Der Verband „Die Familienunternehmer“ sorgte für Schlagzeilen, weil er die Brandmauer gegen die AfD in Frage stellte und AfDler zu Treffen einlud. Die Deutsche Bank untersagte dem Verband daraufhin die weitere Nutzung ihrer Räume und bekannte Unternehmen wie Rossmann traten aus Protest aus dem Verband aus. Nach weiteren Protesten änderte der Verband seinen Kurs wieder und will künftig davon absehen, AfD-Politiker*innen zu seinen Treffen einzuladen.
Keine Chance für Arbeiterkinder
Das erste Mal stieß ich auf den Verband „Die Familienunternehmer“ vor zwanzig Jahren, als dieser noch „Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer“ (ASU) hieß. Ich engagierte mich damals für Arbeiterkinder im Bildungssystem und hoffte, dass das kommende Antidiskriminierungsgesetz eine Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft verbieten würde. Leider setzte Deutschland die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien um, ohne die soziale Herkunft zu berücksichtigen.
Im Zuge der Amsterdamer Verträge sollten damals ursprünglich sieben Diskriminierungsmerkmale verboten werden. Als es konkret wurde, waren es allerdings nur drei: Religion und Weltanschauung, Sexismus und Rassismus. Die Schwulen- und Lesbenverbände, die Behindertenverbände und Verbände, die sich gegen Altersdiskriminierung wandten, setzten durch, dass „ihre“ Diskriminierungsform wieder in den Verbotskatalog aufgenommen wurden. Weil es aber keine wirkmächtige Interessenvertretung von Arbeiterkindern gab, wurde „soziale Herkunft“ zunächst nicht in die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien aufgenommen. In einem „Green Paper“ der EU wurde die Diskussion eröffnet, Merkmalen wie sozialer Herkunft und Vermögen in die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien aufzunehmen.
Die ASU lehnte bereits das Antidiskriminierungsgesetz ab. Eine Erweiterung um Faktoren wie soziale Herkunft betrachteten sie sogar als schädlich:
Es ist unsere Ansicht, dass Diskriminierungsverbote der geschilderten Art nicht formuliert und gesetzlich durchgesetzt werden sollten. Wir sind darum auch nicht der Meinung, dass die EU die Debatte über zusätzliche, unter die Charta der Grundrechte fallende Diskriminierungsgründe anstoßen sollte: weder soziale Herkunft, noch genetische Merkmale, Vermögen usw. sollten hinzukommen. Schon der Ansatz ist, wie gesagt, nicht zweckdienlich, sondern grundrechtspolitisch sogar kontraproduktiv und von Schaden.
ASU 2004: Stellungnahme zum Grünbuch zur Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierung in einer erweiterten Europäischen Union
Auch zwanzig Jahre später ist soziale Herkunft oder Vermögen noch kein Bestandteil des deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, obwohl Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes immer wieder auf Diskriminierungserfahrungen in diesem Bereich hinweisen. Die Lobby der ASU, bzw. des Verbandes „Die Familienunternehmer“ ist stärker als die von Arbeiterkindern. Dass die verschiedenen Bundesregierungen über Jahrzehnte die Interessen der Reichen weitgehend umsetzen, die Interessen von Ärmeren aber nicht, ist ebenfalls belegt. Wenngleich die Studie der Universität Osnabrück für das Arbeitsministerium kaum bekannt ist.
Wo AfD und „Die Familienunternehmer“ sich inhaltlich überschneiden
Dass der Verband der Familienunternehmen die Diskriminierung von sozialer Herkunft verbieten will, hat auch mit dem Familismus des Verbandes zu tun. Die ASU organisierte Vorträge mit dem umstrittenen autoritären Pädagogen Bernhard Bueb. Der gab in diesen Workshops Eltern Anleitungen, wie sie ihre Kinder so erziehen können, dass das Vermögen der Familienunternehmen über Generationen vermehrt werde. Und diese Politik der Vererbung von Familienunternehmen ist seit einigen Jahren wieder wirkmächtiger geworden.
Betrachten wir die Entwicklung der Betriebsvermögen in Deutschland, so sehen wir eine Kurve. 1958 betrug der Anteil der Familienclan-kontrollierten Unternehmen in Deutschland 22 Prozent. Dieser Anteil sank bis in die 1980er Jahre, doch dann kam es zu einem Revival der Familienunterstrukturen. So analysierte Beate Landefeld bereits 2008: „Der Umsatzanteil der clankontrollierten Firmen unter den 100 Größten ist von 16,75 Prozent 1985 auf 36,5 Prozent 2007 hochgeschnellt.“ Während weltweit die Vermögen der Milliardäre in 36 Prozent ererbt werden, ist dies in Deutschland in 71 Prozent der Fall.
Wir können hier also nicht nur Überschneidungen zwischen den Interessen des Verbandes „Die Familienunternehmer“ und der AfD feststellen – beide Organisiationen lehnen Antidiskriminierungsgesetze, Vermögens- und Erbschaftssteuern weitgehend ab und sind familistisch orientiert – sondern beide liegen parallel in einem Entwicklungstrend, der sie stärkt.
Einig beim Thema Niedriglohn
Es lag also in der Natur der Sache, dass die Familienunternehmensverbände ihren Anteil zur Entstehung der AfD hatten. Konkreter Auslöser war die Weltwirtschaftskrise von 2008 infolge eines Streits zwischen verschiedenen Unternehmensverbänden.
Bereits 2006 versuchte Hans-Olaf Henkel als ehemaliger Vorsitzender des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) eine neue Partei zu formieren, die auf eine „schlankere“ Demokratie hinarbeitet, die die Interessen der (Familien-)Unternehmen in Fragen von Sozialstaat und Steuern noch effektiver umsetzen sollte. So sprach er beim Gründungsparteitag der „Freien Wähler“ und diktierte ihnen seine demokratietheoretischen Vorstellungen ins Programm.
Mit der Wirtschaftskrise kam es zu einer Verrohung des Bürgertums, wie der Soziologe Heitmeyer ausführte. Das zeigte sich auch darin, dass Medien vom Springer-Verlag bis zum Spiegel das rassistische und klassenrassistische Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin zum Megabestseller pushten. Henkel war einer der wichtigsten Verfechter von Sarrazins Klassenrassismus: Der Staat brauche mehr produktive Ungleichheit, forderte Henkel, und Sarrazin forderte die komplette Streichung des allgemeinen Kindergeldes zugunsten einer Pauschale von 50.000 Euro für erbtüchtige Student*innen.
Mit der Wirtschaftskrise kam es auf europäischer Ebene zum Streit. Frankreich forderte Deutschland auf, die Löhne zu erhöhen. Die Niedriglohnpolitik in Deutschland hatte zur Folge, dass das europäische Kapital nach Deutschland floss. Einige Mittelmeerstaaten, vor allem Griechenland, drohte der Staatsbankrott. Gegen Frankreichs Forderung verwahrte sich das wirschaftsnahe IFO-Institut mit seiner Bogenberger Erklärung: Frankreich habe sich nicht in die Tarifpolitik Deutschlands einzumischen.
Diese Niedriglohnpolitik entsprach vor allem den Interessen der Unternehmen, die in Verbänden wie „Die Familienunternehmer“ zusammengeschlossen waren. Sie waren eng verzahnt mit den Ideologien der sogenannten Österreichischen Schule von Ludwig Mises und Friedrich-August Hayek.
Zur Kontroverse der Unternehmensverbände in der Wirtschaftskrise
Die Motivation, eine neue Partei aufzubauen, scheint schon länger im Interessensbereich der Familienunternehmensverbände zu liegen. Patrick Adenauer, 2005 bis 2011 Präsident des Verbandes „Die Familienunternehmer – ASU“ und Enkel des bekannten Nachkriegs-Kanzlers, kritisierte an der Merkel-Regierung vor allem das Brechen der No-Bail-Out-Regel. Also dass Mitgliedstaaten der EU nicht für die Schulden anderer Mitgliedstaaten haften oder diese übernehmen dürfen.
Wenig später organisierte Beatrix von Storch mit ihrer „Zivilen Koaliton“ eine Veranstaltung zu genau diesem Thema. Eingeladen waren Hans-Olaf Henkel, Karl-Albrecht Schachtschneider und Marie-Christine Ostermann, damals noch Vorsitzende des Jugendverbandes der Familienunternehmer-ASU. In der Diskussion der Tagung warf ein Mitglied des Vereins „Zivile Koalition“ die Frage auf, ob jetzt nicht die Zeit sei, eine neue Partei zu gründen. Man habe es verpasst, in der Sarrazin-Debatte eine neue Partei zu gründen, aber jetzt, in der Diskussion um den Euro und die Griechenland-Rettung, sei doch der richtige Zeitpunkt. Hans-Olaf Henkel und Beatrix von Storch stimmten zu. Im Publikum saß Jürgen Elsässer, Chefredakteur des zu diesem Zeitpunkt sehr jungen Compact-Magazins. Er feierte bereits damals ab, dass eine neue Partei entstehen würde.
Ein Jahr später, im Mai 2012, gab es einen offenen Brief von „Die Familienunternehmer“ an Bundeskanzlerin Merkel. In dem hieß es unter anderem: „[G]emeinsam mit vielen renommierten Ökonomen“ würden sie die Überzeugung teilen, „dass der ESM [Europäischer Stablitätsmechanismus (für die Griechenlandunterstützung)] als dauerhafter Mechanismus nicht geeignet ist, Stabilität in Europa wieder herzustellen.“
Diese „renommierten Ökonomen“ waren unter anderem die Wirtschaftsprofessoren um Bernd Lucke, die im folgenden Jahr die AfD installieren sollten. Lucke hatte bereits 2011 das „Plenum der Ökonomen“ gegründet. Diese Gruppierung war die Basis zur Gründung von Luckes „Bündnis Bürgerwille“. Danach folgte im September 2012 die „Wahlalternative 2013 (WA2013)“, der direkten Vorläuferorganisation der AfD, in der sich einige neoliberale Volkswirtschaftler des „Plenums“ als AfD-Funktionäre wiederfanden.
AfD, Freie Wähler und Unternehmer bandeln an
Die WA2013 setzte zuerst auf die Kooperation mit der 2009 gegründeten Bundespartei „Die Freien Wähler“ (FW). Fotos vom Frühjahr 2012 zeigen Beatrix von Storch bei einer Kundgebung in München neben Aiwanger von den Freien Wählern und Stephan Werhahn, dem Cousin vom Familienunternehmer-ASU-Vorsitzenden Patrick Adenauer.

Patrick Adenauer hatte seinen Cousin Stephan Werhahn unterstützt, als dieser dann im Juni 2012 von der CDU in die neu gegründete Bundespartei FW wechselte. Dort galt Werhahn schnell als Spitzenkandidat für die Bundestagswahlen im September 2013. Werhahn erklärte in der Süddeutschen Zeitung Anfang Juni 2012 seine Kritik an der Europapolitik von Merkel sehr ähnlich wie Patrick Adenauer.
Der heutige Strategische Beirat von „Die Familienunternehmer“ setzt sich vorwiegend aus Mitgliedern zusammen, die zugleich in neoliberalen Think Tanks engagiert sind, die sich auf Friedrich August von Hayek beziehen. Friedrich August von Hayek war der Gründer einer gleichnamigen Gesellschaft und eines akademisch geprägten Ablegers davon, der „Mont Pelerin Society“. Auch hier gab es Verbindungen, die in die AfD hineinreichten. Mit Charles B. Blankert und Günter Ederer gehörten Unterstützer der AfD zum strategischen Beirat des Verbandes. Interessant war auch die Mitgliedschaft von Hardy Bouillon im Familienunternehmens-Beirat. Bouillon war Deputy Director des Think Tanks „New Direction – The Foundation for European Reform“ (NDF), die Stiftung der Europa-Partei „Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten“ (AECR) bzw. der Europa-Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (ECR). Er war ebenfalls Mitglied der Hayek-Stiftung in Wien.
Hans-Olaf Henkel, ESM und die New Direction Foundation
Ein weiterer Hinweis auf eine bevorstehende Parteigründung zeigt sich auf dem 2011 stattfindendem Kongress „Forum Freiheit“. Hier prophezeite Arnulf Baring: Die führenden Parteien seien „Apparatparteien, die völlig erstarrt sind […] Wir werden neue Parteien bekommen.“ Neben Hans-Olaf Henkel nahm auch Hardy Bouillon an der Tagung teil.
Ab Januar 2012 trat Henkel wieder bei den „Freien Wählern“ als Redner auf, diesmal im Zusammenhang mit der Kritik am ESM, die dann zu deren Hauptthema wurde.
Fünf Tage nachdem Hans-Olaf Henkel im September 2012 alarmierend im Handelsblatt den Artikel „EZB: Aus, aus, das Spiel ist aus!“ veröffentlichte, erhielten die FW weitere Unterstützung: Auf Facebook kündigte sich der Verein „WA2013“, die „Wahlalternative 2013“, gegründet im September 2012 von Gerd Robanus, Bernd Lucke, Konrad Adam und Alexander Gauland. Im November 2012 stellte Lucke die WA2013 in München vor. Danach gründeten sie mit dem Geld des Familienunternehmers August Baron von Finck dann doch eine eigene Partei, statt mit den Freien Wählern zusammen zu gehen.
Offene und finanzielle Unterstützung für die Parteigründung
Anfang Mai 2014 wurde Bernd Lucke sowohl zu der Unternehmer-Konferenz des Verbandes „Die Familienunternehmer“ als auch zur „Welt-Konferenz“ der „Stiftung Familienunternehmen“ eingeladen. Es ging den Familienunternehmens-Verbänden darum, ein Zeichen zu setzen, wie die Stuttgarter Zeitung mitteilte. Unterstützung erhielt die AfD auch von der „Stiftung Familienunternehmen“. Heinrich Weiss, damals Vorsitzender des Aufsichtsrats der SMS group GmbH, verkündete nach der Bundestagswahl 2013 auf der Website der Stiftung:
„Knapp 10 Prozent der Wähler, nämlich die, welche die FDP oder die AfD gewählt haben, werden im neuen Parlament nicht repräsentiert sein. Und hier handelt es sich um eine Bevölkerungsschicht, die überproportional zum wirtschaftlichen Erfolg und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt und einen großen Teil des Steueraufkommens leistet. […] Die Diskussion über eine entscheidende Schicksalsfrage der Zukunft, nämlich der weiteren Politik hinsichtlich der Euro-Gemeinschaftswährung, wird wohl weiterhin von der Regierung unterdrückt werden. Der Erfolg der AfD zeigt aber, dass immer mehr Bürger die Vertuschung und Verleugnung der auf uns zukommenden Belastungen durch die Euro-‚Rettung‘ durchschauen. […] Die Umgebung von Frau Merkel besteht überwiegend aus Funktionären, die sich auch nur noch zu Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen äußern oder zu anderen Randproblemen aus dem sozialen Bereich, wie der Homo-Ehe oder der Frauenquote.“
Im Sommer 2014 gab Hans-Olaf Henkel bekannt, dass Heinrich Weiss die AfD offen unterstützen wird. Beigetreten sei zudem der Familienunternehmer Hans Wall.
Es zeigt sich also, dass die Gründungsphase der AfD sehr verzahnt mit dem Verband „Die Familienunternehmer“ gewesen ist. Noch immer teilen sie viele ihrer „Werte“ – und der öffentliche Rückzieher des Verbandes dürfte damit eine bloße Taktik sein.