Globale Gesellschaft Trump Alltagsrassismus Demokratie LGBTQIA* Menschenrechte CDU Montagslächeln Soziales SPD

Als das Grundgesetz 1949 in Kraft trat, zog es die Lehren aus der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Artikel 3 verankerte ein klares Diskriminierungsverbot: 

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 3, Absatz 3 im deutschen Grundgesetz

Doch eine Gruppe erwähnten die Mütter und Väter der Verfassung bewusst nicht: homosexuelle und bisexuelle Menschen. Obwohl die Nazis auch sie systematisch verfolgten, in Konzentrationslager deportierten und ermordeten, gewährten sie ihnen keinen verfassungsrechtlichen Schutz.

Willkommen im Campact-Blog

Schön, dass Du hier bist! Campact e.V. ist eine Kampagnen-Organisation, mit der sich über 4,25 Millionen Menschen für progressive Politik einsetzen. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.

Artikel 3, Absatz 3: Leerstelle mit Folgen

Das hatte Konsequenzen. Während die Bundesrepublik andere Opfergruppen des NS-Regimes nach und nach rehabilitierte, drangsalierte sie homosexuelle Menschen weiter. Der im Kaiserreich eingeführte und von den Nazis verschärfte Paragraf 175, der „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe stellte, blieb bestehen. Schwule und Bisexuelle wurden weiter strafrechtlich verfolgt – die Folgen reichten von sozialer Ächtung und zerstörten Existenzen bis hin zum Gefängnis. 

Das Grundgesetz, das viele vor Diskriminierung schützte, ließ queere Menschen schutzlos gegen staatliche Willkür. Erst 1969 änderte sich das in der BRD: Die Bundesregierung  hob die Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen Männern über 21 Jahren auf. 1994 strich der Bundestag den Paragrafen 175 endgültig.

Diskriminierung und Gewalt nehmen zu

Die rechtliche Lage queerer Menschen hat sich stetig verbessert. Die Ehe für alle gilt, das Selbstbestimmungsgesetz ist beschlossen. Doch Diskriminierung und Gewalt bleiben. Seit Jahren steigt die Zahl queerfeindlicher Gewalttaten. Eine neue Generation von Neonazis mobilisiert vor allem über soziale Medien gegen queere Menschen – CSDs können nur noch unter massivem Polizeischutz stattfinden. Selbst die Zustimmung zur Ehe für Alle lässt nach. Die Bedrohung ist real und wächst.

Berliner Bundesratsinitiative

Nun kommt Bewegung in die Debatte. Im Juli brachte das Land Berlin im Bundesrat eine Initiative ein, um den Begriff „sexuelle Identität“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, beide von der CDU regiert, sowie Mecklenburg-Vorpommern unter SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig unterstützen den Antrag. Auch das Saarland zeigt sich offen.

Doch die Hürden sind hoch: Eine Verfassungsänderung erfordert eine Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag. Während die Zustimmung in der Länderkammer zumindest möglich scheint, bleibt der Bundestag das größere Hindernis. Hier wäre die Union entscheidend – doch viele ihrer Abgeordneten stehen dem Vorhaben skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Susanne Hierl (CSU), rechtspolitische Sprecherin, erklärte in der taz, ihre Fraktion sehe „keine Notwendigkeit“ für eine Grundgesetzänderung. Das dürfte der Haltung von CDU-Chef Friedrich Merz entsprechen, der die Pride-Flagge auf dem Reichstagsgebäude mit den Worten kommentierte, der Bundestag sei „kein Zirkuszelt“.

Grundgesetz gehört ergänzt 

Die Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um die sexuelle Identität ist weit mehr als Symbolpolitik. Das macht auch die Berliner Bundesratsinitiative deutlich: „Diskriminierungsbekämpfung erfordert auch gesellschaftliche Bewusstseinsbildung – hierzu trägt ein leicht zugängliches, im Verfassungstext enthaltenes Diskriminierungsverbot wegen sexueller Identität bzw. Orientierung entscheidend bei.“

Ein erweiterter Schutz vor Diskriminierung würde ein klares Signal senden: Queere Menschen sind Teil dieser Gesellschaft und verdienen denselben verfassungsrechtlichen Schutz wie alle anderen. Ob es dazu kommt, bleibt jedoch ungewiss.

TEILEN

Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich in seiner Kolumne vor allem mit LGBTQIA*-Themen. Alle Beiträge

Auch interessant

Frieden, Menschenrechte, Waffen Rüstungsexportstopp für Gaza-Krieg: Nur ein erster Schritt LGBTQIA*, Menschenrechte Die CDU und ihre Listen LGBTQIA*, WeAct Kein Regenbogen über dem Reichstag CDU, Feminismus, LGBTQIA* Familienministerin Prien verordnet Genderverbot Handel, Menschenrechte EU wirft Arbeiter*innen vor den Omnibus LGBTQIA*, WeAct We fixed it: Regenbogenflagge am Bundestag  Allyship, LGBTQIA* Pat Parker: Poesie und Protest LGBTQIA* Montagslächeln: Klöckner und der CSD LGBTQIA*, WeAct Auf zur Budapest Pride! Menschenrechte, WeAct Im Stich gelassene Afghan*innen verklagen die Bundesregierung