Rechtsextremismus
Ihr Aussehen erinnert an die Baseballschläger*innen der 80er und 90er Jahre. Am 21. Mai ließ der Generalbundesanwalt (GBA) fünf Rechtsextreme der Gruppierung „Letzte Verteidigungswelle“ (L.V.W.) festnehmen. Die Bundesanwaltschaft wirft der Männertruppe vor, eine „terroristische Vereinigung“ gebildet oder unterstützt zu haben. Der Jüngste ist 14 Jahre alt, der Älteste 18 Jahre.
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Das junge Alter der selbsternannten „Kämpfer für Nation und Nationalsozialismus“ führt bereits zu einer bestimmenden Verengung der Diskussion. Mit dem Verweis auf die Altersspanne der fünf Beschuldigten geht eine Relativierung ihrer politischen Motivation mit ihrer radikalen Dynamik einher. Studien zeigen jedoch, dass bereits mit 14 Jahren einzelne Jugendliche rechtsextreme Einstellungen interessant finden können. Ältere Statistiken belegen, dass Rechtsextreme oft schon in jungen Jahren Straf- und Gewalttaten verüben. Auch das NSU-Kern-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe radikalisierte sich bereits in jungen Jahren, bevor sie mit Ende 20 Jahre erste Straftaten verübten und mit 30 Jahren ihr erstes Opfer Enver Şimşek erschossen.
Die sich anbahnende Debatte lässt die Gewalttaten als jugendliches Phänomen erscheinen und blendet die Taten als gesellschaftliches Phänomen aus. Sie ignoriert, wie rechte Einstellungen in der Gesellschaftsmitte und in organisierten Gruppen zusammenwirken.
„Letzte Verteidigungswelle“ nicht ohne Bildung
Keine Frage: Um Motive der Täter*innen erkennen zu können, ohne sie zu entschuldigen, müssen wir die Antworten auch im individuellen Privaten und Psychologischen erfassen. Beschränkt sich die Erklärungen aber auf diese Antwort, bleiben viele Fragen offen. Es könnte dann wieder versucht werden – wie in den Baseballschlägerjahren in Ost und West – mit Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen, sowie mit Ausbildungs- und Arbeitsangeboten entgegenzuwirken. Dass bei der Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ Gymnasialschüler zum harten Kern gehörten, erwähnen die Ermittler derweil nur kurz.
Die Gewalt wird als störend für den Betriebsablauf der Verschärfung der Einwanderungs- und Asylpolitik ausgemacht. Die anhaltende Debatte um Geflüchtete und Einwandernde – Einreisestopp und Rückführung, Abschiebung und Familiennachzug – dürfte sich spätestens mit der letzten Bundestagswahl weiter verschärft haben. Die tödlichen Anschläge der vergangenen Monate durch zugezogene Täter lösten nicht bloß eine Emotionalität aus, sie führten ebenso zu Forderungen nach Konsequenzen. In der Bundestagswahl waren in der Sprache und in den Forderungen von CDU, SPD, FDP und Grünen kaum noch Unterschiede zur AfD erkennbar. Das ist kein Wahrnehmungsfehler, wenn ähnliche Positionen vertreten werden.
Die Jungen piepen, was die Alten pfeifen
Die „Letzte Verteidigungswelle“ muss so auch nicht eventuell aus der vermeintlich „schweigenden Mehrheit“ sein, wie sich Rechte gerne mal betiteln. Vielmehr sollte die Gruppe, die in den sozialen Medien um die 200 Personen umfassen soll, als Tätergruppe aus dem lauten Mainstream eingeordnet werden. Mit und durch die AfD ist das Sag-, Wähl- und Handelbare stets weiter nach rechts verschoben worden – am Stammtisch und auf der Straße.
„Piepen die Jungen“ etwa wie die „Alten pfeifen“? Die Frage stellte schon Heinrich Heine in der „Harzreise“. Könnten manche Eltern – auch von den Jugendlichen aus anderen jungen Gruppen wie „Elblandrevolte“ oder „Deutsche Jugend Voran“ – vielleicht gar selbst mal Baseballschläger*innen gewesen sein? Lehrkräfte berichten, dass bei Vorfällen an Schulen die Eltern oft selbst im „Nazi Chic“ erscheinen. Sie erzählen außerdem, dass Schüler nach rassistischen Äußerungen im Unterricht auf Nachfrage antworten, sie hätten das doch „gestern in der Talkshow“ gehört.
Großer Spaß und große Narrative
Die Social-Media-Gruppen dieser Szene versprechen Gemeinschaft, Spaß und Action. Gerade junge Männer auf Suche nach Identität finden in der rechtsextremen Gewaltoption ein Angebot zur Identifikation. Ein Angebot, das auch in der Mitte der Gesellschaft in Diskussionen wohlwollend verhandelt wird: Wann ist ein Mann ein Mann, wie tritt er auf, was verkörpert er, wie durchtrainiert soll er sein.
Die „Letzte Verteidigungswelle“ verbreitete allerdings auch eine Verschwörungstheorie, die in der rechtsextremen Szene besonders radikal vertreten wird: den „Großen Austausch“. Diese Theorie behauptet, dass „fremde Einwanderer“ gezielt die angeblich „eigene Bevölkerung“ ersetzen sollen. Das gesamte Milieu von AfD über „Identitäre Bewegung“ bis „Die Heimat“ bedient diese Verschwörungstheorie. Ganz banal äußern sie diese Annahme zum Beispiel bei der Essenssuche am Bahnhof: „Überall Döner, nirgends Buletten mit Kartoffelsalat.“
Die Einengung der Diskussion als „Jugendphänomen“ scheint aber auch Ermittlungen zu entlasten. Knapp eine Woche nach der Maßnahme des GBA scheint durch, dass die Ermittlungen zu den geplanten Anschlägen vor Ort erst gar nicht in ein bundesländerübergreifendes Netzwerk eingebunden waren. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen und Hessen gingen über 220 Polizei- und Spezialkräfte gegen die „Letzte Verteidigungswelle“ vor und durchsuchten 13 Objekte. Verschiedene Medien – von taz über Zeit bis RTL2 – hatten zuvor über diese Jugendgruppen berichtet. Falls die einzelnen Ermittlungsstellen diesen Zusammenhang nicht erkannt haben, haben sie offenbar wenig aus dem Versagen bei der NSU-Aufklärung gelernt.