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Der verlogene Antisemit Höcke

Zu Menschen wie Björn Höcke ist doch längt alles gesagt? Mitnichten – Andreas Kemper hat Neuigkeiten über den AfD-Mann herausgefunden, die noch tiefer blicken lassen als ohnehin schon.

Ist Björn Höcke der Autor Landof Ladig? Der Vorsitzende der AfD Thüringen schweigt dazu. Hier zu sehen: Höcke bei der Thüringer Landespressekonferenz am 26. März 2025. Foto: IMAGO / Jacob Schröter
Ist Björn Höcke der Autor Landof Ladig? Der Vorsitzende der AfD Thüringen schweigt dazu. Hier zu sehen: Höcke bei der Thüringer Landespressekonferenz am 26. März 2025. Foto: IMAGO / Jacob Schröter

Manche Menschen sind so unverfroren, dass man nicht mehr weiß, was man dazu noch sagen soll. Zu diesen Menschen gehören gewohnheitsmäßig Neonazis und um einen solchen geht es wieder einmal in diesem Beitrag: Björn Höcke. „Ich kanns nicht mehr hören“ – ja, das trifft sich, denn ich kanns auch kaum noch sagen. Dennoch gibt es Neues, das gesagt werden muss.

Wenn es einem die Sprache verschlägt, sollte Sprachlosigkeit nicht die einzige Option sein, sondern auch eine Erweiterung der Sprache in Betracht gezogen werden. Mit meiner analytische Sprache mit leicht polemischen Elementen wäre ich ohne Worte, denn sie würde meiner Empörung nicht genügen. Auf einer anderen Ebene wäre die Aneinanderreihung von Kraftausdrücken angemessen, die mir im Kopf herumschwirren – doch damit käme Höcke zu leicht davon.

Doch zunächst die Frage „Worum geht es eigentlich?“ Gehen wir also analytisch an den Sachverhalt heran, der mich so wütend machte.

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Aktuell recherchiert er unter anderem zum „Libertarismus“ und totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen.

Nazi- und Formliebe

Im März 2025 konfrontierte die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Marx Björn Höcke mit Ausschnitten aus seinen unter Pseudonym geschriebenen „Landolf Ladig“-Texten. Er solle endlich zugeben, dass er das sei, oder eidesstattlich versichern, dass er es nicht sei. Anlass war der von der AfD angeschobene Untersuchungsausschuss gegen Stephan Kramer, Verfassungsschutzpräsident in Thüringen. Die AfD hatte in ihrem Papier unter einem Punkt C.12 Kramer vorgeworfen, von mir abgeschrieben zu haben, als in einer Pressekonferenz begründet wurde, warum Höcke erstmals zum Prüffall für den Verfassungsschutz wurde. Dorothea Marx bedankte sich für diesen Unterpunkt C.12, da nun auch meine Person Bestandteil des Untersuchungsausschusses werden würde. Und damit auch meine Recherchen zu Höcke – also auch die zu „Landolf Ladig“. Sie hielt Höcke im März im Landtag also explizit folgende Passage von Ladig unter die Nase:

„Eine Ahnung schleicht sich dabei vielleicht bei immer mehr gebildeten Angelsachsen ein, daß eben nicht die Aggressivität der Deutschen ursächlich für zwei Weltkriege war, sondern letztlich ihr Fleiß, ihre Formliebe und ihr Ideenreichtum. Das europäische Kraftzentrum entwickelte sich so prächtig, daß die etablierten Machtzentren sich gezwungen sahen, zwei ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich zu führen.“

Höcke ging auf den Vorwurf, für diesen Text verantwortlich zu sein, wieder nicht ein. Aber zwei Monate später, am 7. Mai 2025, erschien ein Text von ihm. Er begann mit dem Titel „80 Jahre Kriegsende – Ein deutscher Standpunkt“, einem Blick auf die zerstörte Altstadt von Kaliningrad („Königsberg“) und dem Satz:

„Ausgeräumte Fläche, wenige Ruinen – die Altstadt, das prachtvolle Zeugnis der Formliebe und des Fleißes vieler ostpreußischer Generationen, ist ausradiert, ihre deutschen Bewohner sind vertrieben oder tot.“

Unverkennbare Formulierungen

Ist Höcke dumm? Ich hatte bereits 2019 eine ausführliche Synopse vorgelegt, die aufzeigt, dass bestimmte Wortkombinationen ausschließlich sowohl in Texten vorkommen, die unter dem Pseudonym Landolf Ladig (2011/12) verfasst wurden, als auch bei Björn Höcke: „Organische Marktwirtschaft“, „Aufpotenzierende Krisendynamiken“, der von beiden falsch wiedergegebene Buchtitel „Der deutsch Genius“ von Peter Watson (bei Ladig und Höcke in identischer Falschwiedergabe: „Genius der Deutschen“). Nun also auch noch der extrem seltene Begriff „Formliebe“, zu dem der Duden schreibt: „Leider ergab Ihre Suchanfrage keine Treffer.“ Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) sagt dazu: „Es tut uns leid, Ihre Anfrage ‚Formliebe‘ ist nicht in unseren gegenwartssprachlichen lexikalischen Quellen vorhanden.“

Man findet vereinzelt den Begriff „Formliebe“, aber in anderen Kontexten, zum Beispiel mit „Farnliebe“, aber nicht als vermeintliches Merkmal der Deutschen oder Ostpreußen im Zusammenhang mit dem verlorenen Weltkrieg oder „Fleiß“ und „Pracht“. Nach allen bisherigen Recherche-Ergebnisse kommt der Begriff in diesem Kontext ausschließlich bei Ladig vor – und jetzt bei Höcke.

Krisen, Chancen … und Klarheit

Die Bilder unten zeigen, was Höcke jetzt gemacht hat. Links ist die erste Seite des Ladig-Textes mit den Passagen, die Höcke öffentlich bis April 2025 verwendete. Rechts die gleiche Seite mit einem neuem Treffer.

Quelle: Magazin „Volk in Bewegung“, Bearbeitung: Andreas Kemper

Höcke muss doch wissen, dass ich sofort die einmalige Übereinstimmung der Textpassagen herausfinde, herausarbeite und veröffentliche. (Ein Dank geht an dieser Stelle an den Account „Gegen die AfD“, der mich darauf aufmerksam machte, dass die Rede von Höcke nach Ladig klingt.) Er müsste doch wissen, dass er damit auch den letzten Höcke-Verteidigern vor dem Kopf stößt. Niemand wird jetzt noch ernsthaft glauben, dass Höcke nicht hinter den Ladig-Texten steckt. Er verpasst auch letzten Skeptiker*innen eine schallende Ohrfeige der Klarheit. Wie sollen sie ihn jetzt noch verteidigen können? Mit welchem Argument?

Höckes neonazistischer Antisemitismus

Das kann eigentlich nur heißen: Höcke steckt hinter den neonazistischen Texten von Landolf Ladig. Dass er nun aus diesem Abschnitt rezitiert, den ihm die Landtagsabgeordnete Dorothea Marx vorgehalten halt, ist extrem krass, weil es der brutalste und neonazististische aller Abschnitte in den drei Ladig-Texten ist. Denn er geht folgendermaßen weiter:

„Der zweite Krieg [Weltkrieg] war allerdings [von den „etablierten Machtzentren“] nicht nur ökonomisch motiviert, sondern darf auch als ideologischer Präventivkrieg angesprochen werden, hatte sich im nationalsozialistischen Deutschland doch eine erste Antiglobalisierungsbewegung staatlich etabliert, die, wären ihr mehr Friedensjahre zur Erprobung vergönnt gewesen, wahrscheinlich allerorten Nachahmer gefunden hätte.“

Schon 2019 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz diese Passage hervorgehoben, weil sich dort „eine revisionistische Geschichtsdeutung des Nationalsozialismus [befindet], die diesen nicht nur relativiert oder verharmlost, sondern sich explizit positiv auf ihn als „erste Antiglobalisierungsbewegung“ [!] bezieht.“ Vor über einem Jahr hatte ich hier herausgearbeitet, dass der Begriff „Globalisierung“ im Neonazi-Kontext immer auch als etwas gesehen wird, hinter dem das sogenannte „Weltjudentum“ stecke. Ich hatte auf Jürgen Gansel verwiesen, einen NPD-Neonazi, den Höcke sehr wahrscheinlich kennt, der Globalisierung als „wesenhaft jüdisch-nomadisch“ beschrieb.

Die antisemitische Grundhaltung von „Volk in Bewegung“

Höcke lenkt nun selbst die Aufmerksamkeit auf diesen Abschnitt, der nichts anderes ausdrückt, als das Bedauern darüber, dass „etablierte Machtzentren“ den NS-Staat überfallen hätten, um die staatlich organisierte Verfolgung der Jüd*innen zu beenden. Selbst dann, wenn Höcke – beziehungsweise Ladig – dies anders gemeint haben sollte, hätte ihm klar sein müssen, dass er als jemand, der dort die NPD feiert, in einem Neonazi-Magazin publiziert, welches für seine antisemitische Grundhaltung bekannt ist.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz nennt in seinem „Lagebild Antisemitismus“ aus dem Juli 2020 im Kapitel zur „rechtsextremen Publizistik“ gleich als erstes das Magazin „Volk in Bewegung“. „Zahlreiche Beispiele für Antisemitismus und Verschwörungstheorien finden sich in der neonazistischen Publikation ‚Volk in Bewegung – Der Reichsbote‘ (VIB), welche vom ‚NordlandVerlag‘ (Fretterode, Thüringen) des NPD-Funktionärs Thorsten Heise publiziert wird.“ Heise ist bekanntlich ein guter Bekannter von Höcke, sie hatten zur gleichen Zeit Kinder in der selben Schule, wohnen in Nachbargemeinden und Heise half Höcke 2008 beim Umzug von Hessen nach Thüringen. Auch Heise selber wird als Antisemit im Lagebild als Beispiel für einen „unverholen rassistischen Antisemitismus“ zitiert, da dieser bei einem Begleitschreiben zur „Volk in Bewegung“-Ausgabe (1/2018) von einer „Genprogrammierung“ „wandernomadischer Familienverbänden“ sprach.

Kein Bekenntnis, sondern Hundepfeife

Wenn also in diesem dezidiert antisemitisch-neonazistischen Magazin von einer „staatlich etablierten“ „Antiglobalisierungsbewegung“ im Nationalsozialismus die Sprache ist, und „Globalisierung“ bei der neonazistischen Leserschaft eindeutig als dem Wesen nach „jüdisch-nomadisch“ gilt, dann ist es vollkommen egal, was Höcke sich vielleicht dabei gedacht hat. Er hat die Verantwortung, klar zu machen, dass er in diesem Fall nicht das „Weltjudentum“ meint; in diesem Fall wäre aber wahrscheinlich sein Artikel gar nicht erst abgedruckt worden.

Doch Höcke bekennt sich ja noch nicht einmal dazu, an diesem Artikel unter dem Pseudonym Landolf Ladig mitgewirkt zu haben. Denn das würde ihn heute als einen feigen Lügner kennzeichnen. Also erfolgt das Bekenntnis dazu indirekt in Form des Dogwhistling, der Hundepfeifen-Methode. Bürgerliche Leser*innen lesen nur „Formliebe“, seine faschistischen „Hunde“ hören die andere Frequenz: „Natürlich bin ich der Neonazi ‚Landolf Ladig‘, aber die schwachen dekadenten Demokraten können mir nichts.“

Sprachlosigkeit

Anders als versprochen, finde ich doch keine Worte. Genau genommen ist es auch nicht Höcke selber, der mich sprachlos macht. Es ist die Gesellschaft, die zulässt, dass er so etwas machen kann und trotzdem noch Landesvorsitzender einer Partei ist. Einer Partei, die in seinem Landesverband gerade von über einem Drittel der Wähler*innen gewählt wurde. Ein Drittel der Wähler*innen aus Thüringen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, einen antisemitischen, neonazistischen Lügner gewählt zu haben. Schweigen kann man zu so etwas nicht, aber eine angemessene Sprache habe ich leider noch nicht gefunden.

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell recherchiert Kemper zu „Libertarismus“, totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten und schreibt an einem Buch zur Vorherrschaft des Adels im Antifeminismus („Die Aristokratie des Antifeminismus“). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen. Alle Beiträge

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