Teil der Erklärung sein. Ein anderer ist die teils harte und konfrontative Auseinandersetzung mit Trans-Aktivist*innen; es scheint, als ob Rowling diese virtuelle Kneipenschlägerei genießt. 

Am Ende spielt die Britin Trans-Rechte und Feminismus gegeneinander aus – und schürt damit Hass. Sie hat eine ganze Generation von Menschen enttäuscht, die mit ihren Büchern groß geworden sind. Bücher, in denen sie das Gefühl vermittelt, dass es ok ist, anders und besonders zu sein. Und sie unternimmt nichts, um die Debatte zu beruhigen. Im Gegenteil, sie gießt ständig Öl ins Feuer

Lesen oder nicht lesen? 

All das geht mir durch den Kopf, wenn ich meinen Söhnen Harry Potter vorlese – oder wie kurz vor Weihnachten, als wir überlegt haben, den ersten Band an die achtjährige Tochter zweier sehr guter Freundinnen zu verschenken. Soll ich das Buch tatsächlich neu kaufen und Rowlings Anti-Trans-Kampfkasse weiter füllen? 

Am Ende läuft es auf die Frage heraus: Kann man Werk und Autorin trennen? Ich finde: Nein. Aber ich kann die Geschichten von J.K. Rowling lieben und gleichzeitig kritisch auf die Autorin schauen.

Mit meinem älteren Sohn habe ich darüber gesprochen, was es bedeutet, trans* zu sein, und was ich an Rowlings Äußerungen kritisiere. Und im Fall des neu gekauften Buchs habe ich mein schlechtes Gewissen mit einer Spende an die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit beruhigt. Keine ideale Lösung, ich weiß, vielleicht sogar etwas egoistisch – aber zumindest ist das ein Weg, mit dem ich leben kann. 

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA*-Themen. Alle Beiträge

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